Oberhausen. 300 Schaustücke von Hoppenstedt bis Ödipussi. Die Ludwiggalerie verneigt sich vor Loriots Lebenswerk mit einer historischen Überraschung.
Am Anfang... Nein, sagen Sie jetzt nichts! Vor allem nicht „Knollennase“. Es stimmte einfach nicht. Denn am Anfang schuf Loriot: Vater und Mutter, ehrfürchtig mit dem Zeichenstift. Aber zur Hälfte doch schon mit jenem Schuss von gutbürgerlichster Bildung gewürztem Schalk, mit dem er die letzten 60 Lebensjahre sein Glück machen wird: Die Frau Mama trägt eindeutig die Züge von Dürers berühmter Mutter. Der Knabe, der das kann, steht fünf Jahre später an der Ostfront – und kann selbst im von den Deutschen angezettelten Krieg, für den er sich schämen wird sein Leben lang, das Zeichnen nicht lassen. Er fertigt 1944 Porträts der russischen Bevölkerung. Für einen, der nichts hat als sein Notabitur, erstaunlich gut.
Ludwiggalerie Oberhausen verneigt sich vor Loriot
Das ist einer der Schlenker dieser Ausstellung über einen großen Humoristen, die denen Spaß machen, die schon alles haben: Das Wum-Püppchen also, die DVD-Box mit Matratzenkauf und Lottogewinner, die Bände von Menschen und Möpsen... „Ach was“ ruft die Oberhausener Ludwiggalerie im Titel ihrer üppigen Schau aus und schenkt Fans den Blick auf 300 Ausstellungsstücke.
Und, ja, nun kommen wir zur Knollennase. Es sind wirklich nicht nur die paar Museumsschritte dorthin. Auch im Leben Vicco von Bülows prangt der Riechballon früh auf jedermanns Gesicht. Da kann er längst noch nicht von der Komik leben, da nährt ihn Werbung. Etwa im Kundengeschenk der Pegulan-Werke: ein Bündel Parodien auf zeitgenössische Architektur-Sünden („Der ideale Bauherr“), denen die fortschrittsgläubige Nachkriegsgeneration sich unterwirft. Als Hamburg 1953 die Internationale Gartenschau ausrichtet, pflanzt er zeichnend melonentragende Knollnasenträger bis zum Zinken in die Erde. Ihre zum Verwechseln ähnliche Nachbarn: Kohlköpfe.
Loriot: Fast kein Lacher ohne den berühmten Sprachwitz
Von Cartoon-Beginn an dabei: der stets unterspielende Sprachwitz, oft so ernst und vornehm formuliert, dass nur lachen kann, wer denkt. Aber auch ungekannte Wortspiele liefert der spätere Erfinder von Scrabble-Unsterblichkeiten wie „Schwanzhund“ und „Hundnase“: Als der Werbegrafiker Vicco von Bülow ein Imprägniermittel unters Volk bringen soll, setzt er dafür einen Mann an eine sehr gut bestückte Bar. Nur eine Flasche wirft der vom Tresen. Was darin ist, erahnen wir an dem einen Wort, das Loriot neben den Säufer schreibt: „wasserabweisend“.
Was die Ausstellung auszeichnet ist auch, dass sie nichts auslässt, was wir erwarten. Eine Hundertschaft von legendären Karikaturen von der Benimmfibel bis zum Tierleben, dutzende Film- und Sketchfotos. Vor allem sprechend: die vielen Entwürfe, Notizen, Skripte, Randbemerkungen, die Zeugnis ablegen, wie penibel eng Loriots präzise geschmiedetes Nadelöhr war, durch das passen musste, was am Ende Humor-Geschichte schrieb. Da mischt einer stundenlang Farbe für den idealen Kachel-Ton der „Herren im Bad“ und traut keinem Ausstatter zu, den Mutterdrachen in „Ödipussi“ mustergültig einzukleiden. Da ist jeder heimische Kleiderschrank bei von Bülows die bessere Wahl. Handschriftliche Notiz vom Meister: „Bluse kommt von uns!“
Die am wenigsten komische, die zugleich bewegendste Abteilung erzählt von einem in der alten Bundesrepublik kaum beachteten innerdeutschen Ereignis. Kirchenleute luden Loriot ein, dort, wo er 1923 geboren und getauft worden war, eine Ausstellung zu gestalten. Ihn, den Komiker, den sie aus dem Westfernsehen kannten und verehrten.
Es dauerte lang, aber Loriot kam. Selbst die vier Plakate waren handgemacht, damit man wegen der Druckgenehmigung bloß keine schlafenden Hunde weckte. Alles lief unterm Radar also, bis an einem schönen Tag 1985 Brandenburgs Dom vor Menschen überlief und die überrumpelte Stasi nahezu atemlos in einem Telefon-Protokoll peinlich zerknirscht kundtat: „Festgestellt wurden ca. 80 PKW‘s aus Bezirken der DDR, aus der VR Polen und den Niederlanden.“ Und drinnen im Dom: Der Meister, wissend, dass jedes Wort eine Gefahr für seine Gastgeber sein konnte. Und Loriot sprach: „Wie kann ich am besten nichts sagen?“, um nahtlos überzugehen zu einem seiner großen Klassiker, der Bundestagsrede aus leeren Sprachhülsen deutscher Politik.
Apropos Politik: Der ganze Stolz der Oberhausener Gastgeber ist ein sehr deutsches Weihnachtsgeschenk, wie es nur jener Loriot erdenken konnte, dem allein Kenntnislose allzu braven Bürgerhumor vorwarfen. Es ist das Kinder-Kernkraftwerk, das 1978 bei Hoppenstedts unterm Baum lag. Der strahlende Beweis, welche Bescherung die Fan-Gemeinde in Oberhausens Schloss erwartet.
Daten zur Schau
„Ach was“: 26. Januar bis 18. Mai. Ludwig-Galerie im Schloss Oberhausen. Konrad-Adenauer-Allee 46.
Geöffnet Dienstag bis Sonntag, 11 bis 18h. Montags geschlossen. An Feiertagen geöffnet.
Eintritt 12 €, ermäßigt 6 €, Kinder/Jugendliche bis 17 Jahre Eintritt frei. Das Kombiticket mit dem Gasometer Oberhausen kostet 19 €.
Ihren Reichtum verdankt die Ausstellung der Zusammenarbeit mit gleich zwei Museen. Große künstlerische Teile von „Ach was“ waren so schon in Frankfurts „Caricatura“ zu sehen. Die spannenden innerdeutschen Aspekte und andere mehr kommen aus dem Stadtmuseum von Brandenburg.
Zur Schau gibt es zahlreiche Extra-Angebote. Darunter Führungen „mit Originaltexten und Requisiten“ unter dem schönen Titel „Das Bild hängt schief“.
Eine Übersicht zu allen Details gibt es unter www.ludwiggalerie.de