Essen. . Viele unserer Lebensmittel werden mit Hightech-Methoden designt und produziert. Was dabei herauskommt, schmeckt bei genauerer Betrachtung nicht jedem. Wir werfen einen Blick auf Emulgatoren, Geschmacksverstärker und Aromastoffe. Und verraten die üblen Tricks der Lebensmittelindustrie.
Gewaltige Stahlarme wälzen sich durch einen riesigen Kessel von gekochtem Schweinefleisch, gleichgroße Kartoffeln purzeln portionsgerecht in Plastikschalen, die auf Fließbändern dahin gleiten, große Metallrüssel nähern sich von oben und geben eine gelbliche Soße darüber. Menschen sind weit und breit nur wenige zu sehen. Momentaufnahmen bei einem Hersteller von Fertiggerichten. Kein Wunder, dass die Lebensmittelindustrie eine Branche ist, die sich nicht so gern auf die Produktionsstraßen schauen lässt.
Es gibt keinen anderen Industriezweig, in dem unsere Vorstellungen von der Produktion so weit entfernt von der Realität liegen wie bei Lebensmitteln. Wir denken an glückliche Kühe, an grüne Wiesen, an hingebungsvolle Knödelköchinnen im Dirndl. Und erhalten Waren, die in entvölkerten Automatenstraßen mechanisch produziert worden sind. Nach Rezepten, die kein Koch, aber dafür mancher Lebensmittelchemiker nachvollziehen kann. Gleichzeitig geben laut Verbraucherzentrale nur 22 Prozent der Konsumenten an, dass sie kein Vertrauen in die Lebensmittelhersteller haben. Ist unser Essen noch zu retten?
Lebensmittel-Industrie ist eine Hightech-Branche
Wer für ein paar Sekunden mal rational darüber nachdenkt, wie es möglich ist, dass tagtäglich Millionen Produkte in immer gleicher Form, Farbe und Qualität in die Regale und Tiefkühltheken unserer Supermärkte gelangen, dem dürfte sehr schnell klar sein, dass hier nicht Heerscharen von fleißiger Metzgermeister, Kartoffelschäler, Knackwurststopfer und Soßenrührer täglich heinzelmännchengleich ihr traditionelles Handwerk verrichten.
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Vielmehr hat die Produktion von Lebensmitteln sich zu einer Hightech-Branche entwickelt, in der Automaten die Konsistenz von Soßen und Pürees kontrollieren, in der das Antreffen von Menschen an Computerarbeitsplätzen in Laborkitteln mit Mundschutz und Kopfhaube wesentlich häufiger vorkommt als die Begegnung mit jemandem, der das fertige Produkt auch kostet.
Nein, die Lebensmittelindustrie liegt in den Händen milliardenschwerer Großkonzerne wie Nestlé (Maggi, Buitoni, Herta, Alete...), Mondelez (ehemals Kraft, Milka, Jacobs, Phliadelphia, Suchard...), Unilever (Langnese, Knorr, Rama, Lätta, Pfanni, Mondamin) oder Danone (Actimel, Milupa, Acitiva, Evian). Die Liste ließe sich locker noch weiter führen. Und wer Produkte aus diesen Häusern kauft, darf getrost davon ausgehen, dass er europa-, wenn nicht gar weltweit, ein identisches Produkt erhält, Geschmack und Aussehen sind stets zum Verwechseln gleich. Was ja an sich nicht verkehrt ist.
Erdbeerjoghurt ohne Erdbeeren
Ob jedoch auch die Inhaltsstoffe das sind, was man von der äußeren Verpackung erwartet, darüber macht sich der Kunde beim schnellen Einkauf im Supermarkt oft keine Gedanken. Immer wieder stoßen die Verbraucherzentralen auf Produkte, bei denen die Erscheinung der Vorderseite nur in Spuren mit dem zu tun hat, was auf der Rückseite der Packung vermerkt ist. Und es handelt es sich nicht nur um den berühmt gewordenen Erdbeerjoghurt, in dem gerade mal zwei Prozent Erdbeeren schwimmen. Nein, es ist etwa die Pflanzencreme, die „das Gute des Olivenöls“ anpreist, aber selbst nur zu 20 Prozent aus Olivenöl besteht. Es ist die Feinkost-Gänseleberpastete, deren Hauptbestandteil Schweinefleisch ist, die aber nur zwei Prozent Gänseleber enthält.
„Ohne Geschmacksverstärker“
Wer selbst mal einen Blick auf die Zutatenliste wirft, bleibt oft ratlos zurück. „Man muss heute schon fast ausgebildeter Lebensmittelchemiker sein und mindestens mit der Lupe in den Supermarkt gehen, um das annähernd verstehen zu können“, sagt Martin Rücker, Pressesprecher des Vereins Foodwatch. Was vorne draufsteht, muss auf der Zutatenliste nicht unbedingt wörtlich, sondern lediglich den Vorschriften entsprechend erfüllt sein.
„Wenn Sie etwa auf einem Produkt die Angabe finden ,Ohne Geschmacksverstärker’ und dann sehen, dass in der Zutatenliste Hefeextrakt steht, dann wundert man sich schon. Denn das ist auch ein Geschmacksverstärker und mehr oder minder das Gleiche wie Glutamat. Da darf man sich schon fragen: Muss man wirklich diese Kenntnisse haben in rechtlichen Dingen zur Kennzeichnung, um zu verstehen, wie so ein einfaches Produkt funktioniert.“
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Dabei sind wir nur im Bereich der verpackten Lebensmittel. Es gibt eine ganze Reihe von Tricks etwa in der Gastronomie, wo nicht alle Zusatzstoffe gekennzeichnet werden müssen. „Es gibt spezielle industrialisierte Angebote, die dann in einem Restaurant nur noch aufgetaut werden, die darauf ausgerichtet sind, dass nur solche Zusatzstoffe verwendet werden, die nicht gekennzeichnet werden müssen auf der Speisekarte.
Das heißt: Sie denken, es wird frisch gekocht und am Ende bekommen Sie ein Industrieprodukt“, so Rücker. Nun könnte man sagen: Hierbei handelte es sich um die Schwarzen Schafe der Branche. Doch diese Schwarzen Schafe sind in der Realität häufiger anzutreffen als… sagen wir: echte Schwarze Schafe.
Noch nie ein lebendes Surimi gesichtet
Was die Zusatzstoffe angeht, wird der Verbraucher eh überrascht: 47 verschiedene Zusatzstoffe sind zugelassen – allein bei Bio-Produkten. Bei allen anderen sind es über 300. Das sind die berühmten „E“s auf der Verpackung oder die Aromastoffe, die mit den Ursprungsprodukten eben nur das Aroma gemein haben. Überhaupt lohnt sich der Blick auf die Zutatenliste. Denn selbst, wenn man nicht alles versteht, was dort zu lesen ist, sagt einem der gesunde Menschenverstand, dass Stoffe mit so klingenden Namen wie Xanthan oder Natriumacetat nicht unbedingt auf die natürliche Verarbeitung eines Produktes schließen lassen.
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Oder man könnte zumindest auf die Idee kommen, dass ein Stück paniertes Hähnchenfleisch, das als „fein zerkleinert, mariniert, zusammengefügt“ gekennzeichnet ist, ganz schnödes Formfleisch ist. Und auch wenn uns dieses Tier aus der Fischtheke bekannt vorkommt: Noch nie wurde in Ozeanen ein lebendes Surimi gesichtet – eben weil es sich dabei um kleingehackten Formfisch handelt, der in Stäbchen- oder Shrimpform gepresst und angepinselt wurde.
Auch hier hilft es, bei seinen Lieblingsprodukten genau hinzuschauen: „Man sollte sich einmal ein, zwei Stunden Zeit nehmen, wenn man in den Supermarkt geht, um sich die Liste der Zutaten anzuschauen, die in den Produkten enthalten sind. Man sollte damit anfangen: Welcher Käse ist wirklich Rohmilchkäse, wo sind keine künstlichen Emulgatoren drin, keine Geschmacksverstärker? Nach ein, zwei Stunden weiß man, welche Produkte gut sind“, rät Peter Henzek, der die Kochschule Ruhrgebiet in Mülheim leitet (siehe Interview). Grob kann man sich auch an der Formel orientieren: Je weniger ein Produkt verarbeitet ist, desto leichter kann man die Qualität erkennen.
Lebensmittel-Schummel
Wird das Ei zum Osterei – gelten andere Regeln
Das gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Etwa beim Ei wird es schwierig, wegen der sprichwörtlichen Ähnlichkeit. Doch immerhin hat die Fülle von EU-Verordnungen hier im Jahr 2004 etwas Gutes bewirkt, indem sie feste Kennzeichnungsregeln einführte. So kann der Verbraucher beim Eierkauf im Supermarkt feststellen, aus welchem Land das Ei stammt und ob es aus ökologischer Haltung oder einer Legebatterie stammt (siehe Grafik).
Da sich die grauenhaften Bilder aus den Käfigfabriken den Verbrauchern eingeprägt haben, greifen mittlerweile die weitaus meisten Käufer nicht mehr zu solchen Batterieeiern. Man findet sie auch kaum noch in den Supermärkten. Was allerdings nicht bedeutet, dass es die Legefabriken nicht mehr gibt. Denn die Kennzeichnungspflicht gilt nur für jene Eier, die dem Verbraucher unverarbeitet verkauft werden. Dennoch werden in Deutschland laut Verbraucherzentralen mehr als eine Milliarde Käfigeier produziert.
Sie landen etwa in Kuchen und Nudeln oder werden als gefärbte Ostereier verkauft. Oder sie werden zu Flüssigei, mit dem die Industrie gern backt, praktisch aufgeschlagen, in Tetrapacks verpackt und keimfrei gemacht – ein reiner Industrierohstoff.
Den Bauern auf dem Hof zuschauen
„Die Lebensrealität vieler Menschen hat sich zunehmend von der Lebensmittelproduktion entfernt. Vor 50 Jahren wurden sehr viel weniger Lebensmittel produziert, andererseits wurden sie auch räumlich sehr viel näher an den Wohngebieten von Menschen hergestellt. Wo es den Bauernhof um die Ecke gab, konnte man sozusagen zuschauen, wie Lebensmittel dort hergestellt wurden“, sagt Martin Rücker von Foodwatch. „Gleichzeitig ist es so, dass die Art und Weise, wie industrielle Lebensmittel heute hergestellt werden, nicht zu einer besonders großen Transparenz beiträgt.“
Sein Verein versucht, hier eine höhere Transparenz herzustellen. Wobei die Lebensmittelbranche Organisationen wie Foodwatch gern dafür verantwortlich macht, dass ihr Image beim Verbraucher so schlecht ist. Zwar ist es richtig, dass der Verein durch die Vergabe des Negativ-Preises „Der goldene Windbeutel“ immer wieder auf besonders dreiste Werbemaschen hinweist. Doch allein auf die Tätigkeit von 14 engagierten Mitarbeitern kann das schlechte Image einer ganzen Branche nicht zurückgehen. Selbst die immer wieder auftretenden Ernährungsskandale von BSE über Dioxin-Eier, Ehec und zuletzt den Pferdefleischbetrug können nicht allein für die miese Stimmung verantwortlich sein.
Die Politik muss sich ändern
Das Schießen gegen einzelne Produkte ist ein Kampf, in dem man sich verzetteln kann. Wenn Gutfried die Rezeptur ändert bei Putenwurst, die Schweinefleisch enthielt, ist das nur ein kleiner Erfolg für Foodwatch. „Das sollte nicht Sinn und Zweck des Ganzen sein. Wir zielen darauf ab, die Gesetzgebung zu verändern. Und da stehen wir noch sehr am Anfang. Wir sehen es als größeren Erfolg an, dass sich die Bundesregierung um dieses Thema nicht mehr herumdrücken konnte. Und dass es mit www.lebensmittelklarheit.de eine Internetseite gibt, auf der solche Fälle diskutiert wurden. Aber wenn die Verbraucherministerin eine Internetseite macht, mit der sie über täuschende und irreführende Produkte informiert, heißt das noch nicht, dass solche Produkte nicht mehr in den Handel kommen“, so Rücker.
Tatsächlich ist es aber schwierig, wenn nicht oft unmöglich, fertige Produkte im Supermarkt zu vergleichen, weil sie so verschieden sind. Deshalb handelt der Konsument eigentlich rational, wenn er nach Verpackung und Preis geht, um die Qualität eines Produkts zu beurteilen. Das hat nicht nur etwas mit Sparsamkeit zu tun.
Die Küche darf teuer sein – das Ei nicht
Andererseits: Der Deutsche pflegt auch einen hübsch schizophrenen Umgang zur Küche. Während viele Menschen bereit sind, mehrere zehntausend Euro für eine neue Küche auszugeben, reagieren sie empfindlich, wenn der Preis für Milch und Butter um 20 Cent steigt. Das gilt auch für andere Produkte: Die Schmerzgrenze für ein Fertiggericht liegt pro Verpackungseinheit bei knapp über 3 Euro, alles was darüber steigt, bleibt in den Regalen und Tiefkühltruhen kleben.
Dass diese Gerichte selbstverständlich aus den erwähnten, menschenarmen Fertigungsstraßen stammen, das sollte allerdings wirklich keinen mehr wundern.