Dortmund. Dortmunds Museum Ostwall ist 75 und zeigt als Höhepunkt des Jubiläumsjahres lauter weibliche Kunst aus Expressionismus und Fluxus.
Leonie Reygers (1905-1985), die legendäre Gründungsdirektorin des Dortmunder Museums am Ostwall, war in der Nachkriegszeit lange Zeit einsam und allein auf weiter Flur: Überall waren, bis vor wenigen Jahren, die Führungsetagen der Museen an Rhein und Ruhr männlich dominiert. Aber nun kommen die Frauen mit Macht: In der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW, der Staatsgalerie des Landes, hat nach Marion Ackermann mit Susanne Gaensheimer schon die zweite Frau das Chef-Ruder in der Hand und auch das Duisburger Lehmbruck Museum leitet bereits seit 2013 mit Söke Dinkla eine Direktorin.
Noch relativ neu in der Direktion sind Noor Mertens (seit 2021) im Kunstmuseum Bochum, Linda Walther seit zwei Jahren im Bottroper „Quadrat“ und ähnlich lange Julia Höner im Kunstmuseum Gelsenkirchen sowie Stefanie Kreuzer seit Herbst 2023 im Kunstmuseum Mülheim. Verglichen damit ist Christine Vogt, die seit 2008 die Ludwiggalerie Oberhausen leitet, schon die Vorreiterin des Trends.
Jedenfalls hat dieser Paradigmen- und Generationenwechsel Folgen. Denn auch die Kunst in den Museen, die ebenfalls über Jahrzehnte hinweg bis auf wenige Ausnahmen fast durchweg von Männerhand stammte, wird immer weiblicher. Die Kunstsammlung NRW prunkt derzeit mit einer Yoko-Ono-Ausstellung, und in der kommenden Woche wird dort eine Schau über die Beuys-Meisterschülerin und Fotografie-Pionierin Katharina Sieverding eröffnet. Gegenüber am Düsseldorfer Grabbeplatz präsentiert die Düsseldorfer Kunsthalle ganz groß die Textil-Künstlerin Sheila Hicks, deren Werke zugleich auch im Bottroper „Quadrat“ zu sehen sind. Im Kunstmuseum Bochum lassen sich mit Ree Morton und Natalie Häusler zwei sehr unterschiedliche Künstlerinnen kennenlernen.
„Sagt den Leuten, wer ich bin“, sagte die Keramikerin Vally Wieselthier zum US-Präsidenten Roosevelt
Und nun zeigt das Museum Ostwall im Dortmunder U, wo Regina Selter seit 2022 zur Leitung gehört und seit Beginn dieses Jahres alleinverantwortlich ist, zwei Ausstellungen in einer – zusammengehalten durch die Klammer „Kunst von Frauen“: Künstlerinnen im Expressionismus hier und in der Fluxus-Bewegung dort. Der etwas ambitioniert auf internationales Publikum zielende Titel „Tell these people who I am“ stammt von der überragenden österreichischen Keramik-Künstlerin Vally Wieselthier (1895-1945). Nachdem sie in die USA emigriert war, wies sie den Präsidenten Franklin D. Roosevelt mit diesen Worten an, man möge den Leuten sagen, wer sie ist. Neben ihr und ihrer rätselhaft verschwundenen Schülerin Kitty Rix stellt die Schau sechs weitere Expressionistinnen vor.
Als erstes aber trifft man auf – Fußballer! Läufer! Polospieler! Grandiose Bronzeskulpturen von Reneé Sintentis, deren Name noch am ehesten vertraut ist. Dem rollengemäßen Standard entsprechend sind die Männerfiguren von Kraft und Dynamik durchdrungen, während die weiblichen Ruhe ausstrahlen und Bewegung in Gestalt von „Daphne“, der schönsten Skulptur hier, mehr in Eleganz und in sich ruhendes Selbstvertrauen übergeht.
Der erste abendfüllende Trickfilm der Geschichte stammte von Lotte Reiniger
Die Stelle der Malerei nimmt statt der erwartbaren Gabriele Münter die in Auschwitz ermordete Niederländerin Else Berg ein, die stets etwas Geheimnisvolles, Dunkles in ihre Landschaften und (Selbst-)Porträts mischte. Lotte Reiniger wiederum wird als Urheberin des ersten abendfüllenden Trickfilms der Geschichte vorgestellt, an dem sie von 1923 bis ‘26 arbeitete: „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ beruhen auf hintereinandergeschalteten Scherenschnitten, in denen sogar Frauen beim Nacktbaden gezeigt werden konnten. Die Story des Films beruht, zeitbedingt, nicht unwesentlich auf Klischees. Aber seine Machart (samt der eigens dafür komponierten Musik) strahlt einen gewissen Zauber aus, was in einem Kabinett der Ausstellung zu erleben ist.
Die Fotografin Madame D‘Ora, bekannt durch exaltierte Bilder der Nackttänzerin Anita Berber und ihres Tanzpartners Sebastian Droste, die Grafikerin Emma Schlangenhausen, die rheinische Expressionistin Martha Worringer – dass sie alle weniger bekannt wurden und blieben als ihre männlichen Kollegen, hat rein gar nichts mit ihrer künstlerischen Qualität zu tun. Eher mit Verhältnissen, in denen die Künstlerinnen-Gang „Guerilla Girls“ noch 1989 ironisch fragen konnten, ob Frauen eigentlich immer nackt sein müssten, um im Museum gezeigt zu werden.
Nam June Paik und das Museum Ostwall huldigen der großen Charlotte Moorman
Und selbst in so freigeistigen, anarchisch-rebellischen, antibürgerlichen Bewegungen wie dem Fluxus der 1960er- und 70er-Jahre standen Frauen meist in zweiter Reihe. Das versucht die zweite Ausstellung ein wenig auszugleichen, indem Werke von Alison Knowles, Carolee Schneemann oder auch ein „Vagina Painting“ von Shigeko Kubota präsentiert werden. Es fällt auf, wie oft die Fluxus-Frauen zu Scherz, Satire, Ironie und schieferer Bedeutung greifen, um ihre subversiven Anliegen zu verfolgen. Oft auch mit Fotos und Filmen. Der 17-Minuten-Streifen von Polvo de Gallina Negra, in dem ein Mann in Talkshow-Manier zur „Mutter für einen Tag“ umgemodelt wird, ist so erzkomisch wie Martha Roslers grimmig zelebrierte „Küchensemantik“, die beide auch jüngst schon in der Ausstellung „Kochen Putzen Sorge“ im Bottroper Quadrat zu sehen waren. Von der großen Musik-Performerin Charlotte Moorman ist ein „Bomben-Cello“ zu sehen und eine Hommage von Nam June Paik, der mit ihr die Lust am Tabuverletzen teilte.
Was jenseits von Filmen und Fotografien an Werke vom Fluxus übrigblieb, erinnert allerdings oft nicht anders als Vitrinen von Beuys an Reliquienschreine: stumme, ansehnlichkeitsverweigernde Zeugen eines einst revolutionären Live-Geschehens.
Zur Ausstellung
Die Ausstellung läuft bis zum 23. März 2025 und ist der Höhepunkt des Jubiläumsjahrs 75 Jahre Museum Ostwall. Im Begleitprogramm gibt es Performances, Familiensonntage und Filmvorführungen; für Kitas und Schulklassen sind buchbare Workshops und Ausstellungsgespräche im Angebot. Internet: dortmunder-u.de/museum-ostwall/ Geöffnet: Di/Mi/Sa/So: 11-18 Uhr; Do/Fr: 11-20 Uhr. Eintritt: 9 €, erm. 5 €.