17 Sekunden währte ihr erster Laufversuch, bis sie schlappmachte. Heute ist Nicole Staudinger begeisterte Joggerin. Darüber schrieb sie ein Buch.
Nicole Staudinger (40) ist „Schlagfertigkeitsqueen”, hat es trotz sieben Millionen Ausreden geschafft, 40 Kilo abzunehmen und weiß, wie man durch Veränderung des Blickwinkels glücklicher wird. Im Interview erzählt die Autorin, warum ausgerechnet sie – als selbst ernannte „unsportlichste Joggerin der Welt“ – nun ein Motivationsbuch übers Laufen schreiben konnte.
Frau Staudinger, wenn Sie tatsächlich so unsportlich waren, wie haben Sie es geschafft, das zu ändern?
Der erste Schritt war bei mir immer mit der Waage gekoppelt. Sobald ein bestimmtes Gewicht erreicht war, habe ich auf Nulldiät geschwenkt und verkündet: „Jetzt ist Schluss! Jetzt fange ich mit dem Sport an.“ Doch stattdessen ging ich erst einmal shoppen und kaufte neue Sportgeräte, die ich vermeintlich brauchte, um mit den Übungen zu beginnen, die ich mir vorgenommen hatte.
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Was kam denn so an Geräten zusammen?
Viel! Ich habe einfach alles gekauft, 14 Yogamatten, Kurzhanteln in allen erdenklichen Gewichtsklassen, Bauchtrainer, Therabänder, einen Pilatesring und noch ganz viel mehr. Und ich habe fast gar nichts davon genutzt. Die Therabänder sind sogar noch originalverpackt (lacht).
Irgendwann haben Sie es dann aber geschafft. Gab es beim ersten Lauf sofort diese sagenumwobenen Glücksgefühle?
Haha. Nein, ganz und gar nicht! Es dauerte noch vier Jahre, bis ich das erste Mal gespürt habe, dass mir das Laufen sogar gefällt. Zuvor war für mich die Zeit im Wald entscheidender als die körperliche Betätigung, weil ich Ängste, die ich zu der Zeit hatte, im Wald lassen konnte.
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Was meinen Sie damit?
Nach meiner ersten Chemotherapie (Anm. d. Red.: Staudinger litt an Brustkrebs, schrieb darüber ihr erstes Buch „Brüste umständehalber abzugeben“) bin ich eine stramme Runde im Wald gegangen. Dabei habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass mir das nicht nur körperlich half: Es linderte nämlich auch meine Panikattacken. Die Angst, die während meiner Erkrankung immer wieder hochkam und bis heute noch hochkommt, konnte und kann ich wunderbar über die Beine in den Boden laufen lassen. Der Wald nimmt einfach alles von dir an und will nichts zurück. Das weiß ich bis heute sehr zu schätzen.
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Und das sogenannte „Runner’s High“, das Hochgefühl, kam letztlich auch noch?
Ich kann gar nicht so genau sagen, ob es das „Runner’s High“ war, aber ich hatte beim letzten Lauf vor meinem ersten Halbmarathon ein wirklich besonders Erlebnis: Ich lief etwa 15 Kilometer durch die Eifel. Irgendwann kam ich in ein Waldstück, in dem ganz viel Laub auf dem Boden lag. Weil ich keine Kopfhörer trug, habe ich die ganze Zeit dieses Rascheln des Laubes gehört. Ich schwöre, irgendwann lief ich neben mir und bin mit offenen Augen eingeschlafen! Dabei hatte ich zwei Stimmen im Ohr: eine, die mich gewarnt hat, dass ich aufpassen muss, weil ich einschlafe und fallen könnte. Und eine, die gesagt hat, dass alles gut sei. Mein Freund war beim Lauf dabei und hat mich sogar angesprochen, erinnern kann ich mich daran aber überhaupt nicht. Ich war wie in einer Zwischenwelt und kam auch erst wieder raus, als sich der Bodenbelag änderte. Das war wirklich gespenstisch.
Oh, wow! Ist Ihnen etwas Vergleichbares später noch mal passiert?
Nein, aber nach meinem ersten Halbmarathon habe ich eineinhalb Wochen nur gegrinst.
Inwiefern hat sich Ihre Einstellung zum Sport verändert?
Früher war es immer ein innerlicher Kampf. Der Kopf musste ganz viel gegen den Körper arbeiten und ihm sagen, dass er sich nicht so anstellen und weiterlaufen soll. Heute jubelt mir alles an meinem Körper zu und ist froh, wenn ich loslaufe. Das ist vermutlich für mich der größte Gewinn.
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Machen Sie heute täglich Sport?
Ja! Ich stehe morgens um 6.15 Uhr auf, ziehe sofort die Sportklamotten an, mache eine Runde Yoga, verlasse dann mit den Kindern um 7 Uhr das Haus und laufe los. Bei jedem Wetter. Hotels buche ich nur mit Fitnessraum und eigenem Schlüssel, weil die meisten ihre Sporträume erst später öffnen. Ohne anderthalb Stunden Sport gibt es keinen Tag mehr bei mir.
Was hat sich bei Ihnen dadurch verändert?
In Bezug auf meine Erkrankung sind durch das Laufen sämtliche Wechseljahrsbeschwerden weggegangen. Außerdem habe ich mit einer Ernährungsumstellung 40 Kilo abgenommen. Das Laufen half mir vor allem dabei, meine somatische Intelligenz zurückzuerlangen. Das bedeutet, dass ich wieder auf meinen Körper hören kann, der mir sagt, welche Nahrung er braucht. Denn man kommt nicht vom Laufen zurück und denkt sich: „Jetzt will ich zwölf Chicken McNuggets essen!“ Das passiert einfach nicht. Zum ersten Mal in meinem Leben ziehe ich gern kurze Sachen an. Ich gefalle mir heute und denke, dass ich eine schönere Version meiner selbst bin.
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Sind Sie stolz darauf, heute eine Läuferin zu sein?
Ja, ich bin wirklich stolz darauf, weil es in keiner Weise intuitiv war. Den Sport musste ich mir jeden Tag aufs Neue „infusionieren“ und ich bin sehr froh, dass es mir gelungen ist. Das ist auch der Grund, warum ich mit dieses Buch am allerwenigsten gerechnet habe.
Kann jeder zum Läufer oder zur Läuferin werden?
Nein, leider nicht. Deshalb steht ich in diesem Buch auch eine besondere Widmung: „Für alle, die lieber lesen als laufen. Für alle, die lieber laufen als lesen. Für all die, die sich gern mehr bewegen möchten. Und für all die, die es nicht mehr können.“ Ich habe durch meine Erkrankung viele Menschen getroffen, die leider nicht mehr laufen können und sich nichts sehnlicher wünschen. Deshalb sollte das Laufen für uns, die es können und wollen, keine Last, sondern ein Geschenk sein. Wir sollte dieses Geschenk dankbar annehmen und an all die denken, die es nicht können.
„Läuft schon!“ ist im Knaur Verlag erschienen und kostet 14,99 Euro. Alle Informationen zu Nicole Staudingers Leseshows und Seminaren finden Sie unter: www.nicole-staudinger.de