Berlin. Der Horror für Eltern: Das Kind hat eine Verbrühung oder Vergiftung erlitten. Experten klären auf, wann man wirklich den Notruf wählen muss.
- Kinder haben schnell mal einen Unfall oder sind krank
- In vielen Fällen rufen Eltern sofort den Notarzt
- Experten erklären, wann das richtig ist und wann vorschnell
Für die Eltern ist es ein Alptraum: Das Kind glüht vor Fieber und schreit. Oder es hat sich verletzt, vielleicht auch etwas verschluckt, was giftig sein könnte: Reinigungsmittel aus einer herumstehenden Flasche, die Tablette gegen den Bluthochdruck vom Nachttisch der Tante. Was tun? Ist es notwendig, mit dem Kind in die Notaufnahme zu fahren oder gar den Notarzt zu rufen? Kann man abwarten, bis die Kinderarztpraxis wieder öffnet oder den kleinen Patienten zuhause helfen?
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Hassan Issa, Chefarzt der Kinderklinik am Evangelischen Krankenhaus in Oberhausen, beruhigt: „Kinder machen im Schnitt ein Viertel aller Einwohner einer Stadt aus, doch nur bis zu zehn Prozent aller Notfälle betreffen kleine Patienten.“ Je nach dem Alter der Kinder unterscheidet der Experte dabei Besonderheiten.
Notfall mit Kind: Im Schulalter sind es meist Unfälle
„Bis zum sechsten Lebensjahr erleben wir Fieberkrämpfe oder Pseudokrupp-Husten. Es passiert außerdem, dass die Kleinen sich verbrühen – zum Beispiel, wenn sie eine Tasse mit heißem Tee vom Tisch ziehen. Oder dass sie etwas trinken, das ihnen nicht bekommt“, so Issa. Kleinere Kinder können auch im flachen Wasser, etwa in einem Bach, ertrinken. Issa: „Sie sind nicht in der Lage, sich selbst zu retten, wenn sie mit dem Gesicht hineinfallen. Darauf müssen Erwachsene achten.“
Als Notfälle gelten im Schulalter nach seiner Erfahrung am häufigsten Unfälle – beim Sport, auf dem Spielplatz oder auf dem Pausenhof. „Asthma-Anfälle bei beginnenden Allergien gehören ebenfalls zu den häufigen Anlässen, bei denen der Notarzt gerufen wird“, sagt Issa.
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Im Lauf der Zeit verändert sich das Geschehen: Jugendliche kommen nach Worten des Experten mit Drogen in Berührung, vergiften sich mit Alkohol oder erleiden einen Kreislaufkollaps. „Bei Kindern aller Altersstufen muss man auch daran denken, ob sie misshandelt worden sind – und das Jugendamt verständigen, wenn zum Beispiel Wunden oder Druckstellen auffallen“, sagt Issa.
Die Erwartung an die Helfer ist extrem hoch
Wenn Kindern etwas passiert, ist die Aufregung oft groß – und genau darin besteht laut Notarzt Joachim van Alst, Chefarzt der Anästhesie im St. Willibrord-Hospital in Emmerich das Problem: „Hektik bricht aus und die Erwartung an Helfer, die herbeigeholt werden, ist extrem hoch.“ Dabei können die Eltern oder Betreuende nach seinen Worten einiges tun, damit die Situation nicht aus dem Ruder läuft (siehe Infokasten).
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Eine Reihe von Notfällen lässt sich laut Joachim van Alst durch eine simple Aktion vermeiden: „Eltern sollten sich auf die Höhe des Kindes begeben, das die Umgebung erkundet, und mit ihm durch die Wohnung krabbeln. Dann erkennen sie beispielsweise, wie schnell sich unter dem Spülbecken der Schrank öffnen lässt, in dem die Reinigungsmittel stehen, und können ihn abschließen.“
Wann muss man sich in die Notaufnahme aufmachen oder die 112 anrufen? Notfallsanitäter Guido Janssen rät Eltern, auf ihren Instinkt zu vertrauen: „Wenn sie sich ernsthafte Sorgen machen und das Kind sich nicht mehr beruhigen lässt, sollten sie Hilfe holen.“ Das gilt auch für Betreuende: „Veränderungen im Bewusstsein oder in der Atemfrequenz sind Alarmzeichen“, betont Notarzt van Alst.
Rettungshubschrauber rufen: Wann das notwendig sein kann
In akuten Fällen muss der Rettungsdienst oder auch der Notarzt kommen – zum Beispiel, wenn eine Erbse die engen Atemwege verstopft und das Kind keine Luft bekommt. Bei Verbrühungen und Verbrennungen kann es sogar notwendig sein, den Rettungshubschrauber zu rufen, um den Transport in eine Spezialklinik zu beschleunigen. Und bei möglichen Vergiftungen, auch durch Medikamente oder Drogen, unterstützt der Giftnotruf des Uniklinikums Bonn rund um die Uhr.
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In vielen Situationen ist es allerdings nicht nötig, gleich Alarm zu schlagen – auch Hausmittel können helfen. Beispielsweise, wenn das Kind auf einmal Fieber bekommt. „Im Prinzip ist das eine normale Reaktion auf einen Infekt“, sagt der erfahrene Kinderarzt Wolfgang Brüninghaus aus Kleve und rät, bei einer Temperatur über 38,5 Grad zu Hausmitteln wie Wadenwickel, auch könnten Schmerzmittel wie Ibuprofen und Paracetamol im Abstand mehrerer Stunden im Wechsel gegeben werden. Zudem müsse das Kind viel trinken.
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„Zum Arzt sollte man gehen, wenn zusätzliche Symptome wie Erbrechen und Durchfall bestehen und sich das Kind nicht weitgehend erholt, auch wenn das Fieber sinkt“, so Brüninghaus. Nach drei Tagen müsse Fieber aber auf jeden Fall abgeklärt werden. „Sollte dadurch ein Krampfanfall ausgelöst werden, ist das immer ein Grund, den Notarzt zu rufen. Auch wenn Fieberkrämpfe meist nach wenigen Minuten abklingen.“
Ruhe bewahren, keine Vorwürfe machen
Wie verhalte ich mich richtig, wenn meinem Kind etwas passiert ist? Tipps von Hassan Issa, Chefarzt der Kinderklinik am Evangelischen Krankenhaus in Oberhausen und Notarzt Joachim van Alst, Chefarzt der Anästhesie im St. Willibrord-Hospital in Emmerich: Bewahren Sie möglichst Ruhe, der Stress überträgt sich auf das Kind. Am besten, Sie nehmen es auf den Arm und beschwichtigen es, bevor Sie oder eine andere Person die 112 wählen. Die Kollegen in der Leitstelle geben in diesen Situationen auch Tipps.
Vorwürfe wie: „Was hast du angestellt?“, vermeiden. In Notfällen spielerisch und freundlich auf Kinder zugehen. Wenn das Kind ins Krankenhaus oder ins Behandlungszimmer muss – es sollte nicht von Eltern oder Betreuer getrennt, möglichst auf dem Schoß der Mutter oder des Vaters untersucht werden. Zur Beruhigung: Das Lieblings- oder Kuscheltier darf mit!
Im Hinblick auf die Behandlung ehrlich sein, um Vertrauen zu schaffen: „Ein Piekser tut doch kurz weh.“ Je nach Alter sollte man dem Kind die Maßnahmen erklären und es mit einbeziehen.