Essen. Am 8. März setzen sich Menschen weltweit für Frauenrechte ein – und das seit über 100 Jahren. Warum der Weltfrauentag immer noch wichtig ist.

Kundgebungen, Workshops und Straßen-Demos: Am 8. März setzen sich weltweit Menschen für mehr Gleichberechtigung ein, auch in der Region sind viele Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag geplant.

Den ersten nationalen Frauentag feierten Aktivistinnen 1909 in den USA, nachdem sie erfolgreich für bessere Arbeitsbedingungen streikten. Zur selben Zeit protestierten auch in Europa immer mehr Frauen für ihre Rechte. Die Vereinten Nationen machten den 8. März schließlich im Jahr 1975 offiziell zum „Tag der Rechte der Frau und den Weltfrieden“. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist er mittlerweile sogar ein gesetzlicher Feiertag.

Seit dem ersten Frauentag vor mehr als 100 Jahren hat sich viel getan. Frauen in Deutschland dürfen wählen, arbeiten und ihr Leben frei bestimmen. „Aber Frauen werden noch heute in vielen Bereichen benachteiligt“, sagt Heike Mauer vom Netzwerk für Frauen- und Geschlechterforschung in NRW, die an der Uni Duisburg-Essen forscht. Ein Überblick:

Zwischen Sexismus und Gewalt

Von den insgesamt 193 Mitgliedsländern der UN haben bis heute 49 keine Gesetze, die Frauen vor häuslicher Gewalt schützen. In Deutschland ist die Vergewaltigung in der Ehe seit 1997 eine Straftat. Fünf Jahre später wurde das Gewaltschutzgesetz beschlossen, das zentrale Vorschriften zur Bekämpfung häuslicher Gewalt macht.

Trotzdem wird laut Bundes-Familienministerium etwa jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und sexualisierter Gewalt. Rund jede vierte Frau erlebt körperliche oder sexualisierte Gewalt in einer Partnerschaft. Ein weiteres Problem ist sexuelle Belästigung, sagt Mauer – ob am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit oder online.

Wer das Sagen hat

Wenn es um Führungspositionen geht, gibt es in Deutschland auch heute noch eine gläserne Decke“, sagt Genderforscherin Mauer. Nur knapp jede dritte Führungskraft (29,2 Prozent) war laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2021 weiblich.

Das hat mehrere Gründe, so Mauer. Unter dem Motto „Gleich und gleich gesellt sich gern“ würden die meist männlichen Entscheider in Unternehmen zum Beispiel oft Angestellte in die Führungsebene heben, die ihnen selbst ähnlich sind. „Leistungs- und Erfolgsmaßstäbe werden sehr oft mit männlichen Eigenschaften verbunden“, sagt Mauer.

Um Frauen in Führungspositionen zu fördern, hatte sich die Bundesregierung zuletzt 2020 auf eine Frauenquote geeinigt: Große deutsche Unternehmen müssen ihre Aufsichtsräte demnach in der Regel mit mindestens 30 Prozent Frauen besetzen. In der Politik selbst werden Entscheidungen ebenfalls eher von Männern als von Frauen getroffen. So liegt der Frauenanteil im Deutschen Bundestag bei 35 Prozent, auch im NRW-Landtag ist nur etwa jedes dritte Mitglied weiblich (33,8 Prozent).

Das Maß aller Dinge

Ob im Verkehr, in der Medizin oder bei der Befüllung von Algorithmen: Oft ist der Mann das Maß aller Dinge. Diese Datenlücke () kann für Frauen fatale Folgen haben. Bei Autounfällen werden sie laut Studien zum Beispiel öfter schwer verletzt als Männer.

Das liegt unter anderem daran, dass die Sicherheit von Fahrzeugen jahrzehntelang nur mithilfe von Crashtest-Dummys getestet wurde, die dem männlichen Körper entsprechen. Auch in der Medizin wird erst seit rund 40 Jahren berücksichtigt, dass Frauen anders krank sind als Männer und Medikamente je nach Geschlecht unterschiedlich wirken können.

Kind oder Karriere

In Deutschland trat das erste Gleichberechtigungsgesetz 1958 in Kraft. Im Vorwort hieß es: „Die vornehmste Aufgabe der Frau ist es, das Herz der Familie zu sein.“ Sie durften nur dann berufstätig sein, wenn ihr Job „mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war. Die Aufgaben im Haushalt und in der Kindererziehung waren also klar der Frau zugeordnet.

Diese Rollenklischees gelten mittlerweile als veraltet, haben aber bis heute Auswirkungen. Die Sorgearbeit wird weiterhin mehrheitlich von Frauen erledigt. Laut Bundes-Familienministerium liegt die sogenannte Gender Care Gap bei 52,4 Prozent: So viel mehr Zeit als Männer wendeten Frauen im Durchschnitt täglich für Kinderbetreuung, Haushalt, Pflege von Angehörigen und andere unbezahlte Tätigkeiten auf. Bei 34-Jährigen mit Kindern ist die Differenz noch höher: Pro Tag leisten sie im Schnitt mehr als fünf Stunden unbezahlte Care-Arbeit, bei gleichaltrigen Vätern sind es dagegen nur 2,3 Stunden.

Um Kind und Karriere zu vereinen, arbeitet nur jede dritte Frau in Vollzeit. Zum Vergleich: bei den Männern sind es 93 Prozent. „Das hat Auswirkungen auf die Verdienstmöglichkeiten und die Rentenhöhe“, sagt Mauer. Die Folge: Frauen sind häufiger von Altersarmut betroffen.

Der Weltfrauentag muss heute anders gefeiert werden als noch vor 100 Jahren, sagt die Essener Genderforscherin Heike Mauer.
Der Weltfrauentag muss heute anders gefeiert werden als noch vor 100 Jahren, sagt die Essener Genderforscherin Heike Mauer. © Kliewer Photography | David Kliewer

Ein Kampftag für den Feminismus

Viele Aktivistinnen sprechen nicht mehr vom Weltfrauentag, sondern vom „feministischen Kampftag“. Damit wollen sie zum einen zeigen, dass es ihnen um klare politische und gesellschaftliche Forderungen geht – und nicht darum, Blumen geschenkt zu bekommen. Zum anderen wollen sie deutlich machen, dass nicht nur Frauen benachteiligt werden, sondern zum Beispiel auch nicht-binäre oder trans Personen.

„Wir brauchen den Weltfrauentag noch, aber er muss heute anders sein als noch vor 100 Jahren. Wir müssen den Fokus darauf legen, dass Frauen nicht alle gleich sind, sich ihre Lebensrealitäten deutlich unterscheiden. Sowohl in Deutschland als auch global. Manche Frauen müssen sich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen, einige erfahren Rassismus, wieder andere müssen dafür kämpfen, überhaupt als Frau anerkannt zu werden“, sagt Expertin Heike Mauer.

Ihr gehe es auch darum, dass tief verankerte Rollenklischees von jedem einzelnen hinterfragt werden müssten: „Wieso nehmen sich so viele Menschen das Recht raus, Frauen zu sagen, was sie tun sollen?“ Die Anforderungen seien außerdem „völlig widersprüchlich“, so Mauer: „Sie sollen erfolgreich im Beruf sein und die Familie zusammenhalten. Sie sollen selbstbewusst sein, aber nicht zu ehrgeizig. Sie sollen frei über ihre Sexualität bestimmen können, aber doch bitte nicht so. Ein zentraler Kern von Feminismus und vom Weltfrauentag ist: Alle Menschen sollten unabhängig ihres Geschlechts so sein dürfen, wie sie es wollen.“