Bochum. Beifall ohne Ende: Die erste Ruhrtriennale von Ivo Van Hove begann mit einem Pop-Paukenschlag in der Bochumer Jahrhunderthalle.
Es ist, wie könnte es anders sein, der Abend der Sandra Hüller. „I Want Absolute Beauty“ ist zwar bestückt mit 26 Songs des 90er-Jahre-Rockstars PJ Harvey, aber am Ende dieser 90-Minuten-Show werden alle, die Sandra Hüller in „Toni Erdmann“ so schön schief „Greatest Love of All“ haben singen hören, unweigerlich denken: Nee, und singen kann sie auch noch!
Der minutenlange Beifall zum Auftakt der ersten Ruhrtriennale von Ivo Van Hove in der Bochumer Jahrhunderthalle wollte schier kein Ende nehmen, begünstigt von einer sekundengenau getakteten Vorhang-Choreografie ohne jeden Vorhang. Ein Pop-Paukenschlag zum Auftakt der 13-Millionen-Festival-Saison – das hat die Ruhrtriennale auch noch nicht erlebt.
Sandra Hüller in „I Want Absolute Beauty“: Und singen kann sie auch noch
Der Bühnengrund wird vertieft durch einen breiten Spiegel im Hintergrund (Bühne: Jan Versweyveld). Davor recht unauffällig die bis auf zwei, drei Premieren-Unschärfen punktgenau spielende Rockband (Neil Claes, Alban Sarens, Liesa Van der Aa, Anke Verstype). Der Boden ist mit Erde bedeckt, rechts und links flankiert von einem Dutzend zarter Lampion-Leuchten.
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Das passt zum Auftakt-Song „Grow, grow, grow“, der um das Säen einer Rose, eines Baums kreist. Regisseur Ivo Van Hove wird im Folgenden allerdings keine Geschichte mit den Songs erzählen, es entsteht keine Rock-Oper, kein Pop-Musical, sondern eine assoziativ verknüpfte PJ-Harvey-Revue. Aber viel mehr noch ist es das reinste Sandra-Hüller-Konzert, dekoriert mit Tanz und Video. Was die elfköpfige Tanz-Kompanie (La)Horde dazu agiert, ist ein rauer Gegenentwurf zu den militant-mechanischen Show-Choreografien von Madonna & Co. Sie stellen, anders als der Titel des Abends vermuten lässt, auch Soldaten dar und Brutalität, bisweilen manieriert mit endlos wiederholten Griffen in den Mund; ihre Schritte und Figuren bleiben aber Illustrationen der Songs.
Und tanzen kann Sandra Hüller auch noch! Die 46-Jährige ist in bester Kondition, schauspielt die Songs und singt tanzend und vor Kraft strotzend weiter, ohne aus der Puste zu geraten. Gelegentliche Schwächen in den Höhen kaschiert sie geschickt mit Rauheit. Für Momente scheint sie sogar die Rockstar-Posen zu genießen, auch wenn sie in ihrem Mangel an platter Eitelkeit selbst in Hollywood wirkt wie eine absolute Fehlbesetzung in der Rolle des Glamour-Stars. Authentisch, das ist der Zauber dieser Kreation, wirkt sie in jeder der so verschiedenen Figuren. Mal geht es um den ersten Kuss, mal um den Morgen nach einer Betrugs-Nacht.
Virtueller Star-Reigen bei „I Want Absolute Beauty“: Per Video kommt auch noch Isabelle Huppert hinzu
Manche Songs jenseits des Hits „Down The Water“ entwickeln durchaus Längen, haben die eine oder andere Wiederholung zu viel. Als der Abend nach einer Dreiviertelstunde etwas durchzuhängen droht, kommt er aber mit dem eingängigen „A Place Called Home“ wieder aufs Drahtseil und mündet mit „We Float“ in der Freiheit des Meeres, im Gleiten über Wellen und durchs Leben. Und ein charmanter Film-Auftritt von Isabelle Huppert, die in einer Woche bei der Ruhrtriennale noch ein großes Solo mit Racines „Bérénice“ geben wird, als ewig junge Großmutter, zeigt die Spannbreite der absoluten Schönheit nach PJ Harvey. Und die verbeugt sich allzu gern für einen Extra-Applaus am Ende.