Essen. Peter Wohlleben ist der bekannteste Waldschützer Deutschlands. Er macht sich große Sorgen um die Bäume in Nordrhein-Westfalen

Auf die heftigen Stürme folgten die Dürresommer und die Starkregen. Die Natur hat uns innerhalb kürzester Zeit wiederholt vor Augen geführt, dass der Klimawandel bei uns in Nordrhein-Westfalen angekommen ist. „Von zentraler Bedeutung für den Klimaschutz und die Klimaanpassung ist der Wald. Er ist ein Seismograph des Klimawandels und massiv betroffen“, sagte Ursula Heinen-Esser, NRW-Umweltministerin, bei einem Waldbesuch im Juli dieses Jahres.

Was die Ministerin dort zu sehen bekam, dürfte nicht besonders ermutigend gewesen sein: Nicht mal mehr ein Viertel der Bäume in unseren Wäldern ist laut Waldzustandsbericht 2020 gesund. Die Landesregierung will mit Wiederbewaldung dagegenhalten. Also alles gut? Problem erkannt? „Nein“, sagt Deutschlands Waldpapst Peter Wohlleben im Gespräch mit unserer Sonntagszeitung. Der bekannte Förster und Autor, dessen 2015 veröffentlichtes Buch „Das geheime Leben der Bäume“ auf weltweites Interesse stieß, setzt sich für eine ökologisch wie ökonomisch nachhaltige Waldwirtschaft ein. „In Deutschland haben wir seit Jahrzehnten die größten Kahlschläge, vermutlich sogar illegal. Was Kahlschläge angeht, stellt Deutschland teilweise sogar Kanada in den Schatten. Ich spreche von der sogenannten Schadholzräumung. Da geht es um mehrere Tausend Quadratkilometer.“

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Gescheiterte Kontrolle

„Der Wald ist definitiv in den falschen Händen“, sagt Wohlleben. „In Deutschland sind die Aufsichtsbehörden gleichzeitig für den Verkauf des Holzes verantwortlich. Das ist in etwa so, als würden wir unsere Steuererklärung selbst kontrollieren und absegnen.“ Riesige Kahlschläge und kurzsichtige, weil meist rein profitorientierte Wiederaufforstung, sei die Folge. „Durch die planlose Holzpolitik schaden wir dem Wald eher. Derzeit werden viele Wälder regelrecht ausgeplündert“, so Wohlleben. „Wir müssen dringend eine neue Balance finden, das ist in den Köpfen aber noch nicht angekommen.“ Die Kontrolle sei „total gescheitert“, die Systeme der Waldbewirtschaftung und der Aufsichtsbehörden müsse dringend getrennt werden.

Gegen Kahlschläge und Chemieeinsatz

Und jetzt? „Ich würde rund 20 Prozent unter Schutz stellen. Die restlichen 80 Prozent sollten schonend bewirtschaftet werden. Hier sollten heimische Baumarten wachsen, Kahlschläge dürfte es nicht geben, und auf Chemie müsste verzichtet werden.“

Peter Wohlleben ist sich sicher: „Die beste Hilfe für den Wald wäre, ihn einfach mal in Ruhe zu lassen. Der Wald hat sich seit 300 Millionen Jahren immer wieder erneuert. Auch heute tut er das.“
Peter Wohlleben ist sich sicher: „Die beste Hilfe für den Wald wäre, ihn einfach mal in Ruhe zu lassen. Der Wald hat sich seit 300 Millionen Jahren immer wieder erneuert. Auch heute tut er das.“ © Tobias Wohlleben | Tobias Wohlleben

„Die Politik muss schnell umdenken“, so Deutschlands Oberförster weiter, „oft wird zum Beispiel auch von staatlicher Seite behauptet, das zum Verkauf stehende Holz sei CO2-neutral, das ist ein Skandal. Das, was da draußen passiert, ist eindeutig in vielen Fällen nicht legal“, ist sich Wohlleben sicher. Er selbst will nun dagegen angehen, auch mit Klagen. „Ich sehe da gute Chancen“, so der 57-Jährige. Bräuchte es also ein Waldschutzgesetz? „Wir haben ja eigentlich eines, das ist aber nicht klar genug definiert“, sagt Wohlleben, dieses Problem sei allerdings bekannt. Allein, es passiere nichts. Die Grünen im NRW-Landtag fordern eine Gesetzesverschärfung. Damit solle der Anbau von Mono-Kulturen künftig komplett verboten werden.

Den Wald in Ruhe lassen

Reicht das? Oder müssen wir unseren Wäldern nicht dringend helfen? „Die beste Hilfe für den Wald wäre“, ist sich Umweltschützer Wohlleben sicher, „ihn einfach mal in Ruhe zu lassen. Der Wald hat sich seit 300 Millionen Jahren immer wieder erneuert. Auch heute tut er das. Man kann das gut daran sehen, dass an den unwirtlichsten Stellen, wie zum Beispiel im Gleisbett der Bahnlinien, immer wieder neue Bäume ganz von selbst wachsen“, erklärt der gebürtige Bonner. Wir zwängen die Natur nur leider immer in ein Korsett: Wohlleben plädiert dafür, weniger Plantagen anzulegen, weniger künstlich aufzuforsten und den Holzverbrauch zu reduzieren. „Was dem Wald schadet, sind unsere Plantagen. Wir müssen unseren Holzverbrauch reduzieren“. Nur wie? „Wir verbrauchen in Deutschland 120 Millionen Kubikmeter Holz. Pro Jahr werden allein 60 Millionen Kubikmeter verbrannt, vor allem in Heizkraftwerken, und das ist etwas, das müssen wir unbedingt reduzieren“, sagt Wohlleben.

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Was kann ich den ganz persönlich für den Wald tun? „Wir könnten zum Beispiel auf unsere Briefkästen einen Aufkleber machen ,Werbung unerwünscht’, das bringt schon etwas. Oder beim Einkauf nicht nur auf Plastik- ,sonder auch auf Papiertüten verzichten. Jutetaschen sind wesentlich nachhaltiger“, so Wohlleben. Und die Tageszeitung? „Die sehe ich als Genussmittel, das ist schon in Ordnung. Wir sollten nur alles bewusst und in Maßen machen.“

Klimaanlage Wald

Was noch viel zu wenig in den Köpfen angekommen sei, so Wohlleben, ist der extrem wichtige Kühlungseffekt durch den Wald. Setzen wir ihm weiter zu, gehe dieser Effekt immer weiter zurück, erklärt der Förster. „Forscher haben Temperaturunterschiede zwischen alten Laubwäldern und Kieferplantagen von bis zu acht Grad festgestellt“, das trage eben auch zur Kühlung der Städte bei. Ganz abgesehen von der frischeren Luft. Dazu würden sogar kranke und abgestorbene Bäume beitragen, weil sie wichtigen Schatten werfen, in dem sich wiederum dann kleine Laubbäume ganz von selber ansiedeln könnten. „Es wäre gut, die toten Bäume, von denen ja gar keine Gefahr mehr ausgeht, einfach stehen zu lassen, damit die Schatten werfen. Dort kann sich dann besser Wasser im Boden speichern und neues Wachstum in Gang setzen.“ Sonst verstärke sich der Teufelskreis: „Es gibt viele alte Laubwälder, die stark aufgelichtet sind. Weil die Wälder zu warm geworden sind, sterben jetzt auch Buchen und Eichen ab.“

Sollten wir den Wald also komplett sich selbst überlassen? „Das heißt ja nicht, dass wir kein Holz mehr nutzen sollen, so meine ich das nicht, sondern uns weniger einmischen beim Wiederaufforsten. Das haben wir in all den Katastrophen gesehen, die wir schon erlebt haben, Kyrill zum Beispiel. Überall dort, wo wir nichts gemacht haben, ist der Wald viel schneller zurückgekommen und viel natürlicher und viel robuster, und das sind ja genau die Sachen, die wir gerne hätten. Wir brauchen einen robusten Wald, der sich selbst organisiert und der möglichst gut das, was wir Menschen mit dem Klima anrichten, überlebt. Dann können wir schauen, wie viel Holz können wir einem solchen Wald entnehmen, ohne ihn so weit zu schwächen, dass er zusammenklappt.“

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Fremde Fichte

Fichten sind ein gefundenes Fressen für den Borkenkäfer. Laut Umweltschützer Peter Wohlleben passt diese Baumart auch gar nicht in unsere Region.
Fichten sind ein gefundenes Fressen für den Borkenkäfer. Laut Umweltschützer Peter Wohlleben passt diese Baumart auch gar nicht in unsere Region. © dpa | Matthias Bein

Welche Schuld tragen eigentlich die vielen Fichten und der Borkenkäfer am schlimmen Zustand des Waldes? „Die Fichte passt eigentlich null zu uns. Die Borkenkäfer zeigen gnadenlos diesen naturfernen Zustand auf. Die Käfer können nur geschwächte Bäume befallen. Und weil die Nadelbäume aus dem hohen Norden stammen, leiden sie bei uns auch schon ohne Rekordtemperaturen. Deutsche Sommer sind ihnen einfach zu heiß und zu trocken. So kämpften Fichten und Kiefern schon seit Jahrzehnten ums Überleben. Der Klimawandel verschärft die Lage nur. Das freut die Käfer, die sich munter vermehren“, erklärt Wohlleben.

Was also tun, auf welche Baumarten sollten wir zukünftig setzen? Wohlleben rät zu Buche, Eiche, Ahorn, Eschen, Erlen, Pappel und Elsbeere.

Und wo können wir noch intakte Wälder erleben? „Dem echten Wald geht es verhältnismäßig gut. Leider haben wir kaum noch echte Wälder und darum können wir nur etwa 5 Prozent unserer Wälder als gesund bezeichnen“, bedauert Wohlleben. „Oft sind es kleine Waldflächen, die noch intakt sind. Im Nationalpark Eifel zum Beispiel gibt es noch solche Flächen. Aber auch an anderen Orten in NRW.“

Hat die Corona-Pandemie, die ja vielen Menschen mehr Zeit zu Hause beschert hat, unser Bewusstsein für den Wald verändert? „Jein“, sagt Peter Wohlleben, „die Menschen haben zwar wieder eine andere Beziehung zum Wald bekommen“, nun müssten allerdings Taten folgen. Wichtig sei, schon Kindern die Wichtigkeit und Schönheit des Waldes zu vermitteln. „Lassen Sie ihre Kinder den Wald erleben“, rät der Baumschützer. „Kinder brauchen Naturerlebnisse. Lassen Sie sie den Wind auf der Haut spüren. Setzen Sie sich mit ihren Kindern mal einfach in den Wald und lassen sie die Geräusche und Gerüche wahrnehmen, den Wald kann man fühlen“, sagt Wohlleben.

Den Bäumen geht es schlecht

Umweltministerin Ursula Heinen-Esser hingegen sieht die Forstbehörden am Zug. „Die Umsetzung unserer waldbaulichen Konzepte ist eine Antwort auf den Klimawandel“, so die Ministerin. Sie beendete die Vorstellung des Waldzustandsberichtes 2020 hoffnungsvoll: „Einen ganz klitzekleinen Lichtblick“ gäbe es: Immerhin 23 Prozent der Bäume seien ohne Schäden, im letzten Bericht seien es nur 19 Prozent gewesen. Und sonst? Sonst bescheinigte der Bericht dem Wald den schlechtesten Zustand seit Beginn der Aufzeichnung in den 80er-Jahren.

Wir werden unseren Wald nur retten, „wenn wir uns aktiv in die Waldpolitik einmischen“, ist sich Förster Peter Wohlleben sicher. Einmischen in die Politik wohlgemerkt, nicht in den Wald.

Wer einen „Abend für den Wald“ mit Peter Wohlleben verbringen möchte, der Förster geht auf Tournee. Ein Auftritt ist am 16.03.2022 in der Essener Lichtburg geplant.

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