Bochum. . Gemeinsam mit der Ruhr-Uni Bochum haben wir nachgefragt, was die Menschen in der Region stresst. 3833 Menschen haben sich beteiligt. Das Ergebnis: Für berufstätige Frauen ist der Spagat zwischen Kindern und Karriere das größte Burn-out-Risiko. Und für alle Beschäftigten ist es der direkte Vorgesetzte.

„Wie kann es eigentlich sein“, fragt sich Martin, während er an seinem Schreibtisch sitzend von links nach rechts schaut, „dass der Stapel ,Erledigt’ immer kleiner ist als der Stapel ,Nicht erledigt’?“ Gleichgültig, wie viel er von links nach rechts schaufelt, die Arbeit scheint kein Ende zu nehmen. Das Telefon klingelt, der Kopf brummt. Hilft ja nichts. Also noch eine Überstunde. Wie lange wird das gut gehen? Die alleinerziehende Schwester vom besten Freund hat bereits einen Burnout. „Bin ich der nächste Kandidat?“, fragt sich Martin. „Oder brauche ich einfach nur mal wieder einen Tag am Meer?“

Der Burnout verdrängt Herzinfarkt, Hörsturz, Tinnitus – zumindest in unserer Wahrnehmung. Berühmte Menschen wie der ehemalige Skispringer Sven Hannawald, die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel oder Fernsehkoch Tim Mälzer stöhnen nicht über Stress, sie brennen aus. Der Burnout scheint das neue Volksleiden zu sein. Gleichzeitig warnen Kritiker: Der Burnout sei eine Modediagnose, mit der Scharlatane Geld verdienen – bei Menschen, die eigentlich gesund sind.

Was ist dran am Phänomen Burnout?

Was ist nun dran, am Phänomen Burnout? Zusammen mit Psychologen der Uni Bochum hatten wir unsere Leser und Nutzer im Sommer dazu eingeladen, bei einem Burnout-Test für Berufstätige mitzumachen. 3833 Menschen wollten wissen, wie hoch ihr Risiko ist. Das waren so viele Menschen, dass wir nach der Befragung statistisch belastbare Aussagen über das Burnout-Risiko geben können. Die Ergebnisse sind verblüffend.

Um sich dem Phänomen Burnout zu nähern, muss man sich zunächst einmal fragen: Was ist das überhaupt? Eine Erschöpfungsdepression, ein Gefühl des Ausgebranntseins sind häufig zu lesende Übersetzungen. Aber eine allgemeingültige Definition für Burnout gibt es bis heute nicht. Wir lesen, dass viele Menschen darunter leiden. Die Krankheitstage sind wegen der Diagnose Burnout in den letzten sieben Jahren um nahezu das Zwanzigfache gestiegen (siehe Grafik auf dieser Seite). Dabei ist Burnout bis heute nicht einmal eine allgemein anerkannte Krankheit. Die Weltgesundheitsorganisation versteht darunter lediglich eine „Schwierigkeit bei der Lebensbewältigung“.

Auch interessant

Der Personalpsychologe Rüdiger Hossiep hat zusammen mit seiner Kollegin Rebekka Schulz nun den wissenschaftlich gestützten „Bochumer Burnout-Indikator“ entwickelt, der in unserem Fragebogen zum Einsatz kam. Dieser Test soll frühzeitig vor Burnout warnen. Er ist kein Medizintest. Er richtet sich an Berufstätige, die damit ihr eigenes Burnout-Risiko einschätzen können. Und dabei eine Antwort auf Fragen finden wie diese: Brauche ich nur mal wieder mehr Schlaf oder stehe ich wirklich kurz vorm Burnout?

Faktor Arbeitsbelastung: Überstunden allein verursachen keinen Burnout 

Die Ursache für den Burnout sehen viele in der Arbeit. Immer mehr muss geleistet werden, mit immer weniger Mitarbeitern. Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit – so viel dass sie kaum noch zu bewältigen ist. Doch ist die Arbeit wirklich der Übeltäter? Rüdiger Hossiep: „Burnout ist nur in seltenen Fällen allein auf Arbeitsbelastung zurückzuführen, da müssen weitere Dinge hinzukommen.“ Zum Beispiel beeinflusst das Risiko, ob jemand seelisch stabil ist, ob er Rückhalt in der Familie oder bei Freunden findet, welche genetische Veranlagung er mitbringt und vieles mehr, das wir in diesem Artikel noch benennen werden.

Menschen mit einem hohen Burnout-Risiko machen zwar im Schnitt rund 25 Überstunden im Monat, so das Ergebnis des Tests. Doch sie allein lösen keinen Burnout aus. Manche der stark Gefährdeten gaben im Fragebogen sogar an, gar keine Überstunden zu machen. Hossiep nennt das andere Extrem: „Es gibt Menschen, die schlafen jede Nacht um 4 Uhr über ihrer Arbeit am Schreibtisch ein und bekommen trotzdem keinen Burnout.“

Er bezweifelt, dass eine Reduzierung der Arbeitszeit die alleinige Lösung ist. Hossiep nennt ein aktuelles Beispiel: Porsche. Das Unternehmen will die Wochenarbeitszeit in der Produktion in Stuttgart um eine Stunde auf 34 Stunden reduzieren – und das bei gleichem Lohn. Betriebsratschef Uwe Hück: „Durch die Produktivitätssteigerung in der Produktion nimmt der Stress meiner Kolleginnen und Kollegen zu. Dafür brauchen wir ein Ventil. Das haben wir mit der Arbeitszeitverkürzung erreicht.“ Das klingt für viele Arbeitnehmer verlockend. Aber ob die Mitarbeiter dadurch wirklich zufriedener werden, weniger gefährdet sind, einen Burnout zu bekommen? Oder wird der Druck dadurch nur erhöht, weil man in weniger Zeit noch mehr schaffen muss? „Es geht nicht allein um die Arbeitszeit, sondern auch darum, wie sie verbracht wird“, betont Rüdiger Hossiep. Und die Art der Arbeit ist entscheidend. Macht mir die Arbeit Freude? Halte ich das, was ich tue, für sinnvoll? Habe ich die Möglichkeit zu gestalten? Der Personalpsychologe sagt mit Blick auf die Arbeitgeber: „Wer Leistung fordert, muss Sinn bieten.“

Pflegekräfte sind besonders stark von Burnout betroffen

In einem Pflegeberuf, so könnte man meinen, ist der Sinn gegeben: Man arbeitet, um Menschen zu helfen. Aber gerade aus dieser Branche stammt der Begriff Burnout. Hossiep weiß aufgrund anderer Forschungsergebnisse: „Pflegekräfte sind besonders stark von Burnout betroffen.“ Einen Grund dafür sieht er im überbordenden Berichtswesen. Darin erkennen viele keinen Sinn. „Vielmehr hält es sie von Dingen ab, die sie als richtig erkannt haben.“ Zum Beispiel das Gespräch mit den Patienten.

Allerdings ist es wie so oft im Leben auch hier wie mit der Henne und dem Ei – was war zuerst da? „Es lässt sich letztendlich nicht mit Sicherheit sagen, ob die Arbeit in diesem Bereich den Burnout erst verursacht“, sagt der Wissenschaftler. „Oder zieht diese Branche Menschen in besonderem Maße an, die ihre Lebensaufgabe darin sehen, anderen zu helfen und die prinzipiell eher Burnout-gefährdet sind? Wahrscheinlich ist beides zugleich der Fall.“

Die Arbeitszeit und -menge allein sind also nicht die Übeltäter. Im Gegenteil: Arbeit verhindert sogar Burnout. Hossiep verweist auf andere Studien, die zeigen, dass besonders Hartz IV-Empfänger unter psychischen Problemen leiden. „Das Beste, um einen Burnout zu vermeiden, ist eine geregelte Arbeitstätigkeit.“ Wobei dies auch ehrenamtliche Aufgaben sein können. Ein strukturierter Tag gibt Sicherheit. Vorausgesetzt, das Arbeitsklima stimmt. Denn je weniger die Menschen mit dem Miteinander am Arbeitsplatz zufrieden sind, desto höher ist das Burnout-Risiko.

Burnout-Risko steigt mit der Unzufriedenheit mit dem Chef 

Jetzt kann das Team, in dem man arbeitet, noch so nett sein und die Arbeit sehr erfüllend, wer einen Chef hat, dem man gar nichts recht machen kann, wird schnell die Freude an seiner Aufgabe verlieren. Hossiep: „Der direkte Vorgesetzte ist die Achillesferse für die Arbeitszufriedenheit des Mitarbeiters.“ Kritisiert der Chef nur oder lobt er auch? Fördert er oder fordert er nur? Erkennt er die Arbeitsleistung an oder nimmt er sie als selbstverständlich hin? Das Problem ist, dass häufig Führungspositionen mit Menschen besetzt werden, die fachlich gut sind. Aber ob sie auch Menschen führen können, wird selten berücksichtigt. Und: „Es gibt lange Diskussionen darüber, ob Führungskräfte überhaupt motivieren können. Fest steht jedoch, dass sie demotivieren können“, betont Rüdiger Hossiep.

Der Test hat ergeben: Je unzufriedener die Befragten mit ihrem Vorgesetzten sind, desto höher ist das Burnout-Risiko. Wobei Hossiep einschränkend hinzufügt, dass der Quell der Arbeitszufriedenheit zunächst einmal in jedem selbst liegt: „Es gibt auch Mitarbeiter, denen der Chef gar nichts recht machen kann. Oder die ihre Erfüllung in der Arbeit selbst sehen und den Chef halt nur als lästiges Übel.“

Menschen in Führungspositionen fühlen sich erschöpft, weil sie eine hohe Verantwortung tragen, die Arbeitsbelastung und die Wochenarbeitszeit hoch ist. Hossiep: „Trotzdem heißt das nicht, dass Menschen mit Führungsverantwortung ein höheres Burnout-Risiko haben.“ Im Gegenteil, ihr Burnout-Risiko ist geringer als bei ihren Mitarbeitern. „Diese Leute kriegen dann vielleicht einen Herzinfarkt, weil sie sich kaputt arbeiten und auf einmal tot umfallen. Aber das sind keine klassischen Burnout-Kandidaten.“

Denn Führungskräfte können in größerem Umfang selbst bestimmen, wie sie arbeiten möchten: „Wer sagen kann, wo es langgeht, muss weniger tun, was andere sagen“, sagt Hossiep. „Denn wenn ich tun muss, was andere sagen, ist das stressauslösend. Weil ich mich den Erfolgskriterien der anderen unterwerfen muss: War das jetzt gut oder war das schlecht?“ Daher sind auch Selbstständige weniger gefährdet. Sie müssen zwar selbst und ständig arbeiten, aber wenn sie einmal gelernt haben, auch mal Nein zu sagen, können sie ihre Zeit freier gestalten.

Faktor Freizeitgestaltung

Die Freizeit spielt auch eine Rolle beim Burnout-Risiko: Je weniger ein Berufstätiger damit zufrieden ist, das Gefühl hat, kaum noch Zeit für Freunde, Familie und Hobbys zu haben, desto höher ist sein Burnout-Risiko. Wobei viel Freizeit nicht unbedingt das Burnout-Risiko senkt. Es kommt auch immer darauf an, wie die freie Zeit genutzt wird. Rennt man von einem Fußballspiel zum nächsten? Schaltet man sich die halbe Nacht durch alle Fernsehprogramme? Macht man nur noch Kurzurlaub statt sich mal längere Zeit am Stück zu erholen? Ist der Terminkalender tagsüber genauso voll wie am Abend und am Wochenende? Hossiep: „Es kommt darauf an, wie der einzelne mit seiner Zeit umgeht. Wie er seinen Akku wieder auflädt. Das hat auch etwas mit Ernährung und Bewegung zu tun. Wer abends im Sommer noch spät Alkohol trinkt und Schwein vom Grill isst, sollte sich schließlich nicht wundern, wenn er nachts schlecht schläft.“ Dagegen kann zum Beispiel ein Spaziergang in der Natur, vielleicht Hand in Hand mit dem Partner, wie eine kleine Kur wirken.

Wie beeinflusst die Liebe das Burnout-Risiko? 

Eine gute Beziehung ist ein Schlüssel zum Glück, wie wir aus der Forschung wissen. Und wie beeinflusst die Liebe das Burnout-Risiko? Menschen, die einen festen Partner haben, sind weniger gefährdet als Singles, aber das nur minimal. Sie sind im Schnitt psychisch stabiler und haben mehr Selbstvertrauen. Allerdings: Menschen in Beziehungen sind erschöpfter als Singles. Rüdiger Hossiep erklärt: „Partnerschaft braucht Kraft“. So können sich Singles besser entspannen und erholsame Ruhephasen in den Alltag einbauen. Außerdem fühlen sie sich keineswegs sozial isolierter, sie gehen aus, genießen den Rückhalt durch Familie und Freunde. Und: „Ein Single kann sich viel stärker Freizeitaktivitäten widmen“, sagt Hossiep. „Weil ein Single ungebunden ist.“

Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern

Ob man als Single oder zu zweit durchs Leben geht, wirkt sich also nicht extrem auf das Burnout-Risiko aus. Anders sieht das Ergebnis aus, wenn man die Stichprobe in Frauen und Männer aufteilt: Frauen sind eher als Männer gefährdet, einen Burnout zu bekommen. Wobei Frauen und Männer ihre Arbeit als gleich stark belastend empfinden. Generell gaben mehr Frauen als Männer beim Test an, schlecht abschalten zu können. Sie vermissen Ruhephasen und fühlen sich auch privat überfordert. Womit wir zu einem der Faktoren kommen, die das Burnout-Risiko maßgeblich mit beeinflussen: Kinder.

Faktor Kinderbetreuung

„Es ist auch heute noch so, dass ein großer Teil der Familienarbeit den Frauen zukommt.“ Das spiegelt sich auch im Test-Ergebnis wider: Kinder erhöhen bei Frauen das Burnout-Risiko. So sind berufstätige Mütter eher gefährdet als Frauen ohne Kinder. Heute sollen Frauen alles haben können, Kinder und Karriere. Angeblich müssen sie nur wirklich wollen. In der Realität stoßen sie jedoch an die Grenzen des Machbaren. Hossiep: „Die Aufrechterhaltung eines klassischen Familienbildes stellt Frauen heute vor kaum noch lösbare Aufgaben.“

Am schlimmsten betroffen sind alleinerziehende, berufstätige Mütter. Bei Ihnen fällt besonders ins Gewicht, dass sie wenig Rückhalt finden. Schließlich hat sich das private Leben komplett geändert. Während früher die Großmutter bei der Betreuung der Kinder eingesprungen ist, arbeitet die moderne Oma heute oft noch selbst. Auch für Großeltern, die bereits Rentner sind und helfen können und möchten, wird es schwierig: Nur selten wohnen sie heute in der Nähe des Enkelkindes.

Das Problem der Sozialen Isolation stellt auch politische Modelle in Frage, die Mütter ausschließlich finanziell stärken wollen. Hossiep: „Da wird deutlich, dass mit Geld allein den Müttern nicht geholfen ist. Es geht um soziale Einbindung und Unterstützung.“

Auch bei Vätern beeinflussen Kinder das Burnout-Risiko. Allerdings umgekehrt: Bei ihnen senken Kinder das Risiko. Männer, die in einer festen Partnerschaft leben, nutzen die Zeit mit den Kindern als Ausgleich zum Arbeitstag. Hossiep: „Die normale Familiensituation ist für den Mann stressreduzierend, für die Frau aber offensichtlich, wenn sie diese aufrechterhalten will, stresserzeugend.“ Wie sich die Anzahl der Kinder auf das Risiko auswirkt, wurde allerdings nicht untersucht.

Erstaunlich ist, dass Single-Männer mit Kindern tendenziell noch weniger Burnout-gefährdet sind. Dieses Ergebnis lässt Raum für Spekulationen: Alleinerziehende Männer sind immer noch die Ausnahme, viele von ihnen werden sich bewusst für diesen Weg entscheiden. Vielleicht erfahren sie deshalb mehr Rückhalt durch Freunde und Familie als Frauen? Oder: Unter den Single-Männern, die im Test angegeben haben, dass Kinder in ihrem Haushalt leben, sind die so genannten „Wochenend-Papas“, die in erster Linie die Freizeit mit ihren Kindern verbringen, aber nicht die Schulbrote schmieren.

Die allgemeine Burnout-Gefahr

Was bedeutet das Gesamtergebnis nun für unsere Arbeitswelt? Rüdiger Hossiep formuliert es positiv: „Die allermeisten Berufstätigen haben ein geringes Burnout-Risiko.“ Das in der Öffentlichkeit gezeichnete Bild von der Arbeitswelt, die sich kurz vorm Kollaps befindet, entspricht nicht der Realität. Nicht jeder Dritte steht kurz vorm Burnout, sondern 2,4 Prozent der Befragten haben ein hohes Risiko. Die Psychologin Rebekka Schulz sagt: „Man kann also kaum von einem Volksleiden sprechen. Es ist aber eine ernstzunehmende Anzahl der Beschäftigten betroffen.“

So können Sie sich testen:


Der kostenlose Check richtet sich an alle Berufstätigen. Er ist kein Medizintest. Er ist nicht gedacht für Menschen, die in psychotherapeutischer oder psychiatrischer Behandlung sind.

112 Aussagen sind zu bewerten, in welchem Maße sie auf die eigene Person zutreffen, etwa: „Auf meine Kollegen kann ich jederzeit zählen.“. Oder: „Ich bin zynisch.“

Der Test sollte besser nicht in oder nach einer schlaflosen Nacht oder kurz nach einem als besonders stressig empfundenen Erlebnis ausgefüllt werden.
Der Test dauert etwa 20 Minuten. Er ist nur online möglich.

Wer am Ende der Befragung eine E-Mail-Adresse – auch anonym – angibt, erhält seine persönliche Auswertung nach etwa einer Woche zugeschickt. Der Test kann letztmalig bis zum 15. Dezember 2013 im Internet ausgefüllt werden: Burnout-Test