Statt oft und billig, fordern Experten ein Umdenken. Seltener, dafür nachhaltig erzeugtes Fleisch essen, wäre ein Weg. Aber ist das durchsetzbar?
Zehn Bio-Hühner zum Siebzigsten, allesamt geschlüpft am Ehrentag des Jubilars. Passender geht es kaum für einen Mann, der es als sein Lebenselixier bezeichnet, für einen Umbau der Landwirtschaft im Sinne von mehr Nachhaltigkeit einzutreten. Wenn Bernward Geier sich der Schar nähert, macht sich freudige Erwartung breit. Es gibt altes Brot, das ist dem Federvieh bekannt. An diesem Tag nimmt Geier aber auch noch eine Henne fürs Foto hoch, und das passt dem Hahn gar nicht. Empört schlägt er mit den Flügeln und stürmt auf Geier zu. „Gut gemacht Grifo“, sagt der lachend – und lässt die Henne schnell wieder runter.
Der Hahn verteidigt seine Frauen mit Verve. Genauso wie Geier seit rund 40 Jahren seine Vision von mehr Bio in der Landwirtschaft. Es hat sich einiges getan, in der Gesellschaft ist ein Bewusstsein für den Nutzen nachhaltig erzeugter Produkte entstanden. Aber Missstände gibt es noch immer reichlich, so decken etwa immer wieder Tierrechtsorganisationen furchtbare Zustände in der industriellen Massentierhaltung und Schlachtung auf. Eine Veränderung geht nur schleppend voran, obwohl die Negativeinflüsse dieser Art der Tierhaltung auf Klima und Gesundheit hinlänglich bekannt sind.
Mehr Tierwohl in der Tierhaltung
Gemeinsam mit der ehemaligen Landwirtschafts-Ministerin Renate Künast (Grüne) und Stefanie Pöpken hat Geier kürzlich ein Buch dazu herausgegeben: „Nutztiere – Mehr als eine Frage der Haltung“. Darin beschreiben verschiedenen Autoren, wie mehr Tierwohl in der Tierhaltung gelingen kann und warum die Gesellschaft darauf dringen sollte. „Wo man hinguckt, ist unser System krank und pervers“, sagt Geier. Es funktioniert für die Tiere und die Umwelt nicht. Aber auch Landwirtinnen und Landwirte sind zunehmend unzufrieden. Von ihnen wird eine Runderneuerung des Systems erwartet – aber viele fühlen sich nicht hinreichend unterstützt und wertgeschätzt. Nach der jüngsten Streichung der Agrardiesel-Subventionen hat sich bei den Bauern-Protesten viel Frust entladen.
„Bauern demonstrieren für das Falsche“
Geier, ehemaliger Direktor von IFOAM-Organics International, dem weltweiten Dachverbandes der Bio-Landbaubewegungen, hat Verständnis dafür. Sagt aber: „Die Bauern haben für das komplett Falsche demonstriert.“ In Sachen Agrardiesel haben sie ja auch nichts erreicht. Und doch konnten sie etwas in Gang setzen, das Bewegung in den stockenden Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland bringen könnte: Bundes-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) wurde animiert, die sogenannte „Tierwohlabgabe“ wieder aus der Schublade zu holen. Diese soll Landwirtinnen und Landwirten für den Umbau ihrer Ställe zugutekommen und wird seit einigen Jahren immer mal wieder diskutiert.
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Zuletzt hat Özdemir nun ein Eckpunktepapier für die sogenannte Tierwohlabgabe vorgelegt. Von rund 40 Cent pro Kilogramm Fleisch ist die Rede. Rechnen wir nach: Jeder Deutsche isst im Schnitt 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr – müsste mit der Tierwohlabgabe also 24 Euro pro Jahr mehr zahlen. Dazu kämen die Mehrkosten für Milchprodukte. Wer sich an die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung hält, wäre weniger betroffen. Demnach ist der Konsum von 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche, also 15 bis 30 Kilogramm pro Jahr ratsam.
Der Preis hinter dem günstigen Preis
Der Blick auf die Preise im Supermarkt sei aber ohnehin ein sehr oberflächlicher, sagt Geier. Die Kosten für Fleisch, Eier und Milchprodukte aus industrieller Tierhaltung gingen ja weit über den an der Kasse bezahlten Betrag hinaus. Für Begleiterscheinungen wie Antibiotikaresistenzen, Artensterben oder Grundwasserverunreinigungen zahle die Gesellschaft insgesamt an ganz anderer Stelle. Geiers Analyse: „Ob eine Kuh unterm Strich eine „Klimakillerin“ oder eine Umweltschützerin ist, hängt davon ab, wo, wie und von was sie lebt. Wenn sie in extensiver Bewirtschaftung eine lichte Wald-Weide-Landschaft pflegt und gestaltet, ist sie letztendlich produktiver als ihre leidenden Artgenossinnen in der industriellen Tierhaltung, auch wenn sie am Ende ihres Lebens deutlich weniger Fleisch auf die Waage bringt und weniger Milch abgeliefert hat.“
Tierische Erzeugnisse immer und reichlich zur Verfügung zu haben, gilt seit Anfang des 20. Jahrhunderts als Zeichen des Wohlstands. Die Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere wurde zur Industrie. Heißt: Massenproduktion, automatisierte Abläufe, Gewinnmaximierung. Das Resultat heute sind Betriebe, in denen zu viele Tiere auf zu wenig Fläche gehalten werden. Das wiederum führt zu vielfältigen Problemen: Futter muss zugekauft werden, häufig in Form von Soja aus fernen Ländern, wo es in riesigen Monokulturen auf abgeholzten Regenwald-Flächen angebaut wird. Hierzulande gibt es zu viel Gülle für zu wenig Fläche, das führt zu einer erhöhten Nitratbelastung des Grundwassers. Hier wie dort wird das Artensterben beschleunigt. Und die auf Grund der Haltungsbedingungen kränklichen Tiere bekommen zu viele Medikamente – was Bakterien zunehmend resistent gegen bestimmte Antibiotika macht und somit auch die Gesundheit des Menschen gefährdet.
Tierhalter bestimmen die Diskussion
Die Probleme sind bekannt, und der Wille, etwas zu ändern, ist da. Es geht jedoch seit Jahren nur schleppend voran. „Wir lassen zu sehr zu, dass die Tierhalter-Interessen die Diskussion bestimmen“, sagt Renate Künast. Ihre Grundforderung lautet: „Immer weniger Tiere immer besser halten.“ Bernward Geier formuliert so: „Wir müssen zurück zur Kultur des Sonntagsbratens.“ Wieder weniger Fleisch essen, dafür aber nachhaltig erzeugtes.
Unter Özdemir wurde Mitte des vergangenen Jahres eine Tierhaltungskennzeichnung eingeführt. Tiere der besten Haltungsstufe vier bekommen verglichen mit jenen der Haltungsstufe eins mehr Platz im Stall und Auslauf nach draußen. Die Ställe dahingehend umzubauen, kostet viel Geld. Die Tierwohlabgabe könnte helfen, endlich schneller voranzukommen. Dass es sich lohnen kann, verdeutlicht Albert Trimborn vom Bauerngut Schiefelbusch im südlichen Teil des Bergischen Landes. Man habe rund eine Million Euro in Tierwohl investiert, sagt Trimborn: „Produkte von glücklichen Tieren kommen aber bei unseren Kunden gut an. Damit können wir auch gut verdienen und weiter in Verbesserungen investieren.“ Trimborns Rat an alle Beteiligten aus Landwirtschaft und Politik: „Wenn man für die Tiere etwas erreichen will, muss man aufeinander zugehen.“
Verabscheute „Tierproduktion“
Geier, der mit seiner Familie auf dem Islandpferdegestüt „Isis vom Klief“ in der Nähe von Much im Rhein-Sieg-Kreis lebt, ist studierter Agrarwissenschaftler, sein Schwerpunktfach hieß „Tierproduktion“ – ein Begriff, den er bis heute verabscheut. „Es ging um die Produktion von Fleisch, Eiern und Milch und nicht ums Tier“, sagt er: „Nur so ist zu erklären, warum wir Tiere so grausam behandeln.“ Sein neuestes Buch verteilt Bernward Geier aktuell großzügig. Und er schreibt immer wieder die gleiche Widmung hinein mit Worten von Mahatma Gandhi: „Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran ermessen, wie sie Tiere behandelt.“
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