Duisburg. Der Regisseur erzählt für die Ruhrtriennale in Duisburg vom Leben und Leiden des Sergej Paradschanow: Jubelsturm und politischer Appell.
„Das Schönste ist vielleicht noch nicht gesagt.“ „Man kann nicht zur Kunst zurückkehren, ohne die Grenzen des Möglichen zu sprengen.“ Am Ende, nach über vier Stunden, spricht Sergej Paradschanow (diesmal gespielt von Karin Neuhäuser) so viele schöne letzte Sätze, dass der Jubelsturm über diese Uraufführung in der Kraftzentrale des Landschaftsparks Nord erst losbricht, als die Worte „Das war‘s! Vorhang!“ fallen. Das flüchtige, aber bilderflutartige Monument für den legendären Filmregisseur und Multi-Künstler der Sowjet-Ära ist gesetzt.
Und auch das letzte Bild dieser Inszenierung von Kirill Serebrennikow, in dem Paradschanow mit einem brennenden Besen übers Eis fegt, während dazu der georgische Staats-Kammerchor wehmütig summt, erfüllt den wirklich letzten Satz mit Leben: „Was von uns bleibt, ist nur die Schönheit, die wir uns erlaubt haben.“
Es ist schon wahr: Kirill Serebrennikow, dieser unbeugsame Film- und Theaterregisseur, der seit April 2022 in Berlin lebt, weil sie ihn in Putins Reich mit absurden Vorwürfen gerichtlich verfolgt und an der Arbeit gehindert haben, muss in dem Filmemacher Sergej Paradschanow (1924-1990) ein Vorbild, ja ein Idol sehen. Der Mann, der hierzulande noch weithin unbekannt ist, aber von Kollegen wie Fellini, Antonioni oder Sergio Leone als Genie verehrt wurde, der wegen seiner Widerständigkeit gegen den sozialistischen Realismus, seines unbeugsamen Kunstwillens und seiner Homosexualität fünfzehn Jahre in sowjetischen Gefängnissen und Lagern zubringen musste, wird von Serebrennikiow mit zehn „Legenden“ gefeiert.
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Sie ergeben nicht unbedingt eine Biografie Paradschanows, aber spielen so burlesk wie geistreich mit den Motiven seines Lebens. Und vielleicht ist nicht jede dieser zehn Legenden zwingend notwendig, aber schön zu hören, schön zu sehen sind sie doch alle. Auch die vom Kaufmannssohn, die mit viel Witz und überdrehender Komik aufgeladen ist. Und so „heilig“ Paradschanow und seine Kunst von dieser Szenenfolge gesprochen werden, so herrlich ironisch geht sie mit Künstlern um, wenn Velázquez, Delacroix und Dürer ihre Eitelkeiten austragen, wenn der „verfluchte Poet“ Walt Whitman seine Exzentrik zelebriert...
Paradschanows unbeirrtes Festhalten an der Schönheit durch alle Verfolgung, Erniedrigung und Ungerechtigkeit hinweg wird in einem Rausch der Kostüme und Farben, der Geschichten und des Chorgesangs und gelegentlichen Luftalarm-Sirenen in Kiew zelebriert (der überragende georgische Staatskammerchor gibt am 19. August auch noch ein Ruhrtriennale-Konzert in der Bochumer Turbinenhalle). Schauspieler des Hamburger Thalia Theaters wie Neuhäuser, Falk Rockstroh, Tilo Werner, Odin Lund Biron und Felix Knopp sowie russische Mimen legen in fliegenden Rollenwechseln eine überragende Ensemble-Leistung auf das oft schiefe Parkett von Serebrennikows Bühneneinrichtung, das Menschen und Verhältnisse ins Rutschen geraten lässt. Unter anderem auch einen King Lear, in dem Diktatoren wie Putin zur Kenntlichkeit entstellt werden. So galt der Schluss-Jubel auch dem eingeblendeten Aufruf „Befreit alle politischen Gefangenen!“