Düsseldorf. Ich ganz groß und politische Schärfe: keine Gegensätze. Rückblick auf bildstarke Schaffensjahrzehnte in der Kunstsammlung NRW Düsseldorf.

Es ist diese einzigartige Melange aus ungehemmter Lust an der Selbstdarstellung und klaren, provokanten politischen Positionen: Sie macht die Fotokünstlerin Katharina Sieverding seit den 70er-Jahren zu einem Faszinosum. Und ihre Werke zu einem Spektakel für Auge und Debatte gleichermaßen. Dabei ist ausgerechnet die größte und eindeutigste Arbeit der neuen Sieverding-Ausstellung im K21 der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW am leichtesten zu übersehen. Man muss schon in den Westflügel des Ständehauses wechseln, um das 17 mal 12 Meter große Format aus ihrer „Kontinentalkern“-Serie auf dem Kubus der Piazza zu sehen: „Die letzten Knöpfe sind gedrückt“ steht da unter dem unscharf bläulich flackernden Foto des US-Bombers, der die Atombombe über Hiroshima abgeworfen hat.

Große Schau zu Katharina Sieverding in Duesseldorf
Katharina Sieverdings „Stauffenberg-Block I-XVI“, 1969). © epd | Hans-Juergen (Jürgen) Bauer

Ansonsten wird im Keller der Kunstsammlungs-Abteilung fürs 21. Jahrhundert auf sechs Jahrzehnte Schaffen der 1941 geborenen Katharina Sieverding zurückgeblickt. Erstmals gibt es Einblicke in ihr privates Archiv und somit auch eine Erinnerung daran, dass Sieverding zunächst Bühnenbilder schuf, etwa in München für den legendären Regisseur Fritz Kortner, bevor sie bei Joseph Beuys an der Akademie Meisterschülerin wurde.

Katharina Sieverding öffnet im K21 der Kunstsammlung NRW ihr privates Archiv

Das wiederum schlägt sich in der K21-Schau in vielen Fotos von den diversen Akademie-Besetzungen, Demos und Performances der Jahre nach ‘68 nieder. Katharina Sieverdings Auseinandersetzung mit Beuys war ein Wechselspiel von Debatte und gegenseitiger Anerkennung. Beuys hielt Fotografie nicht für Kunst, er gestand ihr allenfalls dokumentarischen Wert zu. Aber seine beste Schülerin hatte gerade das Polaroid für sich entdeckt und begann mit dem, was sie fortan tun sollte: experimentieren.

Große Schau zu Katharina Sieverding in Duesseldorf
Neben zentralen Werken aus fast sechs Schaffensjahrzehnten Katharina Sieverdings gibt sie erstmals auch Einblicke in ihr umfassendes Archiv als „offener Denk- und Diskursraum“. © epd | Hans-Juergen (Jürgen) Bauer

Zum ersten Tonfilm der bis heute in Düsseldorf lebenden Künstlerin „Life – Death“ lieferte 1969 die Band Kraftwerk den Soundtrack. Mit der Motorkamera nahm sich Sieverding samt ihrem Kunst- und Lebenskomplizen Klaus Mette in schönster Passbildautomaten-Manier serienweise auf, lebhaft, frivol, ironisch: mal 24-, mal 108-fach. Eine Augenweide, trotz Konzeptkunstkonzept.

Katharina Sieverding nutzt die großen Formate zum Schärfen des Blicks

Katharina Sieverdings künstlerischer Entwicklung kam auch ein zweijähriger New-York-Aufenthalt zugute. Er weitete ihren ästhetischen Horizont und ihren Sinn fürs große Format. Das nutzen andere Fotokünstler, um die Wahrnehmung des Publikums zu überrumpeln. Bei Sieverding schärfen erst die großen Formate und auch die variierenden Wiederholungen den Blick.

Große Schau zu Katharina Sieverding in Duesseldorf
Das Ich als Spielball der Kunst: Blick auf Katharina Sieverdings Serie „I-VII/196“ aus den Jahren 1973 und 1982. © epd | Hans-Juergen (Jürgen) Bauer

Ihr provokativer „Stauffenberg-Block“ aus 16 Selbstporträts im Close-Up-Format ist im K21 wie schon bei ihrem ersten Kunstsammlungs-Gastspiel 1997/98 vertreten. Ebenso ihr „Schlachtfeld Deutschland”, das 1978 die Hysterie bei der Jagd auf RAF-Terroristen ins Großformat brachte. Und ein Werk wie „Deutschland wird deutscher“ stammt nicht etwa aus unseren Tagen, sondern aus der Zeit der Wiedervereinigung 1992.

Große Schau zu Katharina Sieverding in Duesseldorf
Als 1977 in New York für Tage der Strom ausfiel, fotografierte ihr Lebens- und Kunstkomplize Klaus Mette Katharina Sieverding im Halbdunkel auf dem Dach ihres Ateliers. © epd | Hans-Juergen (Jürgen) Bauer

Zur Ausstellung

Katharina Sieverding, Kunstsammlung NRW K21, Ständehausstraße 1
40217 Düsseldorf. Haltestelle Graf-Adolf-Platz. Bis 23. März 2025. Geöffnet: Di-So 11-18 Uhr. Eintritt: 14 €, erm. 12 €. Schüler/Studierende: 5 €. Kombiticket K20 (Grabbeplatz) und K21: 20 €. Führungen: Jeden 2. Sonntag, 15-16 Uhr. Katalog: 32 €.

Von gerade zu gruseliger Ästhetik sind Arbeiten wie „Encode VII“, bei dem ein Modell des KZ Sachsenhausen überblendet ist mit einem Foto vom Eisenman-Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Oder jenes Zeitungsfoto, dessen Rasterung Sieverding bis zur Unheimlichkeit – es zeigt den Rücktransport von bosnischen Waisenkindern von Sachsen-Anhalt nach Sarajevo im Jahr 1997 – eine schlagende Antwort auf die Frage gibt, ob politische Kunst schön sein darf. So wie auch ihr Feminismus schlagend, aber cool daherkommt. Hier ist nichts zu schön, um wahr zu sein.

Mehr zum Thema