Essen/Gelsenkirchen. Lehrerin Inge Seemann hat Star-Autor Klaus-Peter Wolf zu ihrer Pensionierung eingeladen. Schon als Referendarin bat sie um eine Lesung.

Inge Seemann könnte stundenlang erzählen. So viele Erinnerungen! Ein altes Bild zeigt ihre Klasse, 7d, wie sie mit Klaus-Peter Wolf herzlich über eine Sprudelflaschen-Dusche lacht. Wolf – damals ein Mann in den Vierzigern mit Wuschelfrisur, ihm zu Füßen sitzen junge Leute in Jeans, T-Shirt und Pulli. Mitte der 1990er war das. Vor einer kleinen Ewigkeit. Auf einem anderen Foto umarmt der Bestseller-Autor mit mittlerweile ergrautem Bart „seine“ Lehrerin ganz fest. Das war bei einer Signierstunde in Gelsenkirchen-Ückendorf, bei der sich die zwei zuletzt wiedergetroffen haben.

Aber die beiden verbindet nicht nur eine ganze Reihe von Erlebnissen. Vor allem haben sie sich bereits vor Jahrzehnten dasselbe Ziel auf die Fahne geschrieben: Jungen Leuten das Lesen nahebringen. Sie für Bücher begeistern. Der engagierte Schriftsteller, mittlerweile 71, tourt seit Jahr und Tag mit seinen Geschichten durch Schulen, rund 6000 Klassen soll er bereits besucht haben („Das war immer mein Ding. Das war praktisch mein Leben“). Und Inge Seemann ist im Leibniz-Gymnasium in Essen sowas wie eine Institution des geschriebenen Wortes. Jetzt ist sie 66 und verabschiedet sich in den Ruhestand. Aber nicht ohne „ihren“ Lieblingsautor, den sie kennt, seit sie Referendarin war.

Krimi-Lesung in der Alten Kirche in Altenessen: Premiere für „Ostfriesennebel“

Und so kommt es, dass die agile Deutsch- und Geschichtslehrerin derzeit noch mehr als sonst zu tun hat. Zum einen richtet sie die Premierenlesung aus, zu der Klaus-Peter Wolf am 29. Januar nach Essen kommt. In der Alten Kirche in Altenessen wird er Kostproben aus seinem neuen Ostfriesen-Krimi („Ostfriesennebel“) zum Besten geben. Seemann hat den Abend mit den guten Geistern des Gemeindebüros organisiert. Und das ist noch nicht alles. Tags drauf wird die Kirche dann zum Treffpunkt für drei schulinterne Lesungen.

„Ostfriesennebel“ in der Kirche

Am 29. Januar erscheint Klaus-Peter Wolfs neuer Roman „Ostfriesennebel“, der 19. Fall für Ermittlerin Ann Kathrin Klaasen. Startauflage sind 300.000 Exemplare. Die Premierenlesung in der Alten Kirche Altenessen ist ebenfalls am 29. Januar, 19 bis 21 Uhr, Einlass ist um 18 Uhr. Karten kosten im Vorverkauf 15 Euro, an der Abendkasse 18 Euro. Das Leibniz-Gymnasium ist der Veranstalter.

Vorverkauf im Weltladen (Tel. 0201 8378988), in den Sekretariaten des Leibniz Gymnasiums Altenessen (Tel. 0201 88480230) und in der Buchhandlung Kottmann in Gelsenkirchen (Tel. 0209 15551321).

Klaus-Peter Wolfs Ostfriesenkrimis wurden allein in deutscher Sprache 15 Millionen Mal verkauft. Es gibt bislang elf Verfilmungen.

30 Klassen des Leibniz-Gymnasiums werden nacheinander erwartet. Rund 750 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 16. Klaus-Peter Wolf jedenfalls freut sich riesig. Wobei er noch nicht wirklich weiß, woraus er vorlesen wird, das entscheidet er, erzählt er uns, gern spontan („Vielleicht ‚Felix und die Kunst des Lügens‘“). Schließlich hat er sich im Laufe seiner vielen Autorenjahre nicht nur durch seine beliebten (und vielfach verfilmten) Thriller einen Namen gemacht. Sondern auch durch viele Reihen von Kinder- und Jugendbüchern. Und die bringen Inge Seemann damals wie heute zum Schwärmen. Weil sie, wie sie sagt, „so nah dran sind am echten Leben.“

Klaus-Peter Wolf und eine Rallye in Gelsenkirchen-Ückendorf

Angefangen hat alles vor rund 30 Jahren. Es sind die frühen 90er, die junge Inge Seemann war gerade nach Gelsenkirchen-Ückendorf gezogen, um sich ihre ersten Sporen als Lehrerin am dortigen Gymnasium zu verdienen. Eines ihrer Lieblingsbücher war „Pauline und die Asphaltpanther“, Autor: Klaus-Peter Wolf. Es bot sich an, das Buch zum Gegenstand ihres Unterrichts zu machen, erinnert sie sich; schließlich spielt auch die Geschichte von Pauline und ihrer Gang in dem Gelsenkirchener Stadtteil mit dem zwielichtigen Ruf. Inge Seemann erzählt von ihrer Tochter, die sich damals in der neuen Umgebung nicht wohl fühlte – und sich nach der Lektüre so gut mit Pauline identifizieren konnte, dass plötzlich alles nur noch halb so schwierig war.

Lehrerin Inge Seemann
Inge Seemann in der Bibliothek des Leibniz-Gymnasiums. Ihre Schülerinnen und Schüler haben alles eigenhändig inventarisiert und katalogisiert. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Inge Seemann konzipierte eine Rallye, die zu Schauplätzen der Geschichte führte, etwa zur „Scharfen Ecke“, dem Kult-Imbiss, den es bis heute gibt. Zur alten Baubude, zur Aral-Tankstelle, zum damaligen Schlecker-Markt. Dann traute sie sich was – und lud den Autor persönlich ein. Klaus-Peter Wolf stammt aus Gelsenkirchen und gilt als sehr heimatverbunden. Regelmäßig kehrt er für Lesungen aus seiner Wahlheimat an der Nordsee zurück. Und so ließ er sich auch nicht lang bitten und sagte zu. Inge Seemann weiß noch genau, wie sehr sie das damals gefreut hat. „Er kam tatsächlich. Einfach so! Ohne irgendwelche Kosten zu verlangen. Und ich war stolz wie Oskar.“

Klaus-Peter Wolf in Ückendorf: Überraschung mit „Pauline und die Asphaltpanther“

Klaus-Peter Wolf reiste an, las und plauderte mit den jungen Leuten. Um das Eis zu brechen, ließ er mit dem Daumen erstmal seine Mineralwasserflasche spritzen. Die Zeitung war vor Ort („So macht Schule Spaß!“). Inge Seemann hat den Artikel aufgehoben, außerdem einen Brief des Autors. In dem lobte er ihr Engagement und bedankt sich herzlich für eine Foto-Text-Sammlung, die Schülerinnen und Schüler aus der Ückendorf-Rallye gemacht hatten.

Und dies war nur der Beginn. Wolf und Seemann haben sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder getroffen, wie die Lehrerin erzählt. Bei Lesungen an diversen Schulen ihrer Laufbahn, außerdem sind sie sich mehrfach bei Signierstunden begegnet. Zuletzt vor einem runden halben Jahr, in Gelsenkirchen-Ückendorf. Da ging es schon um die erfolgreichen Ostfriesenkrimis. Nach dem Vortrag hat ihm Inge Seemann dann als Überraschung „Pauline und die Asphaltpanther“ zur Unterschrift vorgelegt – und ihn gleich anlässlich ihres bevorstehenden Ruhestandes eingeladen. Wolf erinnerte sich. Und sagte sofort zu.

Jetzt fiebert Inge Seemann dem großen Tag entgegen.

Dabei war Klaus-Peter Wolf nicht der einzige Autor, auf den sie in Sachen Leseförderung setzte. Sie lud viele Kollegen ein, darunter Hans-Jürgen Feldhaus, Rüdiger Bertram, Frauke Angel, Inge Meyer-Dietrich, Anja Kiel und Kristina Dunker – Garanten für unvergessliche Erlebnisse, für sie und ihre Klassen, deren Kinder sich aus einem guten Dutzend Nationalitäten zusammensetzen („Die freuen sich immer riesig darauf!“).

Essens Vorlese-Stadtsieger Mohammed und eine eigene Bibliothek

Inge Seemann zeigt ein Bild von Schüler Mohammed, 14, Essens Stadtsieger im Vorlesewettbewerb. Sie berichtet von gut besuchten Signierstunden der Autoren und davon, dass Bücher mit persönlicher Widmung ihren Schülerinnen und Schülern regelrecht heilig sind. Und von den vielen Exemplaren, die man ihr und den jungen Leuten überlassen hat – heute füllen sie zwei Bibliotheken: Eine pro Dependance des Leibniz-Gymnasiums, an dem Seemann die letzten zehn Jahre ihres Berufslebens unterrichtete. Ihre Klassen haben alles eigenhändig inventarisiert und katalogisiert, 2500 Bücher. Irgendwann sollen die beiden Sammlungen zusammengeführt werden.

Eine Art Vermächtnis, um das sich künftig andere kümmern werden. Ihre Lese-AGs aber, die wird Inge Seemann weiterführen. Da ist zum einen die „Junge Jury“, in der Schüler Rezensionen über Bücher schreiben. Zum anderen die AG „Wir lesen vor“: Hier stehen Lesungen in einem Altenessener Seniorenheim auf dem Programm. Bücher von Klaus-Peter Wolf sind auch dabei.

Und die kommen immer besonders gut an.