Gelsenkirchen. Das Kunstmuseum Gelsenkirchen zeigt zum 40-Jährigen des Neubaus seine Sammlung in neuem Licht. In einem Punkt ist man auf „MoMa-Standard“.

„Und so etwas steht in Gelsenkirchen!“, sollen schon häufiger Menschen beim Anblick des Musiktheaters im Revier ausgerufen haben. Bald können sie hinzufügen: „Und so etwas hängt in Gelsenkirchen!“ Ein frühes Schwarz-Weiß-Gemälde von Gerhard Richter („Korridor“), eine surreale Landschaft mit Kassettendecke von René Magritte, ein Selbstbildnis von Max Liebermann mit Küchenstilleben, das er für seine Eltern gemalt hatte... Die Sammlung der Gemälde, Grafiken und Fotografien ist reich an klingenden Namen von Paula Modersohn-Becker über Max Pechstein und Ernst Ludwig Kirchner bis zu Andy Warhol. Mit einer neuen Präsentation dieser Sammlungshöhepunkte feiert das Kunstmuseum der Stadt Mitte September den 40. Geburtstag seines Neubaus.

Es ist die erste Großtat von Museums-Chefin Julia Höner, die seit Dezember 2022 im Amt ist: Sie hat, „mit freundlicher Unterstützung des Baudezernats“, etliche Zwischenwände und Sichtblenden entfernen lassen, so dass der postmoderne Bau des Gelsenkirchener Architekten Albrecht Egon Wittig wieder in seiner Exzentrik, also mit den vielen Mittelpunkten und Perspektiven erkennbar, erlebbar geworden ist. Ihr Vorhaben, „die Architektur zu klären“, ist Julia Höner geglückt. Wichtiger aber: Die Glanzstücke der Sammlung kommen besser denn je zur Geltung, etwa die „Assunta“-Skulptur von Georg Kolbe nunmehr mit Raum nach oben.

Kinetische Kunst wurde in den Mittelpunkt gerückt

Erst recht in ein neues Licht gerückt ist die Sammlung von kinetischer Kunst – und so etwas steht auch in Gelsenkirchen! Mit rund 80 Werken, also Skulpturen, Installationen oder Collagen, die sich in irgendeiner Art und Weise bewegen, verfügt Gelsenkirchen über eine der deutschlandweit größten und bedeutendsten Zusammenstellungen dieser Art: Und es sind fast durchweg Skulpturen, die den Menschen im Museum einbeziehen wollen, die sich nicht nur selbst bewegen, sondern auch alle, die vor ihnen stehen – und sei es nur zum Drücken des Knopfes, der sie bewegt. Den hat Julia Höner übrigens vereinheitlichen lassen, es sind jetzt immer edelstahl-glänzende Knöpfe auf einer weißen Box, etwas mehr als fingerkuppengroß und edel-unauffällig.

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Die kinetische Kunst kommt aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren und wollte mal die prinzipielle Veränderbarkeit der Welt veranschaulichen, mal die heiteren, kuriosen Seiten der (elektrifizierten) Mechanik. Nun ist dieser Sammlungs-Schatz aus dem Untergeschoss in die wichtigste Galerie des Hauses gewandert. Hier hingen früher die Bilder der klassischen und jüngeren Moderne. Geblieben ist allerdings das großartige Gemälde „Komposition aus Maschinenteilen (Gewächse)“ der Dadaistin Hannah Höch, das den passenden Auftakt zur Kinetik bildet.

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Außerdem gibt es ein neu gewonnenes „Blaues Zimmer“, das früher Teil des Depots war: „Hier wollen wir künftig unsere Grafik ausstellen, alle drei Monate wechselnd“, sagt Julia Höner, wohl wissend, dass die über 3000 Werke umfassende Grafik-Sammlung des Hauses da viel Abwechslung bieten wird. In den Anfängen der 1920er-Jahre wurden als Fundament noch Drucke Rembrandt angekauft, längst aber gibt es Mappenwerke von Pop-Art-Künstlern und Chagall oder Aquarelle und Holzschnitte von Expressionisten, eine Gouache von Max Ernst und etliche Siebdrucke und anderes vom Gelsenkirchener Säulenheiligen Anton Stankowski, dem Grafiker, der noch viel mehr als das Logo der Deutschen Bank entworfen hat und übrigens auch ein früher Meister der Fotografie war.

Bereits 3000 Werke digital sichtbar gemacht

Einen ersten Eindruck von der Fülle und Qualität der hauseigenen Sammlung kann man sich übrigens auf der Homepage des Museums verschaffen, die seit einem Dreivierteljahr, da ist die Chefin nicht wenig stolz, technisch „auf MoMA-Standard ist“, also dem des Museum of Modern Art in New York. Hier sind bereits jetzt über 3000 Werke sichtbar, „auf Dauer werden wir die gesamte Sammlung dort zeigen können“, freut sich Julia Höner. In digitaler Form können sich die Leute dort ihr eigenes Museum bauen, als PDF-Datei speichern und im Internet teilen.

Aber das mit dem Digitalen ist für Höner „wichtig als Flankierung der Museumsarbeit. Im Zentrum steht, dass die Menschen hierher kommen und andocken können mit ihren eigenen Erfahrungen. Diese Maßgabe soll auch für die künftigen Wechselausstellungen zur aktuellen Kunst gelten. Auch das Musiktheater im Revier unterstützt das Museum, die Kompagnie von Giuseppe Spota hat zur großen Begeisterung der Hausherrin und des Publikums schon in den Räumen getanzt.

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Und mehr Transparenz gehört auch zum Programm: Beim Selbstbildnis von Max Liebermann etwa ist nicht restlos aufgeklärt, wo es war, bevor es nach Gelsenkirchen kam – so etwas wird künftig neben den Bildern vermerkt. Als im Falle von Lovis Corinths „Bacchanale“-Gemälde klar wurde, dass es der frühere Besitzer-Familie auf Druck der Nazis verkaufen musste, hat Gelsenkirchen das Bild den Erben trotz einer bereits geleisteten Entschädigung 2016 zurückerstattet. Heute ist es im Landesmuseum Hannover zu sehen.