Zülpich. Mit den Sommerferien beginnt die Hauptsaison für Postkarten. Zu Besuch bei Postcrosserin Dorothee Bender, die mehr als 15.000 Grüße gesammelt hat.

Wenn Dorothee Bender den Briefkasten öffnet, wartet fast jeden Tag „ein kleines Geschenk“ auf sie. Ihr werden nicht nur Rechnungen und Werbeprospekte zugeschickt, sondern auch etliche Postkarten – und zwar von fremden Menschen. Oft kommen die Karten mit bunten Motiven aus den USA und Russland, mal aus China oder Indonesien, selten aus Uruguay oder El Salvador. Bender ist „Postcrosserin“. Um die 15.600 Postkarten hat sie in den letzten zwölf Jahren versendet und erhalten.

Urlaubszeit ist Postkartenzeit.Laut DHL werden die meisten Postkarten zwischen Juni und August geschrieben. Obwohl persönliche Nachrichten und Fotos heutzutage direkt vom Pool aus verschickt werden können und eine Sekunde später auf dem Handy des Empfängers aufpoppen, senden viele Deutsche ihre Urlaubsgrüße im A6-Format. Doch die handgeschriebenen Botschaften werden weniger: Während 1998 um die 400 Millionen Postkarten befördert wurden, hat sich die Zahl bis heute mehr als halbiert.

Früher schickte sie jeden Tag mindestens zwei, drei Karten los

Nostalgikerinnen und Nostalgiker wie Dorothee Bender versuchen, die Tradition aufrechtzuerhalten – und verknüpfen über das Online-Portal „Postcrossing“ die digitale Welt mit einem Stück Pappe. Das Prinzip ist simpel: Jedem Nutzer, der über Postcrossing eine Karte verschicken möchte, wird per Zufall die Adresse eines anderen Mitglieds zugewiesen. Im Gegenzug für jede verschickte Karte erhält man auch eine zurück.

Kistenweise hat Dorothee Bender Postkarten gesammelt.
Kistenweise hat Dorothee Bender Postkarten gesammelt. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

„Ich habe schon immer gerne geschrieben“, erzählt Bender, die in Zülpich lebt. Als sie 2011 durch eine Brieffreundin vom Postcrossing erfuhr, meldete sie sich sofort an. Welche Motive sie auswählt und was sie in wenigen Zeilen auf der Rückseite der Karte erzählt, macht Bender immer vom Empfänger abhängig, erzählt sie: „Manche haben in ihrem Online-Profil stehen, dass sie gerne etwas über das Land wissen wollen: Was macht die Region besonders? Was muss man gesehen haben? Aber auch so Fragen wie: Was isst man hier zum Frühstück? Andere wollen etwas über meine Hobbys erfahren, wieder andere sammeln bestimmte Motive: Tiere, Bahnhöfe oder Leuchttürme zum Beispiel. Manchmal erzähle ich auch einfach von meinem Tag.“ Eine Zeit lang betrieb sie ihr Hobby „sehr exzessiv“, schickte jeden Tag mindestens zwei, drei Karten los – und fand genauso viele in ihrem Briefkasten wieder. Heute sind es zwei, drei Karten in der Woche.

Die Karten sind wie ein Stück Welt, das zu mir nach Hause kommt

„Ich freue mich einfach, wenn ich nach Hause komme und eine Karte im Briefkasten liegt. Da hat sich jemand hingesetzt und sich die Zeit genommen, mir per Hand etwas zu schreiben“, sagt Bender. Einen Großteil der Karten bewahrt sie auf. „Bestimmt um die 7000“ hat sie in einer großen Plastikbox verstaut. „Die Karten sind wie ein Stück Welt, das zu mir nach Hause kommt. Ich sitze dann hier auf dem Sofa und reise durch die Postkarte dahin.“ Durch die Postkarten erfährt Bender aber nicht nur etwas über fremde Länder und ihre Kulturen, einige Postcrosser vertrauen der ihnen fremden Empfängerin auch sehr private Dinge an. „Eigentlich dürfen sich keine Kinder anmelden, aber bei manchem läuft das dann über die Eltern. Ich habe also einmal eine Postkarte von einem Kind bekommen, das Krebs hatte und dem die Karten große Freude machen. Das bewegt einen natürlich.“ Wie viel Halt die Postcrosser sich gegenseitig geben können, hat Bender erlebt, als sie von der Flut im Ahrtal betroffen war, das Hochwasser zerstörte ihren Karten-Vorrat.

Hilfe nach der Flutkatastrophe

„In einer Karte, die ich zu einer Frau nach Kiel geschickt habe, habe ich ihr erzählt, dass ich gerade keine Auswahl an tollen Motiven habe, weil alle Karten weg waren. Wir kannten uns ja überhaupt nicht, aber sie hat dann eine Aktion für mich gestartet und zusammen mit anderen Postcrossern Postkarten für mich gesammelt.“ Ein paar Tage später stellte der Briefträger Bender gleich ein ganzes Paket zu – das bis zum Rand gefüllt war mit hunderten von ungenutzten Postkarten. „Da war ich so gerührt“, sagt Bender, die bis heute den Kontakt zu der Frau aus Norddeutschland hält.

Dass über das Postcrossing feste Brieffreundschaften entstehen können, sei keine Seltenheit. Mit einem Engländer tauscht Bender sich regelmäßig per Postkarte aus, bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges hat sie sich auch mit einer Frau aus Mariupol geschrieben. Wenn Bender ihren Freundinnen und Freunden von ihrem Hobby erzählt, schütteln die mit dem Kopf. „Sie können es nicht nachvollziehen. Aber manche bringen mir trotzdem Karten mit, wenn sie unterwegs sind, damit ich sie dann verschicken kann.“

Manchmal haben ihre Freunde selbst Post von Bender im Briefkasten – aber nur die klassischen Ansichtskarten aus dem Urlaub.

Historische Postkarte aus Oberhausen-Sterkrade.
Historische Postkarte aus Oberhausen-Sterkrade. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

>>> Geschichte: Als die Postkarte noch als „unanständig“ galt

Postkarten haben in Deutschland eine lange Tradition. Als 1870 in Deutschland die erste Postkarte verschickt wurde, war sie ein großer Erfolg, wenige Jahre zuvor galt sie allerdings noch als „unanständig“, sagt Veit Didczuneit vom Museum für Kommunikation in Berlin: „1865 hat unser Museumsgründer Heinrich von Stephan versucht, die Post zu reformieren. Er wollte sie schneller und günstiger machen. Als Alternative zum Brief schlug er das offene Postblatt vor, auf dem man in wenigen Sätzen seine Botschaft versenden konnte. Kritiker fanden aber damals, dass es unanständig sei, da die Dienerschaft mitlesen könne, was die Herrschaft schrieb.“ Erst fünf Jahre später konnte Heinrich von Stephan seine Idee umsetzen.

Die „Korrespondenzkarte“ stieß auf große Begeisterung – nicht nur, weil sie günstiger als ein klassischer Brief war, sagt Didczuneit: „Fast zeitgleich zur Postkarte kam die Rohrpost auf. Dadurch wurden die Briefkästen in großen Städten fast stündlich geleert, in Berlin bis zu 11-mal am Tag. Man konnte also, wenn man morgens eine Postkarte schrieb, sich für den Nachmittag verabreden.“ Künstlerinnen und Künstler machten sich die hohe Nachfrage zu eigen und gestalteten schöne Motive für die Karten.

„So wurden große Sammelalben angelegt und Postkarten getauscht. Um das Jahr 1900 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs herrschte ein regelrechter Postkarten-Hype.“ Das Telefon löste schließlich die Postkarte als alltägliches Kommunikationsmittel ab, weil die Kommunikation noch unmittelbarer war. Seit den 1950ern erfreute sie sich allerdings mit der zunehmenden Reiselustigkeit der Deutschen auch wieder größerer Beliebtheit. „Aus dem Urlaub eine Postkarte zu verschicken, ist für viele bis heute Tradition. Es geht zum einen um Selbstdarstellung, also zu zeigen, wo man war, was man erlebt hat. Aber zum anderen auch um Wertschätzung, weil man an den anderen gedacht hat. Heutzutage etwas Handschriftliches zu bekommen, ist schon wieder etwas Besonderes“, sagt Didczuneit.

Er ist daher überzeugt, dass Postkarten eine Zukunft haben: „Postkarten sind wie kleine Geschenke, sie machen Freude und stärken Freundschaften.“ sop

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