Essen. Zahl der Haushalte in NRW, in denen nur eine Person leben, steigt rasant. Sorge um wachsende Einsamkeit. Was Vermieter dagegen tun können.

Zwei Jahre lang lag der Tote unentdeckt in seiner Mietwohnung. Das Aachener Sozialamt hatte die Überweisung der Miete eingestellt, der Vermieter Vonovia schickte Mahnungen und klagte auf Räumung, der Gerichtsvollzieher versiegelte die Wohnung. Aber auch Nachbarn und die Angehörigen merkten nicht, dass der zurückgezogen lebende Mann tot hinter der verschlossener Tür lag. Erst ein Rohrbruch im Haus führte dazu, dass die Wohnungstür aufgebrochen und dahinter die mumifizierte Leiche gefunden wurde.

Der Fall aus Aachen, der im Sommer bundesweit Schlagzeilen machte, ist eine Ausnahme – doch er verweist auf einen Trend: Immer mehr Menschen leben allein. In NRW gibt es inzwischen mehr als 3,8 Millionen Single-Haushalte, in vielen Großstädten wohnt in jeder zweiten Wohnung nur noch eine Person. Und oft sind diese Personen sehr einsam.

Das Thema Einsamkeit tritt immer weiter in den Vordergrund. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat es bereits im vergangenen Jahr zur Chefsache erklärt, weil er nicht länger hinnehmen will, dass sich fast jeder fünfte ältere Jugendliche aus Nordrhein-Westfalen im Alter zwischen 16 und 20 Jahren einsam fühlt.

Auch der Verband für Wohnungswirtschaft (VdW) wollte es genauer wissen und gab eine bundesweite Umfrage unter allen Altersgruppen in Auftrag. Die Ergebnisse sind erschreckend: Mehr als ein Viertel der befragten Menschen gab an, dass sie keine oder nur wenige Personen haben, die ihnen nahestehen. Nur etwas mehr als die Hälfte erklärte, genug Gesellschaft zu haben. „Dies kann als ein Hinweis auf eine gefühlte Einsamkeit gelesen werden, die sukzessive zum gesellschaftlichen Problem wird“, heißt es in der Studie „Wohntrends 2040“.

Zusammenhang von Einsamkeit und Armut

„Wir beobachten eine Korrelation von Einsamkeit und Armut“, sagt Michael Neitzel, Geschäftsführer des Bochumer Instituts für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (InWIS). „Zur Förderung der sozialen Integration ist es wichtig, dass sich Menschen in der Nachbarschaft treffen und vernetzen können. Dazu eignen sich Gemeinschaftsräume, entsprechend gestaltete Freiräume, eine niederschwellige Gemeinwesenarbeit und die Anstiftung zur Selbstorganisation im Quartier.“

Als wichtiger Anker der sozialen Integration gelten seit jeher die Nachbarn. Aber auch hier gibt es Veränderungen. „Das Vertrauen der Menschen in Nachbarschaft ist grundsätzlich da, allerdings erodiert es“, schreiben die Autoren der Studie. Vor allem in Großstädten mit dicht besiedelten Quartieren falle „die Qualität der nachbarschaftlichen Netze“ hinter der in dünn besiedelten Regionen zurück.

Das Phänomen Einsamkeit gewinnt an Brisanz, weil immer mehr Menschen freiwillig oder unfreiwillig allein leben. Nach Zahlen des Landesstatistikamts IT.NRW waren zuletzt 44 Prozent der gut 8,66 Millionen Haushalte in Nordrhein-Westfalen Single-Wohnungen. Früheren Volkszählungen zufolge lag der Anteil der Ein-Personen-Haushalte 1950 und 1961 noch unter 20 Prozent. Gleichzeitig nahm der Anteil der Privathaushalte mit fünf und mehr Personen von 15,9 Prozent im Jahr 1950 auf 4,8 Prozent im Jahr 2022 ab.

Es gibt allerdings erhebliche regionale Unterschiede. Landesweite Hochburg der Single-Haushalte mit einem Anteil von 55,7 Prozent ist nach Angaben von IT.NRW die Hauptstadt Düsseldorf, die Essen abgelöst hat. Den niedrigsten Wert weist Werne (25,4 Prozent) auf. Das Ruhrgebiet liegt zwischen den Extremen.

Gemessen an der Gesamtbevölkerung gibt es deutlich mehr alleinlebende Frauen (1,868 Millionen) als Männer (1,618 Millionen). Die meisten Singles sind in der Altersgruppe 65 Jahre und älter anzutreffen: 1,32 Millionen. Aber auch unter den 18- bis 34-Jährigen in NRW leben 810.000 Menschen allein.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich der Trend zum Single-Leben weiter verstärken werde. „Die Zahl der Einpersonenhaushalte wird auch künftig weiter zunehmen. Und unsere Gesellschaft wird immer älter“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des Verbands der Wohnungswirtschaft GdW. Gleichzeitig konzentrierten sich in bestimmten Vierteln soziale Probleme. „Bei den Herausforderungen von gesellschaftlichem Zusammenhalt und Integration sind die Wohnungsunternehmen seit jeher mit sozialer Quartiersarbeit die Experten und Kümmerer vor Ort. Sie dürfen aber mit den vielerorts wachsenden Problemen nicht alleine gelassen werden.“ 

Das tun Vivawest, LEG und Vonovia gegen Einsamkeit

Die großen Wohnungsgesellschaften haben das Problem der Einsamkeit erkannt und reagieren. „Auch wir beobachten in den vergangenen Jahren eine Zunahme von Single-Haushalten. Dies betrifft sowohl jüngere, aber vor allem ältere Mieter“, sagt Vivawest-Sprecher Gregor Boldt. Um Anonymität zu bekämpfen, biete der Gelsenkirchener Konzern Aktionen wie Hofkonzerte, Zaubershows und zur Adventszeit einen rollenden Weihnachtsbaum in den Siedlungen an. Vivawest unterstütze über ihre Stiftung Nachbarschaftsvereine und schaffe Räume, in denen sich Mieterinnen und Mieter treffen können.

Auch interessant

„Wir nehmen das Thema sehr ernst“, sagt LEG-Sprecher Maximilian Kreft. Gegen Einsamkeit kämpften auch die Sozialmanager der „Stiftung – Dein Zuhause hilft“, die dafür sorgten, „dass Menschen gezielt vor Ort vernetzt werden“. Seit der Gründung Ende 2019 seien 39 Projekte in NRW umgesetzt worden. Damit erreiche die LEG insbesondere ältere Mieterinnen und Mieter, die besonders von Einsamkeit betroffen seien. Sprecher Kreft räumt aber auch ein, dass das Unternehmen „bislang nur wenige Möglichkeiten“ habe festzustellen, ob Mieter seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr zu anderen Menschen hatten. „Hier sind wir vor allem auf die Mithilfe aufmerksamer und besorgter Nachbarinnen angewiesen.“

Vonovia: Es fehlt die soziale Kontrolle

Auch Vonovia bietet eine Reihe von Projekten an, die Vereinsamung verhindern sollen. „Wir fördern aktiv gute Nachbarschaft und veranstalten Feste in unseren Quartieren, um Einsamkeit vorzubeugen und die Menschen miteinander in Kontakt zu bringen. Wir müssen aber auch akzeptieren, wenn einzelne Mieter zurückgezogen leben wollen. Dann fehlt die soziale Kontrolle, wenn es auch keine Familie gibt“, sagt Vonovia-Sprecherin Silke Hoock.

Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier: