Sankt Augustin/Los Angeles. Jeremy Fragrance ist der erfolgreichster Parfüm-Influencer Deutschlands – und ein Phänomen, das niemand versteht. Ein skurriles Interview.
Der Mann in dem strahlend-weißen Anzug kneift seine Lippen zusammen und blickt, ohne zu blinzeln, in die Kamera. In der Hand hält er einen Parfümflakon. 35-Mal sprüht er sich damit ein, dann schließt er die Augen, atmet tief durch und sagt: „Kraft. Power. Strength.“ Als er die Worte wiederholt, schreit er. Seine Wangen beben.
Videos wie diese postet Jeremy Fragrance fast täglich auf seinen Social-Media-Kanälen und erreicht damit Millionen von Menschen. Er gilt als der erfolgreichste Parfüm-Influencer der Welt. Seine Videos tragen Titel wie „Die besten zehn Männer-Düfte für den Winter“, „Die fünf Sommer-Düfte, die man kennen muss“ oder „Die Top 10 Parfüms mit langanhaltendem Duft“.
Dabei sind die Inhalte eigentlich nur zweitrangig. Das Ereignis ist er selbst: Jeremy, der er an einem Mülleimer in der Innenstadt riecht, der fremde Menschen auf der Straße fragt, ob sie ihn kennen, und der in Boxershorts einarmige Liegestütze macht.
Jeremy Fragrances Markenzeichen: Weißer Anzug, goldenes Kreuz
Seinen Körper stellt Jeremy gerne zur Schau, zeigt sich oft leicht bekleidet. So auch bei diesem Interview. Da er gerade geschäftlich durch die USA reist, haben wir uns zum Zoom-Gespräch verabredet. Oberkörperfrei steht Jeremy in seiner Wohnung in Los Angeles, an seinem Hals baumelt ein großes, goldenes Kreuz.
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Während er über sein neues Buch „Power, Baby! Die Jeremy-Fragrance-Story“ spricht, zieht er sich ein Hemd und das passende Sakko an. Der weiße Anzug, das ist sein Markenzeichen. Im Buch widmet er seinem „All-White-Look“ gleich mehrere Seiten. „Weiße Anzüge haben einen ganz besonderen Stil. Es gibt im Leben einige 10-von-10-Dinge: eine schwarze Mercedes-G-Klasse: 10/10. Ein roter Ferrari: 10/10. All-White-Look: 10/10“, schreibt er.
Jeremy Fragrance ist wohl das, was man ein Phänomen nennt. Bürgerlich heißt er eigentlich Daniel Schütz und ist in einfachen Verhältnissen als Kind polnischer Einwanderer in Oldenburg aufgewachsen.
Nachdem seine Pläne scheiterten, als Teil einer Boyband bekannt zu werden, sei er eher durch Zufall in die Parfüm-Branche gerutscht. Auf YouTube entdeckte er das Video eines Mannes, der über ein Parfüm sprach. „Der hat gesagt, mit dem Duft rieche man wie ein Rockstar und bekommt alle Mädels. Da dachte ich: Boah, ist das cool, wie emotional der über Düfte redet. Dann habe ich das selbst ausprobiert“, erzählt Jeremy.
Jeremy Fragrance: „Wow, ist das langweilig“
Im Jogging-Anzug setzte er sich vor die Kamera, beschrieb mit ruhiger Stimme den Duft. „Als ich mir das dann angeguckt habe, dachte ich: Wow, ist das langweilig. Also ist das erste Video, das ich gedreht habe, gar nicht erst online gegangen.“
Einen zweiten Versuch wagte er kurze Zeit später. Nachdem er sich mit einem Freund gestritten hatte, stellte er sich noch wütend vor die Kamera. Das Video ging viral, erreichte auf Anhieb mehr als zwei Millionen Menschen. Das war 2014. Vier Jahre später brachte Jeremy seine erste eigene Parfüm-Kollektion auf den Markt. In diesem Jahr will er Milliardär werden.
Werbedeals und eigene Parfüm-Kollektion
Sein Geld verdient er mittlerweile nicht nur mit den Klicks seiner Videos, sondern auch mit Werbedeals – das Baguette von Aldi Nord bewarb er oberkörperfrei stehend am Strand als „Den besten Duft der Welt“ – und einer eigenen Parfüm-Kollektion.
Während viele ältere Menschen über Werbe-Deals oder seine Teilnahme an der Reality-TV-Serie „Promi Big Brother“ zum ersten Mal auf den Duft-Influencer aufmerksam wurden, ist er für die Jüngeren auf TikTok, YouTube und Instagram längst ein Star. Obwohl, oder gerade, weil seine Aussagen einen oft ratlos zurücklassen.
Während unseres Interviews fallen Sätze wie „Als Influencer und Unternehmer arbeitest Du daran, dich zu energetisieren und auf einer hohen Frequenz zu sein“ oder „Das Ziel ist es, nachhaltig krass, geil und erfolgreich zu sein“. Begriffe wie „Signifikanz“, „Energy“ oder „Potenzial“ nutzt Jeremy ebenso häufig wie erfundene Wörter wie „Formulation“.
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Insgesamt wirkt er beim Gespräch aber weniger aufgedreht, weniger egozentrisch und weltfremd als in seinen Videos. Seine Arbeit koordiniert er von Sankt Augustin bei Bonn aus. Für die Musikkarriere zog er damals nach Nordrhein-Westfalen.
Jeremy Fragrance sorgt für Sexismus-Skandal
Dort sei er „hängengeblieben“, weil das Wetter besser sei als im kalten Norden, weil er „die Berge“ liebe – gemeint ist das Siebengebirge – und weil er die „Upbeat Energy“, die er nicht weiter definieren könne, schätze. Deutschland werde für ihn aber immer uninteressanter, erzählt er: „Für mich sind die USA das Ding. Ich bin gerade in Malibu und fühle mich fantastisch.“
Fantastisch fühlt er sich auch, obwohl er immer wieder in die Kritik gerät. Erst im Mai dieses Jahres löste er auf dem OMR-Festival mit sexistischen Aussagen einen Skandal aus, der dazu führte, dass Werbepartner Aldi Nord sich öffentlich von ihm distanzierte. Für negative Schlagzeilen sorgte auch ein Video, in dem Jeremy Finanz-Tipps gibt:
„1000 Euro pro Monat kriegt jeder von uns zusammen. Von mir aus gehen davon 650 Euro für Miete weg. Aber 200 Euro wirst Du ja auf jeden Fall haben. Ja gut, da musst Du eben Essen von bezahlen. Sagen wir, ein Euro pro Tag für Essen. Dann wären das 300 Euro. Na gut. Wenn du nur 1000 Euro im Monat machst, dann würde ich dir empfehlen, mehr zu machen.“
„Ich wirke, als ob ich mir Koks durch die Nase ziehe“
Seinem Erfolg hat das nicht geschadet. Im Gegenteil. Jeremy lebt von der Provokation. Er ist eine Art Comic-Figur, das sagt er selbst. Doch wie viel von dem echten Daniel Schütz steckt in ihr? „Jeremy Fragrance, das bin schon ich. Aber ich zeige meistens diese hoch energetisierte Seite von mir. Ich weiß eben, wie ich das Spiel zu spielen habe“, antwortet er.
Seine Energie sei das, was ihn auszeichne. „Für viele Menschen wirke ich, als ob ich mir regelmäßig Koks durch die Nase ziehe“, schreibt er auf Seite sieben seines Buches, um klarzustellen, dass er weder Alkohol noch Drogen konsumiere. Für ihn gebe es nur „geilen, grünen Tee“ und eine eiskalte Dusche am Morgen.
„Wer ist dieser Typ? Das denken die Leute, wenn sie meine Videos sehen“, sagt Jeremy. Er selbst hat auf diese Frage eine klare Antwort gefunden: „Ich bin Jeremy Fragrance, die Parfüm-Ikone Nummer 1.“
>>> Alle Infos zum Buch:
„Power, Baby! Die Jeremy-Fragrance-Story“, 224 S., 24,95 Euro, Heel Verlag
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