Berlin. Fentanyl war in Deutschland bisher kaum Thema. Das könnte sich jetzt ändern – ein Grund sind die Taliban. Experten sind alarmiert.
- Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das zur Linderung starker akuter und chronischer Schmerzen eingesetzt wird
- Doch die lebensgefährliche Droge taucht in Deutschland immer häufiger auf
- Wie groß die Gefahr ist und was die Taliban mit der Verbreitung zu tun hat, lesen Sie hier
Eine lebensgefährliche Droge taucht immer häufiger in Deutschland auf: Ein kürzlich veröffentlichtes Modellprojekt der Deutschen Aidshilfe wies das synthetische Opioid Fentanyl in mehreren Heroinproben nach. Die Substanz, eigentlich als schmerzlinderndes Mittel in der Medizin gedacht, wirkt 50- bis 100-mal stärker als Heroin.
Dabei kann der Konsum von Heroin bereits ohne Beimischungen tödlich enden: 2022 sind in Deutschland von insgesamt 1990 Drogentoten 749 Menschen in Verbindung mit Heroin und Morphin gestorben, heißt es in einer Mitteilung des Bundesdrogenbeauftragten. Die Zahl der Drogentoten steigt demnach in den letzten Jahren kontinuierlich an.
Die Gefahr einer Überdosierung ist groß: Bereits zwei Milligramm Fentanyl können eine tödliche Dosis darstellen – das entspricht gerade einmal einer Bleistiftspitze. Drogen- und Suchtexperten warnen: Wird Heroin mit hochpotenten Opioiden wie Fentanyl gestreckt, könnte die Zahl der Drogennotfälle in Deutschland und Europa massiv zunehmen.
- Auch spannend: ADHS und Drogensucht – „Das Gehirn kann nicht anders“
Fentanyl in Deutschland: Projekt weist Substanz in Heroin nach
„Ich hätte nicht gedacht, dass Fentanyl bereits so häufig vorkommt“, sagt Suchtforscher Daniel Deimel von der TH Nürnberg über das Ergebnis des Bundesmodellprojektes RaFT der Deutschen Aidshilfe. Die Analyse wurde Mitte Februar veröffentlicht. RaFT steht für „Rapid Fentanyl Tests in Drogenkonsumräumen“. Drogenkonsumräume sind Einrichtungen, in denen drogenabhängige Menschen unter medizinischer Aufsicht Drogen konsumieren können.
Bei dem Projekt wurden in 17 dieser Räume in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Münster und Wuppertal über sechs Monate, von März bis August 2023, Heroinproben auf Fentanylbeimengungen untersucht. Insgesamt reagierten von 1401 Tests 3,56 Prozent positiv auf Fentanyl. In Hamburg fand man prozentual die meisten positiven Proben. „Synthetische Opioide sind in Deutschland angekommen. Es ist nun höchste Wachsamkeit geboten“, warnt Winfried Holz vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe in einer Pressemitteilung. Internationale Erfahrungen hätten gezeigt: Viele Menschen könnten so ihr Leben verlieren. Die Bundesländer sowie die Kommunen müssten jetzt dafür sorgen, dass Drogenhilfeeinrichtungen und Konsumierende vorbereitet sind.
Die besten Artikel der Serie „Raus aus der Sucht“
- Alkohol: Als Partnerin nicht zur Co-Abhängigen werden – Expertin rät zu hartem Kurs
- Ist Sucht vererbbar? Warum der eine süchtig wird und der andere nicht
- Erfahrungsbericht: 20 Jahre abhängig von Alkohol – Wie Gaby der Sucht entkam
- Ursachen: Das Autobahn-Problem: Wie eine Sucht im Gehirn entsteht
Besonders gefährlich wird es dann, wenn die Drogennutzer gar nicht wissen, dass sie Fentanyl zu sich nehmen: „Fentanyl wird vereinzelt Heroin beigemengt, wie die Daten des aktuellen Projektes zeigen“, berichtet Deimel. Konsumenten könnten sich so unwissend überdosieren.
Fentanyl zählt zu den verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln. Es handelt sich um ein künstlich hergestelltes Opioid, das bei sehr starken Schmerzen eingesetzt wird. Zum Beispiel bei Krebspatienten. Das Mittel kann gespritzt, in Tablettenform geschluckt oder durch ein Nasenspray aufgenommen werden. Üblich ist auch der Einsatz von Fentanyl-Pflastern auf der Haut. Weil es stark betäubend wirkt, wird Fentanyl illegal als Droge missbraucht. Das Opioid wird auch als „Zombiedroge“ bezeichnet, weil der Körper nach dem Konsum zu unkontrollierten Bewegungen neigt und oft nach vorne sackt. Der Konsum kann Wahrnehmung und Bewusstsein verändern.
Fentanyl auf dem Vormarsch – Grund überrascht
Was auf den ersten Blick absurd klingen mag, könnte in Zukunft zu mehr solcher gefährlichen Drogenmischungen führen: Es droht ein Heroinmangel auf dem deutschen Drogenmarkt. Denn das Heroin kommt bislang hauptsächlich aus Afghanistan. Dort hat sich jedoch durch die Machtübernahme der Taliban 2021 etwas geändert. Diese hat den Anbau von Schlafmohn, das zur Heroinherstellung genutzt wird, im April 2022 verboten. „Aktuell sind zwar noch Lagerbestände des Heroins auf dem Markt, es wird aber in den nächsten 12 bis 18 Monaten mit Heroinmangel gerechnet“, so Deimel. Die Produktion im Land sei zu 95 Prozent eingebrochen.
- Unsere Sucht-Expertin im Interview: Alkohol, Koks, Sex – „Sucht hat nichts mit dem Willen zu tun“
„Ein Heroinmangel könnte in Deutschland ein Türöffner für synthetische Opioide wie Fentanyl sein“, warnt der Experte. Fehle das Heroin, werde es eventuell durch synthetische Opioide ersetzt oder damit gestreckt. Für Drogenkartelle könnte das ein gutes Geschäft sein: „Fentanyl ist leicht und günstig zu produzieren“, erklärt Deimel. Aufgrund der hohen Potenz könnten geringere Mengen eingeschleust werden.
Zum Vergleich: Wie der amerikanische Radiosender New Hampshire Public Radio 2017 berichtete, schätze die US-Drogenbehörde DEA, dass die Herstellung von einem Kilogramm Heroin 6000 bis 7000 US-Dollar kostet und beim Verkauf 80.000 Dollar generiert. Ein Kilogramm Fentanyl hingegen soll in der Produktion nur 5000 Dollar kosten, wegen seiner starken Wirkung aber 1,5 bis zwei Millionen Dollar Profit hervorbringen können.
Droht in Deutschland eine Situation wie in den USA?
Fentanyl wurde bislang insbesondere in den USA illegal als Droge konsumiert. Schon seit 20 Jahren tobt dort eine Opioidepidemie. Jedes Jahr sterben Zehntausende an einer Überdosis. Laut der Drogenbehörde DEA hätte die Menge an Fentanyl, die im Jahr 2022 im Land beschlagnahmt wurde, theoretisch ausgereicht, um jeden der etwa 333 Millionen Einwohner des Landes zu töten. Von solchen Zahlen ist Deutschland weit entfernt.
Suchtforscher Deimel zufolge droht hierzulande keine solche Krise: „Die Situation in Europa ist eine ganz andere als in den USA. Dort sind weite Teile der Bevölkerung durch den Medizinsektor abhängig von Opioiden geworden. In Deutschland ist das nicht der Fall.“ Vielmehr sorgten Experten sich um die Menschen, die bereits eine Opioidabhängigkeit haben und heroinabhängig sind: „Das sind in Deutschland ungefähr 166.000 Menschen“, so der Suchtforscher. Nun gehe es vor allem darum, diese Gruppe zu schützen.
- Das könnte Sie auch interessieren: Studie – Diese Schmerzmittel wirken nicht und machen abhängig
Das Bild von heroinsüchtigen Menschen prägte in Deutschland vor allem der 1978 erschienene Roman „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, der die wahre Geschichte der heroinsüchtigen Christiane F. beschreibt: Als ein nicht enden wollender Teufelskreis aus Elend und Kinderprostitution. Ganze Generationen lasen den Roman als Pflichtlektüre in der Schule. 2021 erschien die gleichnamige Serie zum Buch auf Amazon Prime.
Abschreckende Geschichten hin oder her: Die Anzahl der Opioidkonsumenten hat sich in Deutschland nach einer Schätzung des IFT Institut für Therapieforschung in den letzten 20 Jahren kaum verändert. Besonders Männer sind demnach betroffen. Von den rund 166.000 Menschen sind schätzungsweise nur circa 42.000 Frauen abhängig.
Fentanyl in Deutschland: Gibt es Grund zur Sorge?
Anzeichen dafür, dass synthetische Opioide vermehrt in Europa vorkommen, gab es bereits Ende vergangenen Jahres: Innerhalb von vier Tagen waren in Dublin in Irland mehr als 50 schwere Drogennotfälle vermeldet worden, die alle im Zusammenhang mit Opioiden standen. Bayerische Beamte haben im Dezember 2023 in München Carfentanyl sichergestellt. Es handelt sich dabei um ein Fentanyl-Derivat, das noch einmal 5000-mal stärker als Heroin wirkt.
Eine Sprecherin des Bundeskriminalamts (BKA) erklärt auf Anfrage, dass das BKA nicht zuletzt aufgrund der stetigen Berichte aus den USA die Entwicklung in Deutschland und Europa im Fokus habe. Allerdings gebe es bislang keine validen Zahlen zu Sicherstellungsmengen und -fällen von Fentanyl. „Synthetische Opioide wie Fentanyl sind auf dem deutschen Rauschgiftmarkt vorhanden, spielen jedoch im Vergleich zu Betäubungsmitteln wie beispielsweise Kokain, Amphetamin und Marihuana eine eher untergeordnete Rolle“, so die BKA-Sprecherin. Umso wichtiger, dass das auch so bleibt. Die Drogenkonsumräume, die an dem Modellprojekt RaFT teilgenommen haben, wollen die Drogentests nun auf Nachfrage weiterhin für Konsumenten anbieten.