Essen. Rita Scheffler wohnt in einem Hochhaus im Nordosten Essens. Jeder Tag der Seniorin ist gleich. Was eine Wohnungsgesellschaft dagegen tut.
Die Tage von Rita Scheffler sind lang. Und sie laufen immer gleich ab. Nach dem Aufstehen setzt sich die Seniorin an den Küchentisch und frühstückt. Dann macht sie ein bisschen Haushalt. Und schließlich holt sie sich ein Buch aus dem Regal oder schaltet den Fernseher ein. Zwischendurch schaut sie immer wieder aus dem Fenster des Hochhauses, in dem sie lebt. „Man möchte ja noch etwas mitbekommen“, sagt die 77-Jährige. „Seit mein Mann vor vielen Jahren gestorben ist, ziehen sich die Stunden, Tage, Wochen und Monate sehr. Man ist froh, wenn man sie rum bekommt.“
Deshalb besucht Rita Scheffler regelmäßig die Sprechstunde, die in ihrem Viertel angeboten wird. Nach dem Tod ihres Mannes ist sie vor 14 Jahren ins Quartier Nothofsbusch gezogen. Im Viertel, das im Essener Stadtteil Stoppenberg liegt, leben Menschen aus 20 Nationen auf engem Raum nebeneinander – Großfamilien, Senioren, Alleinstehende. „Trotz der vielen Nachbarn drumherum ist man in so Hochhäusern für sich allein“, sagt Rita Scheffler.
Immer mehr Menschen leben in NRW allein. Nach Zahlen des Statistischen Landesamts waren zuletzt 44 Prozent der rund 8,66 Millionen Haushalte Single-Wohnungen. Früher, etwa um 1960, lag der Anteil noch unter 20 Prozent. Für all jene Mieterinnen und Mieter, die sich einsam fühlen, möchte die kommunale Wohnungsgesellschaft Allbau ein Angebot machen. Deshalb hat sie in einem der Häuser eine Wohnung angemietet, die Treffpunkt für alle Nachbarinnen und Nachbarn sein soll.
„Einbürgerung ist bei vielen Nachbarn ein großes Thema“
Regelmäßig können die Menschen hier zum Beispiel die Sprechstunde bei Michael Minuth besuchen. Er ist Sozialmanager bei Allbau und setzt sich im Viertel für eine gute Nachbarschaft ein. Einsamkeit sei in der Gesellschaft ein großes Thema, sagt er. „Wir wollen Menschen miteinander verbinden und einen Ort für Begegnungen geben.“
Gerade für neu Zugewanderte sei es anfangs nicht leicht, hier Fuß zu fassen, sagt Michael Minuth. Das liege allein schon an der Sprache. Während seiner Sprechstunden unterstützt ihn deshalb eine Sprachmittlerin. „Viele Nachbarn kommen zu mir, weil sie Hilfe bei Anträgen brauchen“, erzählt er. Vor allem die Einbürgerung sei bei vielen ein großes Thema.
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Im Prinzip könnten die Anwohner aber mit allen Anliegen in die Sprechstunde kommen. „Hier hilft man mir schnell mit Reparieren und allem“, sagt Rita Scheffler. Sie sitzt mit einer Tasse Kaffee an dem großen Tisch, der mitten im Raum steht. Heute nutzt sie die Sprechstunde nur zum Plaudern. „Ich bin ein Typ, der gerne unter Menschen ist“, sagt sie. Deshalb würde sie auch niemals woanders wohnen wollen.
Einmal im Monat besucht sie das von Michael Minuth organisierte Seniorencafé. Und jeden Dienstag ist sie beim Nachbarschaftsfrühstück. „Das ist mir wichtig, denn da höre ich Dinge, die ich vielleicht sonst nie erfahren würde“, sagt Scheffler. Außerdem nimmt sie gerne an den organisierten Ausflügen teil, im Sommer ist sie zum Beispiel mit dem Schiff auf dem Rhein nach Duisburg geschippert. „Und das alles für kleines Geld, das kann man sich erlauben. Und es ist wieder ein Tag rum.“
Nachbarschaftstreffpunkt im „schlimmsten Haus“ eingerichtet“
Mit dem Projekt erhofft sich Allbau weniger Fluktuation und eine bessere Nachbarschaft. Dafür arbeitet das Wohnungsunternehmen etwa mit der Diakonie, AWO und dem Jugendamt zusammen. Das Viertel mit den 350 Wohnungen, in dem rund 1100 Menschen leben, wurde nicht zufällig für solch ein Projekt ausgewählt. Anfang der 2000er Jahre galt das Quartier noch als sozialer Brennpunkt. Prügeleien unter russischen und arabischen Jugendlichen gehörten genauso zum Alltag wie riesige Sperrmüllhaufen, die regelmäßig von Entrümplungsunternehmen abgeholt werden mussten, erzählt Minuth.
Von einigen Nachbarn habe man sich zum Start des Projektes trennen müssen, weil keine Zusammenarbeit möglich war. „Und für den Nachbarschaftstreffpunkt haben wir uns die Wohnung im schlimmsten Haus eingerichtet.“ Durch Sommerfeste und gemeinsame Grillnachmittage im Viertel habe man versucht, die örtlichen Kooperationspartner und die Polizei miteinzubeziehen – auch, um Vorbehalte abzubauen. Denn die gibt es, wenn so viele unterschiedliche Menschen aufeinander treffen.
Rita Scheffler hat etwa oft den Eindruck, sich mit ihren Nachbarn nicht richtig verständigen zu können. „Ich fühle mich manchmal wie die Einzige, die fließend Deutsch spricht“, sagt sie. Auch dafür hat der Sozialmanager eine Lösung. So treffen sich die Senioren im Viertel regelmäßig mit einer arabischen Frauengruppe und helfen ihnen beim Deutschlernen.
Den Großteil der Zeit verbringen die Senioren allein in ihren Wohnungen
„Das alles ist aber nur ein kleiner Ausschnitt des Zusammenlebens, den Großteil ihrer Zeit verbringen die Menschen, vor allem die Senioren, in ihren Wohnungen“, sagt Michael Minuth. Er ermutigt die Mieterinnen und Mieter deshalb, sich regelmäßig beieinander zu melden. „So können wir schnell schauen, ob jemand Hilfe braucht, wenn er zum Beispiel nicht ans Telefon geht.“
Auch für Rita Scheffler geht es nach der Sprechstunde wieder nach Hause. „Aber das ist nicht schlimm“, sagt sie, „denn jetzt wartet meine Couch auf mich.“
>>>Info: Land fördert Projekte gegen Einsamkeit
Zum Hörer greifen, wenn man sich einsam fühlt: Das ermöglicht der Verein Silbernetz mit dem Silbertelefon. Ältere Menschen können die Hotline (0800 470 80 90) täglich von 8 bis 22 Uhr anonym und kostenlos anrufen. Hier können sie mit Ehrenamtlichen sprechen und zudem beraten werden, wie sie Einsamkeit und Isolation überwinden können und welche regionalen Angebote es dazu gibt. Darüber hinaus vermittelt der Verein Silbernetz „Silberfreundschaften“ als regelmäßige Telefonkontakte. Das Land NRW fördert das Projekt im Zeitraum von 2024 bis 2026 mit insgesamt 150.000 Euro.
Unter www.land.nrw/einsamkeit finden Betroffene eine Übersicht zu Projekten und Initiativen in ihrer Nähe sowie Angebote zum Mitmachen und Vernetzen vor Ort.
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