Essen. Die modernen Handys und Tablet Computer sind Segen und Fluch zugleich. Zudem laufen sie mit immer neuer Technik vielen anderen Statussymbolen beinahe den Rang ab. Eine Bestandaufnahme anlässlich des Vorweihnachtsgeschäfts.

Eigentlich war es ein Tag wie jeder andere. Ein kalter Novembermorgen, der Zug hatte ein paar Minuten Verspätung, im Abteil wartete ein wenig wohlige Wärme. Ich packte mein Handy aus, las die E-Mails und die Morgennachrichten. Doch als ich vom Bildschirm aufblickte, bemerkte ich sie: meine Mitreisenden. Sie waren wie in Trance. Mit genau dem Blick, mit dem ich ein paar Sekunden zuvor auf den Bildschirm meines Mobiltelefons gestarrt hatte, fixierten auch sie ihre Handys. Sie wischten, sie strichen, ja sie streichelten die Displays ihrer handtellergroßen Smartphones. Im Abteil war es ganz still. Meine Mitreisenden kommunizierten, ohne miteinander zu sprechen.

Das schwarze Kästchen, mein Smartphone, hat mein Leben ein Stück weit verändert. Und das Millionen anderer Menschen ebenso. Unser aller Leben ist ein bisschen digitaler geworden – und vernetzter. Denn niemals zuvor war das Bedienen eines Computers so leicht. Ich kann mein Handy überall mit hinnehmen. Ein Teil meines Zuhauses ist daher immer dabei. Ich speichere darauf Musik, Fotos und Videos. Oder ersteigere im Online-Auktionshaus etwas . . . Moment, ich bin gleich wieder da, nur noch schnell die Mails checken – und meinen Kontostand. Das schwarze Kästchen, es ist Segen und Fluch zugleich.

Das iPhone hat Geburtstag

Der mittlerweile verstorbene Apple-Gründer und Geschäftsführer Steve Jobs stellt...
Der mittlerweile verstorbene Apple-Gründer und Geschäftsführer Steve Jobs stellt... © ddp images/AP/Paul Sakuma
...bei der
...bei der "MacWorld Conference" in San Francisco am 9. Januar 2007 das erste iPhone vor. Das © ddp images/AP/PAUL SAKUMA
Es gründeten sich direkt Gruppen wie
Es gründeten sich direkt Gruppen wie "iWait", die... © ddp images/AP/Paul Sakuma
...vor den Läden auf den Verkausstart warteten. Am 29. Juni 2007 gingen die ersten iPhone über die US-amerikanischen Ladentheken. Sechs Monate hatten...
...vor den Läden auf den Verkausstart warteten. Am 29. Juni 2007 gingen die ersten iPhone über die US-amerikanischen Ladentheken. Sechs Monate hatten... © ddp images/AP/M. Spencer Green
...sie seit der Vorstellung des neuen Handys gewartet. Dann hielten manche es endlich in den...
...sie seit der Vorstellung des neuen Handys gewartet. Dann hielten manche es endlich in den... © ddp images/AP/David Crenshaw
...Händen. Wettbewerber von Apple kündigten umgehend an,...
...Händen. Wettbewerber von Apple kündigten umgehend an,... © ddp images/AP/Paul Sakuma
...ebenfalls Touchscreen-Handys auf den Markt zu bringen. Doch Steve Jobs...
...ebenfalls Touchscreen-Handys auf den Markt zu bringen. Doch Steve Jobs... © ddp images/AP/Jason DeCrow
...war seiner Zeit mal wieder vorraus. Apple verzeichnete im ersten Quartal nach Einführung des iPhones einen...
...war seiner Zeit mal wieder vorraus. Apple verzeichnete im ersten Quartal nach Einführung des iPhones einen... © ddp images/AP/Paul Sakuma
...Zuwachs von 67 Prozent und übertraf damit alle Erwartungen. In Deutschland...
...Zuwachs von 67 Prozent und übertraf damit alle Erwartungen. In Deutschland... © ddp images/AP/PAUL SAKUMA
...konnten zunächst nur Telekom-Kunden Besitzer eines iPhones werden. Deutsche Telekom-Chef Rene Obermann (links)...
...konnten zunächst nur Telekom-Kunden Besitzer eines iPhones werden. Deutsche Telekom-Chef Rene Obermann (links)... © ddp images/AP/HERBERT KNOSOWSKI
...kündigte an, dass T-Mobile das iPhone in Deutschland...
...kündigte an, dass T-Mobile das iPhone in Deutschland... © ddp images/AP/Roberto Pfeil
...exlusiv vertreiben werde. Der Apple-Chef Steve Jobs sagte...
...exlusiv vertreiben werde. Der Apple-Chef Steve Jobs sagte... © ddp images/AP/Joerg Sarbach
...auf einer Pressekonferenz in Berlin, dass das iPhone...
...auf einer Pressekonferenz in Berlin, dass das iPhone... © Getty Images
...in Deutschland ab dem 9. November 2007 verkauft würde. Kostenpunkt:
...in Deutschland ab dem 9. November 2007 verkauft würde. Kostenpunkt: © ddp images/AP/HERBERT KNOSOWSKI
399 Euro.
399 Euro. © ddp images/AP/MARKUS SCHREIBER
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Die digitale Zeitenwende, sie wurde vor fünf Jahren eingeläutet. 2007 brachte der US-Konzern Apple die erste Generation seines Wunderkästchens heraus, das iPhone erblickte das Licht der Welt. Handys gab es da schon lange. Auch damals war das Geschäft mit den Mobiltelefonen schon ein Milliardenmarkt, dominiert von einem finnischen Konzern. Heute ringt Nokia ums Überleben. Geräte mit Kalender, E-Mail-Funktion und Internet-Browser waren auch früher schon die Regel. Nur waren sie alles andere als spielend einfach zu bedienen.

Aus der Not geboren

Apples Erfindung war aus der Not geboren. Die Kalifornier verkauften Millionen ihrer Musikspieler, ihrer iPods, fürchteten aber das Abdriften in die Bedeutungslosigkeit, weil immer mehr Handys auch Musik abspielen konnten. Monate verbrachten Apple-Boss Steve Jobs und seine Entwickler damit, ein Gerät zu erschaffen, das sich so spielerisch bedienen ließ wie ein iPod, mit dem man aber auch telefonieren und im Internet surfen konnte. Heraus kam ein Telefon, das nur eine runde Taste hatte und ansonsten einen großen berührungsempfindlichen Bildschirm. Ein Minicomputer für die Hosentasche, der all das konnte, was ein modernes Handy eben auch zu leisten vermochte, aber die von Apple gewohnte intuitive Bedienbarkeit mitbrachte – und dabei auch noch schick aussah.

Das Smartphone wurde ein Erfolgsmodell. „Den Prognosen zufolge sind in diesem Jahr bereits 70 Prozent aller in Deutschland verkauften Mobiltelefone Smartphones“, vermeldete der Bitkom im August. Und die Lobby-Organisation der deutschen IT-Branche geht davon aus, dass bereits in zwei Jahren das klassische Standard-Handy weitgehend vom Markt verschwunden sein wird. Maximal zehn Prozent Marktanteil – mehr nicht – wird dem mobilen Tastentelefon 2014 noch eingeräumt.

Den Zündschlüssel als Flirtfaktor abgelöst

Allein in diesem Jahr, so schätzt der Bitkom, werden die Menschen in Deutschland 22,9 Millionen Smartphones kaufen, ein Anstieg um 43 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Weltweit könnten es fast 700 Millionen sein. Inzwischen besitzen 38 Prozent aller Bundesbürger ab 14 Jahren ein solches Mobiltelefon. Und die Kunden sind bereit, dafür richtig Geld in die Hand zu nehmen. Das durchschnittliche Smartphone kostet derzeit 342 Euro. Das neueste iPhone, Version 5, und das brandaktuelle Samsung Galaxy S III sind sogar noch deutlich teurer – das macht die Handy-Alleskönner auch zu Statussymbolen.

Die wichtigsten Smartphone-Funktionen
Die wichtigsten Smartphone-Funktionen © Miriam Fischer

Vor allem im Leben junger Menschen: Smartphones und die mit ihnen verwandten Tablet-Computer haben den Zündschlüssel als Flirtfaktor bereits abgelöst. Glaubt man einer Studie des zum Autobauer BMW gehörenden ifmo-Instituts, gilt das Automobil zwar immer noch als Statussymbol, aber „in den letzten Jahren haben neue Symbole des expressiven Konsums an Bedeutung gewonnen, die neben dem Auto für die Stilisierung der eigenen Person eingesetzt werden“. Zeig mir Dein Smartphone und ich sag Dir, wer Du bist. Auch verliert das Auto an Bedeutung, weil junge Menschen nicht mehr von A nach B fahren müssen, um Freunde zu treffen. Das geht ja jetzt auch online, im sozialen Netzwerk oder per Videotelefonie – und das sogar von unterwegs, mit dem Smartphone.

Im vergangenen Jahr luden Deutsche fast eine Milliarde Apps herunter 

Facebook, der Kurznachrichtendienst Twitter, das Videoportal YouTube, sie alle haben zum Erfolg des Multimedia-Handys beigetragen. Für jede dieser Internet-Plattformen gibt es eine Minisoftware fürs Smartphone, eine App. Mehr noch: Mit den kleinen Programmen lässt sich der Busfahrplan checken, sie wissen, wo das nächste freie Taxi steht und rufen es herbei, zeigen uns, wo der nächste gute Italiener zu finden ist und leiten uns, wenn nötig, auch noch mit Navigations-Software dahin. Oder sie helfen dabei, unsere Fotos aufzupeppen und sie danach mit unseren Freunden online zu teilen. Ein Markt im Markt: Über eine Million Smartphone-Programme sind mittlerweile weltweit verfügbar – in den Online-Shops der Handy-Hersteller genauso wie auf Webseiten im Internet. Im vergangenen Jahr luden Nutzer in Deutschland fast eine Milliarde Apps herunter, eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr. 210 Millionen Euro wurden damit umgesetzt, das sind 123 Prozent mehr als noch ein Jahr davor. Glaubt man IT-Analysten, steht die Entwicklung dieser kleinen Helferlein erst am Anfang. Und die der Smartphones sowieso: Schon heute erkennen moderne Geräte wie das Samsung Galaxy, ob der Nutzer auf den Bildschirm schaut oder ob er die Augen geschlossen hat. Ist letzteres der Fall, schaltet der Bildschirm ab, spart ja Energie im Akku.

Aber wehe, der ist einmal leer. Dann sind wir abgeschnitten – von unseren Freunden, von den Kollegen, vom Rest der Welt. Hast Du etwa die Mail nicht gelesen, die ich Dir geschickt habe? Das kleine Schwarze, es raubt uns den Schlaf, zwingt uns, zu später Stunde noch einmal bei Facebook reinzuschauen, die Online-Auktion zu checken oder das Wetter – Sandmännchen, warte gefälligst noch ein halbes Stündchen. 69 Prozent der Befragten einer aktuellen Umfrage nutzen ihr Smartphone auf dem Weg zur Arbeit, 62 Prozent werfen in der Mittagspause einen Blick aufs Display – und im Bett? Da sind es immerhin noch 50 Prozent, die ihrem Smartphone eine gute Nacht wünschen.

Warum? Weil es so einfach und bequem ist – und weil wir dazugehören wollen. Für so viel Komfort und Gemeinschaftsgefühl sind wir auch bereit, einen Teil unserer Privatsphäre Konzernen anzuvertrauen, von denen wir eigentlich gar nicht wissen, was sie damit machen. Und die meistens noch im Ausland sitzen und sich einen Dreck darum scheren, wenn wir darum bitten, Daten zu löschen. Diese Unternehmen sammeln Tonnen von Bits und Bytes. Wofür, wissen die Firmen im Detail bislang auch noch nicht. Aber es kann ja nicht schaden, sie zu besitzen. Das nächste lukrative Geschäft wartet vielleicht schon.

Ein Fall für Antiviren-Programme

Sicherheit und Privatsphäre spielen bei Smartphone-Nutzern sowieso nur eine untergeordnete Rolle. Vielen ist gar nicht bewusst, dass sie mehr als nur ein Handy in den Händen halten. So ein Minirechner will genauso vor Betrügern und Kriminellen geschützt werden wie der Desktop-Computer Zuhause unterm Schreibtisch. Dort sind Virenscanner als Schutz vor digitalen Schädlingen mittlerweile die Regel, sogar oft Teil des Betriebssystems. Auf Smartphones fristet Anti-Viren-Software bislang dagegen ein Schattendasein. Fast die Hälfte aller Handy-Nutzer hat um solche Programme bislang einen Bogen gemacht, 20 Prozent verzichten auf jegliche Sicherheitsfunktionen. Dabei reicht es manchmal schon, das Gerät mit einem Zahlencode vor unberechtigtem Zugriff zu schützen.

Im Umgang mit ihren Daten lassen sich Smartphone- wie Internet-Nutzer grundsätzlich in drei Gruppen einteilen: Die, die noch immer nach dem Motto Ich-habe-nichts-zu-verbergen-sollen-sie-doch-sammeln agieren. Die, die übervorsichtig sind, fast schon paranoid, die nichts über sich preisgeben wollen, aber trotzdem nicht auf moderne Kommunikationsformen verzichten möchten. Und die – und das dürfte die Mehrheit aller Nutzer sein –, die zwar Angst vor den Bedrohungen der großen weiten Datenwelt haben, ihr aber trotzdem Fotos, Mails, Videos und Dokumente anvertrauen.

Smartphone-Verweigerer

Ach ja, und dann gibt es noch eine vierte Gruppe von Leuten: die totalen Smartphone-Verweigerer. Die seit fast zehn Jahren dasselbe Handy nutzen und stolz darauf sind. Die Facebook meiden und auch sonst von sozialen Netzwerken nicht viel halten. Einer meiner besten Freunde ist so einer. Neulich saßen wir zusammen und schauten eine Miniserie auf DVD. Der Schauspieler, der da gerade zu sehen war, den kannten wir. Nur woher? Ich zückte mein Smartphone und es dauerte keine zwei Minuten, da wussten wir, dass der Typ den Vater von Captain Kirk in Star Trek 11 gegeben hatte. Mein Freund nickte anerkennend – und lehnte sich zufrieden dreinblickend zurück.

Neulich, als er mal wieder sein angestaubtes Handy in der Hand hielt und ich mein Smartphone, meinte er, nun sei es wohl langsam an der Zeit, dass er sich auch ein solches Gerät zulegen müsse. Ich habe darauf nicht geantwortet. Wir schwiegen einige Minuten, blickten auf die Bildschirme unserer Mobiltelefone. Und ich musste an meine Zugfahrt denken. An den kalten Novembermorgen, als alle kommunizierten, aber keiner mit dem anderen sprach …