Essen/Düsseldorf. Eine Studie zeigt: Auf Events ist Besuchern das Thema Nachhaltigkeit nicht wichtig. Ein Forscher erklärt, wie sich das ändern könnte.

Der letzte Akkord ist verklungen, die Besuchermassen sind abgereist – danach wirkt ein Festivalgelände oft wie ein verlassenes Schlachtfeld: Überall verstreut liegen kaputte Zelte, Müllberge türmen sich auf, der Boden ist stark in Mitleidenschaft gezogen. Im Alltag bemühen sich viele Menschen, nachhaltiger zu leben, steigen aufs Fahrrad um, reduzieren ihren Fleischkonsum. Doch in manchen Bereichen scheint der grüne Gedanke zu verblassen – etwa beim Flug in den Urlaub oder beim Festivalbesuch. Dabei ist der produzierte Müll noch nicht mal das größte Problem.

Festivals sind ein großer Wirtschaftsfaktor, haben aber gleichzeitig eine sehr schlechte Klimabilanz. Millionen Menschen besuchen jährlich Events, reisen dafür teilweise quer durchs Land oder fliegen sogar hin. Laut einer aktuellen Studie der IST-Hochschule für Management in Düsseldorf legen nur 9,6 Prozent der befragten 3500 Festivalfans bei ihrem Besuch Wert auf Nachhaltigkeit – unabhängig von Alter, Geschlecht oder sozialem Status. Festivalforscher Prof. Dr. Matthias Johannes Bauer, der die Studie begleitete, erklärt, warum das Umweltbewusstsein auf Festivals verblasst und wie Events nachhaltiger werden können.

Nachhaltigkeit auf Festivals: „Ein Wochenende der krisenreichen Welt entfliehen“

„Es ist der Eskapismus, der die Menschen auf Festivals zieht“, erklärt Bauer. Ein Wochenende lang ohne Nachrichten über Kriege, Klimakrisen und andere Weltprobleme. „Für viele bedeutet das auch eine Auszeit vom ständigen Druck davon, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen zu müssen.“ Den Festivalgästen pauschal Desinteresse an Umwelt- und Klimaschutz zu unterstellen, sei jedoch falsch. Andere Dinge würden einfach in den Vordergrund treten – wie das Line-up und die Zeit mit Freunden. „Viele erleben das Festivalgelände als eine Art „Liminal Space“, einen Grenzraum, in dem die Realität sich anders anfühlt und vieles möglich scheint.“

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Bauer: „Und wer sagt: ,Jetzt lasst den Leuten doch einmal ihren Spaß, ohne mit dem Finger auf sie zu zeigen´, da sage ich: Niemand will Festivals verbieten. Im Gegenteil. Aber es gibt Möglichkeiten, auch hier etwas für die Umwelt zu tun.“ Mit der richtigen Strategie könne selbst der größte Partygänger zum Umweltschützer werden – ganz ohne seinen Spaß zu verlieren. „Doch nur die Besucher in die Pflicht zu nehmen, greift zu kurz – bei vielen Dingen sind die Organisatoren gefragt“, sagt der Forscher.

Müll ist oft noch das kleinste Problem auf Festivals. Durch Strategien wie „Nudging“ könnte man aber Menschen mehr für das Thema Umweltschutz sensibilisieren. Zum Beispiel könnte ein Basketballkorb über einem Mülleimer die Menschen spielerisch dazu auffordern, ihren Abfall zu entsorgen.
Müll ist oft noch das kleinste Problem auf Festivals. Durch Strategien wie „Nudging“ könnte man aber Menschen mehr für das Thema Umweltschutz sensibilisieren. Zum Beispiel könnte ein Basketballkorb über einem Mülleimer die Menschen spielerisch dazu auffordern, ihren Abfall zu entsorgen. © IST-Hochschule

Das sind die größten Klimakiller auf Events

Sichtbare Dinge, wie der Müll, der auf dem Boden landet, sind laut Bauer nur das kleinste Problem. „Die größten Klimakiller sind Mobilität, Ernährung und Energie. Da ist der CO2-Ausstoß besonders hoch.“ Die Anreise der Fans mit dem Auto sei dabei besonders schlecht für die Umwelt. Das liege häufig an den Rahmenbedingungen der Events: Findet ein Festival innerstädtisch statt, ist es viel einfacher, mit der Bahn anzureisen. Die meisten großen Festivals seien aber „weiter draußen“.

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Hier sollten Behörden und Organisatoren aktiv werden: Zum einen könnte ein kostenloses Bahnticket in den Eintrittspreis integriert werden, zum anderen könnten Shuttle-Busse von den Bahnhöfen zu den Veranstaltungsorten bereitgestellt werden. Bei mehrtägigen Events müssen die Besucher oft nicht nur Kleidung, sondern auch eine komplette Campingausrüstung mitbringen. „Mit dem Zug ist das natürlich umständlicher als mit dem Auto“, sagt Bauer. Einige Veranstalter reagieren bereits darauf und bieten Supermärkte direkt auf dem Gelände an. So gibt es etwa bei „Rock am Ring“ einen eigenen Lidl-Store, wodurch die Besucher ihre Verpflegung nicht mitschleppen müssen.

Prof. Dr. Matthias Johannes Bauer 

„Wenn Nachhaltigkeit den Fans nicht so wichtig ist, sind die Veranstalter umso mehr gefragt.“

Prof. Dr. Matthias Johannes Bauer 

„Das nachhaltigste Festival ist natürlich das, was es nicht gibt – aber Freizeitaktivitäten einzustellen, kann ja nicht die Lösung sein. Da müssten wir beim Fliegen und Autofahren anfangen“, sagt Bauer. Stattdessen müssten Strategien entwickelt werden, die ein umweltfreundlicheres Feiern ermöglichen. Wenn Nachhaltigkeit den Fans nicht so wichtig ist, seien die Veranstalter umso mehr gefragt. Statt Fleisch, Wegwerfgeschirr oder Chemietoiletten sollten sie zum Beispiel mehr auf veganes, regionales Essen, Pfandgeschirr und kompostierbare Toiletten setzen. Einfach ist das nicht. Denn nicht in jeder Infrastruktur seien umweltfreundliche Alternativen ohne weiteres realisierbar. Die Konsequenzen sind teilweise: Mehr Kosten, die auch auf die Tickets umgelegt werden.

„Bei vielen Festivals findet schon ein Umdenken statt“

„Wenn die Tickets teurer werden, kann es natürlich sein, dass sich Gäste umorientieren und andere Festivals besuchen“, sagt Bauer. Und wenn die Leute nicht mehr kommen, gebe es das Festival irgendwann nicht mehr, falle eine Wirtschaftsmacht weg, die auch ganze Regionen belebt. „Das ist ja nicht das Ziel und deswegen ist das Thema so komplex.“ Vor allem kleinere Festivals hätten es schwerer, ihre Fangemeinschaft dann an sich zu binden, weil sie noch keine so große Marke seien und oft auch ehrenamtlich organisiert werden. Dazu komme, dass es immer mehr Festivals gebe, die Konkurrenz also immer größer werde.

Um Festivals langfristig klimafreundlicher zu gestalten, seien Besucher und Veranstalter gefragt. Nachhaltigkeit müsse einfach attraktiver gemacht werden. „Wenn Dinge teurer und komplizierter sind, dann funktioniert es leider häufig nicht“, so Bauer. Es sollte mehr Aufklärung und Transparenz über die Verwendung der Eintrittsgelder geben. Seit einiger Zeit könnten Festivals sich zum Beispiel mit dem „Blauen Engel“ zertifizieren lassen, dem Umweltsiegel des Bundesumweltamtes. Auch darauf könnten Gäste dann achten.

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Beim Parookaville beispielsweise, einem der größten Festivals in Deutschland, gibt es unter anderem Strategien zur Müllvermeidung, Recyclingstationen, es werden vermehrt lokale Akteure angefragt oder Sanitäranlagen eingerichtet, die das Wasser aus Duschen und Waschbecken aufbereiten und für Toilettenspülungen wiederverwenden. Auf großen Festivals gibt es häufig schon „Green-Camping“-Bereiche, in denen mehr recycelt und auf Nachhaltigkeit geachtet wird. Teilweise würden Veranstalter auch versuchen, beim Buchen der Künstlerinnen und Künstler mit anderen Festivals zu kooperieren, damit die Acts insgesamt weniger reisen, weiß Bauer.

Einige Veranstalter rufen ihre Gäste zunehmend auch zur Müllvermeidung und -trennung auf. Beim „Trasholution“-Projekt des Veranstalters FKP Skorpio, der etwa das „Hurricane“ und das „Southside“ organisiert, bringt jeder abgegebene Müllsack einen Euro für regionale soziale Projekte. Ist ein Projekt finanziert, beginnt die Sammlung für das nächste. „Wir sehen, dass seit längerem ein entsprechendes Engagement in der Branche stattfindet, aber am Ende kommt es auch auf die Fans an“, so der Festivalprofessor.

Die Erhebung wurde von der IST-Hochschule in Düsseldorf vom 2. Januar 2023 bis zum 24. Februar 2023 online durchgeführt. Insgesamt gingen 3503 auswertbare Fragebögen in die Studie ein. Grundvoraussetzung für die Teilnahme war, dass die Befragten schon mindestens einmal ein Festival besucht haben.

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