Düsseldorf. Für Anja Kühner aus Düsseldorf ist Couchsurfing viel mehr ist als die Möglichkeit, günstig Urlaub zu machen. Wie der Urlaub bei Fremden gelingt.
Einmal im Monat wird es eng in Anja Kühners Wohnung. Dann legt sie die große Matratze auf den Boden im Wohnzimmer, teilt Küche, Bad und ihren Alltag für einige Tage mit Reisenden aus der ganzen Welt. Sie kommen aus Serbien, Frankreich oder Brasilien – und übernachten dank Kühner kostenlos mitten in der Düsseldorfer Innenstadt.
Wie fast 250.000 andere Menschen ist die 55-Jährige Teil des Gastgeber-Netzwerks „BeWelcome“. Sie bietet Fremden online einen Schlafplatz bei sich an. Bekannt ist diese Form des Reisens als „Couchsurfing“, was übersetzt so viel bedeutet wie bei jemandem auf dem Sofa zu übernachten.
Düsseldorferin reist seit 20 Jahren um die Welt
Bevor Kühner anfing, sich die Welt in ihr Wohnzimmer zu holen, hat sie selbst auf zahlreichen fremden Sofas übernachtet. Vor mehr als 20 Jahren erfuhr sie zum ersten Mal von dieser Art zu reisen. Als es sie damals für einige Tage beruflich nach Innsbruck verschlug, organisierte sie sich zum ersten Mal eine private Unterkunft statt eines Hotels, erinnert sie sich: „Die erste Reise ist immer unvergesslich. Ich wollte es unbedingt mal ausprobieren. Online fand ich das Profil einer Frau, das sich nett las. Ich habe dann ganz vorsichtig angefragt und ihr erklärt, dass ich das noch nie gemacht habe.“
Es stellte sich heraus: Auch ihre Gastgeberin war Anfängerin in Sachen Gastfreundschaft. Deren Freundinnen hatten ihr dringendst davon abgeraten, Fremde in ihr Zuhause zu lassen. Ihre Warnung: „Du holst dir noch einen Massenmörder ins Haus!“ Aus Unsicherheit verabredeten sich die beiden zuerst in einem Restaurant in der Stadt, immer mit der Option, dass Kühner sich noch ein Hotelzimmer mietet. Doch schon nach einem Viertel der Pizza stand fest, dass sie auf dem Sofa ihrer Gastgeberin übernachten wird.
„Sie hatte am nächsten Tag Geburtstag und hatte ganz viele Leute eingeladen, denen sie mich dann wirklich als ,die potenzielle Massenmörderin‘ vorgestellt hat“, erzählt Anja Kühner und lacht. Sie blieb insgesamt zwei Nächte bei der Gastgeberin – und übernachtet seitdem nur noch selten im Hotel. Dass sie dadurch Geld spart, sei nur ein „netter Nebeneffekt“.
Ihr sei beim Reisen vor allem wichtig, tief in eine neue Kultur eintauchen zu können. Und das gehe eben am besten, wenn man bei den Einheimischen zuhause unterkommt. Denn vielen Gastgeberinnen und Gastgebern geht es um mehr, als einen kostenlosen Schlafplatz anzubieten: Die meisten haben für Kühner gekocht, haben sie mit zu Treffen mit Freundinnen und Freunden genommen, in Istanbul wurde sie sogar zu einer Hochzeitsfeier eingeladen.
Düsseldorfer Heimat dank Couchsurfing neu entdecken
Und die Einheimischen ermöglichen Erlebnisse, die es im Reisebüro nicht zu buchen gibt, erzählt Kühner: „Ich durfte im Napa Valley einem Winzer bei der Lese von Merlot-Trauben helfen und in einer nichtöffentlichen Ausgrabungsstätte in Bulgarien auf dem Thron eines thrakischen Königs sitzen.“
Couchsurfing biete ihr aber nicht nur die Möglichkeit, viel von der Welt zu sehen – sondern auch ihre eigene Heimatstadt neu zu entdecken. „Viele fragen sich bestimmt, warum man völlig Fremde in seine Wohnung einlädt. Aber wenn man Gäste hat, macht man auch in seiner Heimat endlich die Sachen, die man schon immer mal machen wollte, sich aber sonst nie die Zeit dafür nimmt. Und man sieht die Stadt durch andere Augen. Das hat mir eine ganz neue Wertschätzung für meine Heimat gegeben.“
Um die 400 Menschen hat sie über „BeWelcome“ und andere Gastfreundschafts-Netzwerke kennengelernt. Mit den meisten hat sie sich gut verstanden, teilweise sind sogar jahrelange Freundschaften entstanden. „Aber natürlich harmoniert es nicht immer perfekt. Für mich ist eine Begegnung auch dann erfolgreich, wenn man sich einfach korrekt behandelt.“
Zweimal sei sie bisher auf Gastgeber gestoßen, die das nicht getan haben. Sie wurden ihr gegenüber übergriffig, erwarteten für ihren Schlafplatz eine Gegenleistung. „Man muss gerade als Frau extrem klar sein und zur Not doch in ein Hotel gehen“, so Kühner.
Beim Couchsurfing aufs Bauchgefühl hören
Generell würde sie allen Interessierten raten, sich die Online-Profile, in denen sich potenzielle Gastgeber oder Gäste vorstellen, ganz genau durchzulesen und auch die Bewertungen anderer Nutzerinnen und Nutzer zu beachten. „Grundsätzlich ist meine Empfehlung: Aufs Bauchgefühl hören.“
Bei Fatima hat ihr Bauchgefühl gestimmt. Sie kommt aus Hamburg und verbrachte das Wochenende in Düsseldorf bei Kühner. Gemeinsam schlenderten sie durch die Stadt und feierten mit Kühners Freunden das bengalische Neujahr. „So jemanden wie Fatima hätte ich sonst wahrscheinlich nie kennengelernt“, sagt Anja Kühner. Auch ihre eigene nächste Reise ist längst geplant: Am langen Vatertags-Wochenende geht es ins französische Lille. Die passende Couch ist bereits gefunden.
>>> Couchsurfing: Urlaub bei Fremden
Das erste Gastgeber-Netzwerk wurde bereits 1949 vom US-Amerikaner Bob Luitweiler gegründet. Er und seine Freunde waren nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs tief besorgt über den Zustand der Welt. Aus dieser Verzweiflung heraus entwickelten sie die Idee eines Gastgeber-Netzwerkes namens „Servas“. „Die Überzeugung war, dass man nicht auf Leute schießt, die man kennt. Damals ging es weniger ums gemeinsame Reisen, sondern eher darum, zusammen etwas zu schaffen. Zum Beispiel: Ich komme für drei Wochen kostenlos bei dir unter, dafür bauen wir zusammen eine Scheune“, erklärt Anja Kühner.
Mit der zunehmenden Reisefreudigkeit wurden Gastgeber-Netzwerke immer beliebter. Heute gibt es neben „Servas“ (www.servas.de) noch viele weitere Plattformen, die bekanntesten sind „BeWelcome“ (www.bewelcome.org) und „Couchsurfing“ (www.couchsurfing.com). Letzteres gab der Reiseform ihren Namen. Die Plattform ist vor kurzem allerdings stark in die Kritik geraten: Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie können sich Mitglieder nicht mehr kostenlos auf „Couchsurfing“ registrieren, sondern müssen einen monatlichen Beitrag zahlen.
Studien zeigen aber gleichzeitig, dass die Möglichkeit, durchs Couchsurfen Geld zu sparen, für die meisten keine Rolle spielt. Den Reisenden geht es eher darum, die eigene Komfortzone zu verlassen und eine neue Kultur möglichst gut kennenlernen zu können.
Über ihre Erfahrungen als Reisende und Gastgeberin hat Anja Kühner ein Buch geschrieben: „(Fast) Gratis Reisen: Ein Guide durch die Gastfreundschaftsnetzwerke“ erschien 2010 im ABC Verlag und kostet 14,80 Euro.