Gelsenkirchen/Gladbeck. Warum Pater Gisbert dem weltlichen Leben entsagt hat – und im Ruhrgebiet einem der kleinsten Orden Deutschlands beigetreten ist.
„Ich bin mit 56 Jahren der jüngste Amigonianer in Deutschland“, sagt Pater Gisbert. Er sitzt am Tisch im offenen Treff des Ordens in der Gelsenkirchener Feldmark und lacht. So schwierig ist das nämlich nicht. Der Orden hat noch fünf Mitglieder im Lande und ist damit der wohl kleinste der Republik. Das Wirken der Mitglieder jedoch hat vielerorts Spuren hinterlassen, Biografien geprägt. Denn die Ordensbrüder stellen sich und ihr ganzes Leben in den Dienst junger Menschen in prekären Verhältnissen.
Das ist es, was den gebürtigen Dorstener einst für diesen Orden so sehr einnimmt. Wobei die Weichen früher gestellt werden. „Den Gedanken hatte ich schon mit 14, 15 Jahren. Meine Eltern waren religiös – auf eine Weise, die mich sehr beeindruckt hat. Der Glaube war verbunden mit dem Alltag.“
Pater feiert Weihnachten mit Obdachlosen im Ruhrgebiet
Während der Vorbereitung auf das Abitur erlebt der junge Mann Prägendes: „Ich bin einmal in der Woche in die Gastkirche in Recklinghausen gefahren zu einem Abend mit obdachlosen Menschen. Zweimal habe ich dort in dieser Gruppe auch den Heiligen Abend gefeiert. Glaube und Leben waren hier ganz eng beieinander und ich habe gespürt, so will ich leben. Ich will mein Leben mit benachteiligten Menschen teilen.“
Dabei ist Pater Gisbert damals nicht weltfremd, wie er betont. Er sei natürlich auch verliebt gewesen, habe Erfahrungen gemacht mit dem anderen Geschlecht. Die Idee vom Leben in einem Orden aber lässt ihn nicht los. Er besucht verschiedene Gemeinschaften, lernt dann die Amigonianer kennen. „Hier wird die franziskanische Idee praktiziert, das Leben in Einfachheit, schlicht und überzeugend.“
Diese erste Begegnung findet in Köln statt. Da, wo die Geschichte der Amigonianer in Deutschland einst beginnt. „Dort sind die ersten spanischen Mitbrüder hingegangen. Sie wollten damals Deutsch lernen und waren Fans der deutschen Kultur. Vor Ort haben sie dann gemerkt, hier ist auch nicht alles Hochkultur“, sagt der fröhliche Ordensbruder. „Sie sind dann nach Bonn gegangen, haben bewusst in einem sozialen Brennpunkt gelebt in einer Sozialwohnung. Da bekamen sie den Ehekrach live mit und wussten, wo sie am nächsten Tag den Familien Hilfe anbieten mussten.“
Hier wird ein erster offener Treff gegründet für Kinder und ihre Familien. „Das war neu für den Orden. Bis dahin haben wir Heime betreut. Seither setzen wir auf präventive Arbeit, damit die Kinder nicht ihre Familien verlassen müssen.“ In dieser Arbeit findet Pater Gisbert Anfang seiner 20er Jahre seine Berufung. Er entsagt dem weltlichen Leben. Wenn auch zunächst auf Probe. Das sieht der Orden so vor. Er absolviert ein einjähriges Noviziat in Spanien, kehrt nach Deutschland zurück und legt 1990 seine erste Profess ab.
Amigonianer im Ruhrgebiet: „In Gemeinschaft leben“
„Da sagt man, ich will in der Gemeinschaft leben.“ Für ein Jahr. Dann muss das Versprechen erneuert werden. So geht es über sechs Jahre. Eine Zeit des gegenseitigen Prüfens. „Da sieht die Kommunität auch, was ist das für ein Mensch, mäht der den Rasen, räumt der sein Zimmer auf?“ Wieder lacht Pater Gisbert und sagt, dabei gehe es nicht um Kontrolle, sondern um das Beweisen der eigenen Reife. Die sei sehr wichtig. „Ich bin ja als Erzieher tätig, habe Einfluss auf das Leben junger Menschen.“
Eine gefestigte Persönlichkeit sei auch in anderer Hinsicht bedeutend, meint Pater Gisbert und denkt dabei an die vielen Missbrauchsfälle im kirchlichen Umfeld – nicht nur sexuelle, auch der Missbrauch von Macht. „Aus Scheu vor zwischenmenschlichen Beziehungen in einen Orden zu gehen, das ist keine gute Grundlage.“ Denn auch hier pflege man ja zahlreiche Beziehungen, nur eben andere. „Natürlich zu den Kindern und Jugendlichen, aber auch in unserem Orden. Wir suchen einander ja nicht aus.“
Wenn Pater Gisbert erzählt, spürt man eine große Freiheit. Der Orden ist recht liberal, lässt jedem seine Persönlichkeit. Das sei auch wichtig. „Man muss sich doch mit seinen eigenen Stärken in den Glauben einbringen.“ Einige Regeln gibt es natürlich schon.
„Morgens und abends geht es zum Gebet in unsere Kapelle.“ Die richten sich die Ordensbrüder in jeder Wohnung ein. Also auch in ihrer letzten in Deutschland – in Gladbeck. „Sie ist die Mitte unseres Hauses, nicht der Kühlschrank oder der Fernseher“, sagt Pater Gisbert und lacht. Denn fernsehen, das tun die Männer schon. „Abends, nach dem Gebet um 22 Uhr, schauen einige noch die Tagesthemen.“ Spielfilme stünden seltener auf dem Programm. „Aber wir schauen auch schon mal in Jogginghose Fußball.“
Wenig Hoffnung auf neue Beitritte
Dafür schlägt Pater Gisberts Herz seit der Jugend. „Ich habe früher gekickt. Ich war sogar in der Kreisliga C!“ Heute streikt das Knie immer öfter. Daher habe er sich aufs Zuschauen verlegt. Er ist Schalke-Fan durch und durch. „Ab und zu bin ich mal im Stadion – wenn mich jemand einlädt.“ Das übrigens liege an der Verfügbarkeit der Tickets und nicht am Geld. Auch wenn die Ordensbrüder in franziskanischer Einfachheit und Armut leben, ein Taschengeld zur eigenen Verfügung haben sie schon.
So sehr Pater Gisbert mit sich im Reinen ist, so überzeugend und authentisch sein Einsatz ist, dass er für einen jungen Menschen noch einmal zu einem derartigen Vorbild wird, dass er in den Orden eintritt, die Hoffnung hat er nicht mehr. „Wir werden hier keine Beitritte mehr haben.“ Ein wichtiger Grund dafür sei das Zölibat. „Da sagen viele, ich will meine Freiheit nicht verlieren. Ich behaupte aber, dass ich viel mehr Freiheiten habe als ein Familienvater, der in Verantwortung steht für seine Lieben. Gerade in der heutigen Zeit.“
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