Bottrop/Düsseldorf. Sechs Meter hohe Kuschelecken und Wasserfälle aus Wolle: Die neusten Karrierestationen für die 90-jährige Großmeisterin der Textilkunst.

Im neunten Lebensjahrzehnt hat die Kunstkarriere von Sheila Hicks noch einmal so richtig Fahrt aufgenommen, eine Einladung zur Biennale in Venedig und eine „Lebenslinien“-Ausstellung im Centre Pompidou ihrer Wahlheimatstadt Paris sind zwei Ritterschläge von vielen. Und nun eine Ausstellung in gleich zwei Avantgarde-Tempeln für die Textilkünstlerin, dem Bottroper Quadrat und der Düsseldorfer Kunsthalle. Zusammengenommen eine Art Retrospektive. Wobei sinnigerweise im Quadrat mehr von den älteren Arbeiten der einstigen Studentin von Josef Albers zu sehen sind, während in Düsseldorf der Akzent mehr auf den neueren Arbeiten liegt bis hin zu einer Stoffecke, die Sheila Hicks aus Textilfunden vor Ort spontan als zwinkernde Hommage an Beuys arrangierte.

Sheila Hicks Kunsthalle Düsseldorf.
Sheila Hicks in ihrer sechs Meter hohen Kuschelecken-Installation „Saffron Sentinel“ („Safranwächter“) in der Kunsthalle Düsseldorf. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Überhaupt: Die 90-Jährige ist mit Haut, Hirn und Haaren mit ihrer Kunst verwoben. Die hoch gewachsene Frau setzt sich in einer Ecke der Kunsthalle vor einem Pulk aus Pressemenschen (selbst das schwedische Fernsehen ist dabei) in den sechs Meter hohen Berg aus riesigen Stoffballen, den sie in einer Ecke der Düsseldorfer Kunsthalle arrangiert hat. Die Ballen („Safran-Wächter“ heißt die Arbeit) bilden eine Kuschel-Insel in dem kühlen Bau, farblich changieren sie von Rot, Rosa und Orange nach Gelb, Grün und Weiß, die 70er sind ja eh wieder in.

Gegenüber fließt aus dem 1. Stock ein Wasserfall aus fingerdicken Wollsträngen herunter, und Sheila Hicks will, dass man sie anfasst („vorsichtig, natürlich!“), dass man spürt, ihre Kunst soll eine sinnliche Erfahrung sein. „In meinem Atelier mache ich das oft, dass wir die Augen schließen und gegenseitig unsere Kleidung betasten, um zu raten, welcher Stoff das ist.“

Vorbesichtigung Ausstellung, Sheila Hicks, Museum Quadrat in Bottrop
Textilkunst von Sheila Hicks auch im Bottroper Museum Quadrat. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Sheila Hicks hat die Textilkunst (die Anni Albers am Bauhaus studierte und lehrte) von der Gebrauchs- in die freie Kunst überführt. Ihre Bilder, mit Fäden umwickelt, sind Leinwände im doppelten Sinne – Leinen ist neben Wolle ein häufiges Material. Das führt zu Flach-Reliefs wie das fünf Meter breite „Voltaire“, aber auch zu „Minimes“, kleineren Arbeiten, die in Hand-Webrahmen entstehen und in die sie gelegentlich auch Muscheln, Steine, Haare, Stachelschweinstacheln oder Federn einwebt. In diesen kleinen Arbeiten (die in Düsseldorf leider abgedunkelt hängen) erfüllt sich Sheila Hicks‘ Bildprogramm von „Farbe mit Struktur“ aufs Schönste, es sind abstrakte wie konkrete Gemälde aus Stoff.

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Ihre „Boules“, mit Fäden umwickelte Objekte, sind schon einzeln eine Augenweide; aber wenn sie deren flache Varianten zu Wandinstallationen arrangiert, wie sie sowohl in Düsseldorf als auch (noch größer und noch schöner) auch in Bottrop zu sehen sind, scheinen sie miteinander zu sprechen, zu wispern und glühen leise vor sich hin: Da verschwindet die Grenze zwischen Malerei und Skulptur vollends. Unverwechselbar Sheila Hicks. Mal sehen, wie ihre Werke im kommenden Jahr im Schloss Herrenchiemsee wirken werden, dem Versailles von Ludwig II. – ihrer nächsten Karrierestation.

Sheila Hicks. Bis 23. Februar Kunsthalle Düsseldorf (Grabbeplatz 4, Düsseldorf, Di-So 11-18 Uhr/Quadrat Bottrop, Anni-Albers-Platz 1, Bottrop, Di-Sa 11-17 Uhr, So 10-17 Uhr). Ein Katalog erscheint später. Umfangreiche Begleitprogramme unter quadrat.bottrop.de sowie https://www.kunsthalle-duesseldorf.de/