Mülheim/R. Im Kunstmuseum Mülheim übernimmt im Oktober Stefanie Kreuzer das Ruder. Sie weiß nur ungefähr, wann das seit 2018 sanierte Haus wieder öffnet.
Sie hat „etwas länger“ studiert, weil es ihr an der Uni so gefallen hat – aber dann lernte sie im Hamburger Bahnhof von Berlin das Museumsleben kennen. Da ging es ganz schnell mit der Promotion, im Museum fand es Stefanie Kreuzer (Jg. 1966) noch besser als an der Universität. Nach einem Volontariat in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW ging es zunächst nach Aachen an den Neuen Kunstverein, dann an das Leverkusener Schloss Morsbroich, wo sie half, die Schließung des Museums zu verhindern. 2020 wechselte sie ans Bonner Kunstmuseum, bald wird sie das Mülheimer Kunstmuseum leiten.
Frau Kreuzer, wissen Sie denn, wann Sie das Museum, dessen Chefin sie ab Oktober sind, wieder eröffnen können?
Wir denken, dass es im nächsten Frühjahr sein wird.
Ein Datum haben Sie noch nicht?
Genauer kann ich es nicht einkreisen. Wir sind aber sehr optimistisch.
Wissen Sie, was die Bauleute noch machen müssen?
Ja, es geht jetzt zuletzt um Brandschutztüren und darum, die Klimaanlage zu testen. Es sieht nach Endspurt aus. Aber da ist ja auch logistisch etwas zu leisten, die ganze Sammlung muss zurück ins Haus.
Sie wissen, was für eine Sammlung Sie hier in Mülheim erwartet? Ach, Sie werden es wissen…
Na, man kennt die Sammlung nie ganz! Man weiß natürlich, was die Highlights sind. Aber eine Sammlung ist wie ein Mosaik und die Werke darin sind allesamt wichtig. Man kann damit oft die Signatur einer Zeit klarmachen, in unterschiedlichen Formen. Und dann gibt es beiläufigere Sachen, Zeichnungen etwa oder Skizzen, die von der Idee eines Hauptwerks getragen sind, aber noch viel mehr verraten können über das Experiment, die Suche nach der richtigen Form. Deshalb ist es wichtig, dass man neugierig bleibt und auch mal in den Archiven wühlt. Ich hab die Erfahrung gemacht, dass es da schöne Überraschungen gibt: Schätze, die man finden kann.
Einer der Schwerpunkte der Sammlung ist zusammengetragen vom Chemie-Nobelpreisträger des Jahres 1963, Karl Ziegler und seiner Frau Maria, eher liebhaberisch als nach kunsthistorischen Kriterien zusammengetragen. Und dann haben sich Expressionismus und Klassische Moderne ja doch ein bisschen abgenutzt…
Sie möchten jetzt vielleicht, dass ich widerspreche. Aber ich sage nur: Es ist für meinen Ansatz total wichtig, Kunst auch aus diesen kunsthistorischen Kategorien zu befreien, um einen Zugang zu ermöglichen, der über die Betrachtung, über die Anschauung geht. Ich kann natürlich sagen, das ist 100 Jahre alt, Expressionismus, dann habe ich eine Schublade und kann das da reinlegen.
Aber?
Aber ich kann auch fragen: Warum interessiert es mich heute noch? Was daran ist für mich jetzt spannend? Was kann es mir heute noch sagen? Ich glaube nämlich, dass Kunst genau das kann: Über Zeiten hinweg kommunizieren mit den Menschen, uns berühren, im Herzen, emotional. Das macht mir Freude, diesen Mehrwert von Kunst herauszukitzeln. Kunst lässt uns Erfahrungen auf mehreren Ebenen machen, dass ist der Sinn, wozu sie da ist. Ich kann eine Erfahrung vor einem Kunstwerk machen, das hunderte von Jahren alt ist, und es damit trotzdem aktuell finden, relevant für meine Zeit. Und das muss möglich sein außerhalb von klassischen kunsthistorischen Kategorien, die ihren Sinn haben. Aber unsere Besucherinnen und Besucher müssen doch keine kunsthistorische Vorbildung haben! Sie sollen, sie dürfen einfach mal schauen! Und sehen, was passiert, mit mir, wenn ich es betrachte.
Und was ist Kunst für Sie persönlich?
Nicht etwas, was als letztes in der Kette drankommt, wenn man sonst schon alles hat. Für mich ist sie die Basis unseres Zusammenseins. Sie kommuniziert, sie schafft Ideen, bringt uns in den Dialog mit uns selbst, mit anderen, dem ganz Anderen. Und sie gibt das Gefühl, verbunden zu sein. Das ist ganz wichtig in unserer Welt. Kunst kann uns aber nur bereichern, wenn wir die Schranken abbauen, die für einige noch existieren. Dass man Angst hat, auf Kunst zuzugehen. Zum Beispiel wegen der kunsthistorischen Kategorien. Die Abteilung „Bildung und Vermittlung“ am Museum ist wahnsinnig wichtig!
Kriegen Sie das auch mit Heinrich Zille hin? Das ist ja ein anderer Schwerpunkt der Sammlung, angeblich die größte Zille-Sammlung jenseits von Berlin…
Ja. Die Expressionisten, die Klassische Moderne, der Zille, die Plakate von Beuys, die Arbeiten im öffentlichen Raum: Es gibt hier im Haus unterschiedliche Perspektiven. Aber ein Punkt ist, dass sie sich alle mit der Gesellschaft auseinandersetzen. Der Expressionismus wollte ja auch durch diese neue Formensprache gesellschaftliche Normen aufbrechen und neue dadurch definieren. In der Reflexion des Gesellschaftlichen haben die verschiedenen Sammlungs-Schwerpunkte einen gemeinsamen Nenner.
Kunst im öffentlichen Raum? Das klingt danach, als hätten Sie sich in Mülheim schon umgesehen.
Ja, für mich ist es sehr schön: ein 24-Stunden-Pop-Up, überall kann ich Kunst sehen, jederzeit! Tatsächlich habe ich Fahrradtouren gemacht, sonntags mit einem Klapprad und habe mich ziellos durch die Stadt treiben lassen.
Und?
Ich habe sehr unterschiedliche Strukturen gefunden. Manchmal sehr mondän, manchmal sehr viel Natur, wunderschön, manchmal hart mit Leerstand. Wenn Sie das Museum im Frühjahr 2024 wiedereröffnen, wird es sechs Jahre geschlossen gewesen sein – das ist ein Zeitraum, in dem sich Menschen auch daran gewöhnen können, nicht mehr ins Museum zu gehen. Und es wird nicht besser durch Corona-Erfahrungen. Deshalb denke ich, dass wir hier mit einem großen Fest-Bang eröffnen müssen! Um wieder sichtbar zu werden. Aber das wird ja auch gelingen, weil man mit der Sammlung eine tolle Basis hat.
Was ist für Sie eigentlich wichtig jenseits von Kunst?
Essen, oder? Kochen. Reisen finde ich auch super. Das macht mir wahnsinnig Freude. Ich bin neugierig, wenn ich reise, was es zu essen gibt, das ich noch nicht kenne. Auf Märkten, aber auch im Supermarkt nebenan. Und gucke auch, wie etwas verpackt, wie etwas designed ist. In Mexiko zum Beispiel, ha! Aber auch ganz klassisch in Italien.
Zurück zum Museum: Sie waren lange in Morsbroich bei Leverkusen, wo sie um den Erhalt des Museums kämpfen mussten; sie waren dann am Kunstmuseum in Bonn, wo ein solches Haus sehr viel selbstverständlicher ist. Was denken Sie, was Sie in Mülheim erwartet?
Ich kann’s im Moment gar nicht einschätzen, weil das Haus so lange geschlossen war. Ich hoffe, dass die Menschen uns erst einmal mit Neugierde begegnen. Ich habe miterlebt, wie das K21 als zweiten Standort der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen neu eröffnet wurde, ich war damals wissenschaftliche Volontärin dort. Dieser Schwung des Neuen, in dem man euphorisiert ist, das bedeutet eine großartige Chance! Diesen Schwung wollen wir mitnehmen und verwandeln! Mit Bildung, Kommunikation, mit Ausstellungs-Spotlights und -Schwerpunkten. Es sollen tausend kleine Feuerwerke werden!
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Das 1909 gegründete Mülheimer Kunstmuseum residiert seit 1994 im ehemaligen Hauptpostgebäude der Stadt. Es wurde unter der Leitung der Kunsthistorikerin Karin Stempel zehn Jahre lang umgebaut. 2008 und 2009 waren erneut Modernisierungen fällig. Auch Beate Reese, die Vorgängerin von Stefanie Kreuzer, fing auf einer Baustelle als Direktorin an. Seit 2018 ist das Mülheimer Museum zur Sanierung geschlossen.