Duisburg. Zögerlicher Beifall für die Ruhrtriennale-Inszenierung von Romeo Castelucci in der Duisburger Kraftzentrale. Jubel und Ovationen für Huppert.

Der Beifall der gut 600 Menschen nach gut 90 Minuten in der ausverkauften Kraftzentrale des Landschaftsparks Nord setzt nur zögerlich ein. Zu sehr haben Romeo Casteluccis Bilder vom Widerstreit zwischen Masse und Individuum, zwischen Gesetz und Liebe, zwischen Machtzwang und Begehren das Publikum verwirrt – vielleicht sogar mehr noch die verstörenden Sounds, die sich krachend, donnernd, zirpend zu einer Musik des Unheils vereinen. Doch dann, als Isabelle Huppert auf die Bühne zurückkehrt, bricht der Jubel sich Bahn, der Applaus donnert, die Ovationen werden im Stehen dargebracht. Nicht zuletzt im Wissen, hier einen Weltstar, den man nur auf der Kino-Leinwand oder auf dem heimischen Fernsehschirm zu sehen gewohnt ist, leibhaftig erlebt zu haben.

Bérénice
Das Licht im Bühnennebel: Isabelle Huppert als Bérénice. © Alex Majoli | Alex Majoli

Das eher selten gespielte Stück des französischen Erz-Klassikers Jean Racine (1639-1699, „Phädra“), aus dem Regisseur Castelucci ausschließlich, aber komplett die Worte der Titelheldin filetiert hat, handelt vom römischen Kaiser Titus, der von einem Feldzug in Palästina die jüdische Prinzessin Bérénice mit nach Rom bringt, in die er sich Hals über Kopf verliebt hat, vor fünf Jahren schon. Doch der Senat und das Volk sind gegen eine Heirat der beiden, als Titus Nachfolger seines verstorbenen Vaters Vespasian auf dem römischen Cäsarenthron werden soll. In der Machtprobe macht Titus einen Rückzieher – und trennt sich, dem Thron zuliebe, von Bérénice, obwohl er ihr doch ewige Liebe geschworen hat und was man so sagt als zutiefst Verknallter.

Isabelle Huppert (71) ist der Leitstern im Wabern des Bühnennebels und der Symbole

Wie diese vor den Kopf und tief ins Herz gestoßene Liebende zuerst im Unglauben umherirrt, wie sie allmählich erkennt, dass ihre (und Titus‘) tiefsten Gefühle der Staatsräson geopfert werden sollen, das zelebriert die unvergleichliche Isabelle Huppert mit einer Seelenstudie erster Güte. Titus muss seinen Entschluss gegen seine eigenen Gefühle durchsetzen, das unterwirft Bérénice einem noch grausameren Hin und Her.

Bérénice
Bérénice fügt sich sträubend, wimmernd, krächzend, um Fassung ringend in ihr Schicksal: Isabelle Huppert glänzt in der Titelrolle. © Jean Michel Blasco | Jean Michel Blasco

Gaze-Vorhänge und Bühnennebel trüben fortwährend die Szene, auf dem hinteren Vorhang wird zuweilen Schrift sichtbar oder eine Mengenangabe diverser Elemente von Cadmium bis (minimalstens) Sauerstoff. Dahinter sind Schemen des Volks zu ahnen, das auch als pantomimische Performance von 13 Männern mal nach vorn tritt, hoch stilisiert, mit gregorianischen Chorklängen zuweilen, aber das ist nur Show. Theater-Mysterium. Cheikh Kébé und Giovanni Manzo tanzen als Titus und sein ebenfalls in Bérénice verliebter Freund Antiochos in absoluter Parallelität – ja, was tanzen die jungen, hageren Männer da eigentlich? Das bleibt nicht das letzte Rätsel an diesem Abend.

„Bérénice“ bei der Ruhrtriennale: Romeo Castelucci filetiert Racines Sätze

Als auf dem Vorhang „Gold“ erscheint, gehört die Szene Isabelle Huppert, deren Pass unverschämter Weise behauptet, sie sei vor 71 Jahren zur Welt gekommen. Hier ist sie jedenfalls die junge, leidenschaftlich liebende Frau, die in heiserem Schreien, in flehentlichem Flüstern mit ihrer Ent-Täuschung ringt, bis sie sich irgendwann in stöhnender Erschöpfung dem Schicksal ergibt. Die kraftvolle Zerbrechlichkeit, die dieser Gang übers Drahtseil der Emotionen erfordert – Isabelle Huppert wirkt, als würde sie die von Natur aus mitbringen, dabei dürfte es ein Gutteil ihres Könnens fordern.

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Zum Ambiente der Kraftzentrale wollen die wenigen Requisiten wie ein Heizkörper und eine Waschmaschine gut passen (weit mehr als zum Théâtre de Paris, wo diese Kooperation von einem ganzen Dutzend europäischer Bühnen schon im März Premiere feierte), dabei sind sie kühle Symbole einer entwickelten Zivilisation, auf die eine archaische Gefühlsmacht trifft. Der Rest ist Raunen.