Berlin. Wein ohne Alkohol? War lange verpönt: kein Geschmack, langweilig. Jetzt liegt er im Trend und schmeckt. Winzer lüften ihr Geheimnis.
Lange Zeit hatte er einen schlechten Ruf: alkoholfreier Wein. Nun liegt er plötzlich richtig im Trend, steht selbst in besseren Weinläden. Was hat sich geändert? Antwort: vor allem der Geschmack – und das liegt auch an ziemlich nüchterner Technik.
Christian Nett wollte mit der Produktion von alkoholfreiem Wein schon vor Jahren beginnen. Aber damals sei der Geschmack noch ernüchternd gewesen, sagt der Mann vom traditionellen Weingut Bergdolt-Reif & Nett in Duttweiler, einem kleinen Weinort in der Pfalz. 2022 kam die Wende. Mittlerweile ist er bekannt für sein Sortiment, verkauft neben seinen 50 Weinen mit Alkohol zehn alkoholfreie in Deutschland. Er exportiert sie auch nach Kanada und Australien.
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Alkoholfreier Wein: 140 Kilometer extra für besseren Geschmack
Nach dem alkoholfreien Bier kommt nun auch alkoholfreier Wein in die Regale. Dieser steht selbst in jenen Weinhandlungen, die viel von Top-Qualität halten. „Die Herstellungstechnik ist besser geworden, hat einen Sprung gemacht“, sagt Winzer Nett. Wie funktioniert das?
Für seinen alkoholfreien Wein holt Nett die in der Sonne gereiften Trauben genauso aus seinen Weinbergen wie für den herkömmlichen Sauvignon Blanc, Riesling oder Gewürztraminer. Er keltert sie, gibt den Saft in seine Holzfässer oder Stahltanks und sorgt dafür, dass sich mithilfe von Hefe der Fruchtzucker in Alkohol verwandelt. Ganz am Ende muss Nett dem Wein den Alkohol dann wieder entziehen.
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Mit dem Alkohol allerdings verflüchtigen sich auch viele Aromen aus dem Wein. Das war bisher das große Geschmacksproblem. Nur bei alkoholfreien Schaumweinen war das leichter, Kohlensäure gleicht fehlenden Alkohol offenbar aus. Nett fährt seinen Wein nun extra gut 140 Kilometer nach Waiblingen bei Stuttgart, wo der Alkohol aus dem Wein geholt, die Aromen zurückgewonnen und dem Wein wieder zugefügt werden können.
Wein ohne Alkohol: Aroma-Spezialistin setzt auf patentiertes Verfahren
Die Aroma-Spezialistin Claudia Geyer hat das Verfahren mit ihrem Kollegen in der Firma Flavologic mit Sitz im bayerischen Vaterstetten nahe München im Labor entwickelt und auch patentieren lassen. „Die Herstellung von Wein ist extrem traditionell, ein tolles Handwerk, wir wollten es in die nächste Generation retten“, sagt Geyer.
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Junge Erwachsene unter 35 Jahren trinken im Vergleich zu Älteren deutlich weniger Wein. Zum einen muss sich der Geschmack erst an Wein gewöhnen. Zum anderen werden die gesundheitlichen Risiken immer klarer. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat unlängst erklärt, dass es beim Alkoholkonsum keine gesundheitlich unbedenkliche Menge gebe. Der regelmäßige Alkoholkonsum bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist auf den niedrigsten Stand sei Beginn der Aufzeichnungen gesunken.
Geyer meint: „Alkohol ist der neue Tabak“ – und damit immer öfter verpönt. Er soll aus dem Wein raus. „Das machen wir mit dem Vakuumverfahren, wie es heute zumeist üblich ist. Der Alkohol verdampft schon bei niedrigen Temperaturen, Unterdruck macht das möglich. Die niedrigen Temperaturen schonen die Aromen“, erklärt Geyer. Nächster Schritt: Die Aromen müssen aus dem verdampften Alkohol, dem Destillat, gerettet werden. „Das Destillat hat Kontakt mit einem Filter, einem Harz, an dem die Aromen hängen bleiben. Danach werden die Aromen als Extrakt wieder runter gewaschen.“
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Genauer wird Geyer nicht – Betriebsgeheimnis. Traubenmost, sagt sie noch, müsse dem Wein nicht mehr zwingend zugesetzt werden. Das wird sonst schon mal gemacht, um einen Verlust des Geschmacks durch den fehlenden Alkohol auszugleichen. Geyer meint: „Wir gewinnen mindestens 80 Prozent der Aromen in einen Wein zurück“.
Zwei ihrer Anlagen sind bisher gebaut, in wenigen Wochen wird die dritte fertig. Im März auf der Weinmesse ProWein in Düsseldorf will Geyer für ihr Verfahren mit großem Auftritt werben. Sie erwartet einen „großen Markt“. Das israelische Unternehmen Prodalim offenbar auch, es hat Flavologic vor anderthalb Jahren gekauft, Geyer und ihr Kollege sind dort mit ihren sieben Mitarbeitenden angestellt.
Schmeckt alkoholfreier Wein wie normaler Wein?
Wichtige Frage für Käufer: Schmeckt der Wein ohne Alkohol denn wirklich wie der mit? Claudia Geyer: „Nein, das würde ich nie sagen, das Wärmende, Abrundende des Alkohols fehlt, der entalkoholisierte Wein ist eine ganz eigene Kategorie, die garantiert Genuss ohne schlechtes Gewissen.“
Für Kinder sei das nichts, weil es eben nichts mit Saft zu tun habe. Der wird einfach nur aus Trauben gepresst, fertig. Ihm fehle der „weinige“ Geschmack, der erst durch die Gärung entsteht, erklärt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. Außerdem heißt alkoholfrei in Deutschland nicht gleich 0,0 Prozent Alkoholgehalt – die so gelabelten Getränke dürfen noch bis 0,5 Volumenprozent Alkohol enthalten. Geyer nennt den entalkoholisierten Wein einen „Softdrink für Erwachsene“.
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Billig ist der allerdings nicht. Wird der Alkohol entzogen, bleibt vom Liter Wein weniger übrig. Dazu kommt der größere Aufwand. Diese so gehobene Getränkekultur kostet. Bleibt eine grundsätzliche Frage: Ist das für einen traditionellen Winzer nicht zu viel an Technik, auch wenn das neue Verfahren als Fortschritt gelten mag? „Im Gegenteil. Ich will doch, dass das Aroma zurückgewonnen wird, das unser Weinberg liefert“, sagt Winzer Nett.