Dortmund. Expertinnen aus Dortmund und Essen: Warum mal der Weihnachtsmann, mal das Christkind kommt – und ob die Weihnachts-Lüge Kindern schadet.
An Heiligabend strahlen glänzende Kugeln mit Lametta, Kerzen und Lichterketten am Weihnachtsbaum um die Wette – doch was Kinderaugen wirklich zum Leuchten bringt, liegt unter den Zweigen, in buntes Papier gewickelte und mit Schleifen dekoriert: die Geschenke.
Aber wer hat die weihnachtlichen Gaben gebracht? Das Christkind oder der Weihnachtsmann? Mit dieser heiklen Frage, die ganz Deutschland zu spalten scheint, haben sich sogar schon Wissenschaftler und Historiker auseinandergesetzt.
Schulmuseum in Dortmund: „Alle Jahre wieder kommt … wer noch mal?“
„Meine Eltern haben mir erzählt, dass das Christkind die Geschenke bringt. Aber ich hatte auch Freundinnen und Freunde, bei denen der Weihnachtsmann kam“, sagt Rabea Kern vom Westfälischen Schulmuseum in Dortmund.
Dort läuft die Ausstellung „Alle Jahre wieder kommt … wer noch mal?“, die Kern konzipiert hat – und für die sie tief eingetaucht ist in den scheinbar nicht enden wollenden Konkurrenzkampf zwischen Christkind und Weihnachtsmann.
Dortmunder Expertin über den Ursprung weihnachtlicher Gabenbringer
„Die Geschichte beginnt im Jahr 270 nach Christus“, erzählt Kern. Zu dieser Zeit soll in einer Hafenstadt in der Nähe von Myra, das in der heutigen Türkei liegt, ein reicher Mann mit dem Namen Nikolaus gelebt haben. Über den Sohn aus reichem Hause und späteren Bischof der Stadt gibt es viele Erzählungen.
Sie alle handeln von seiner Hilfsbereitschaft, Großzügigkeit und seiner Freude daran, andere zu beschenken. Am 6. Dezember 343 soll Nikolaus von Myra gestorben sein. „Nach seinem Tod wurde er zum Schutzpatron der Kinder erklärt und heiliggesprochen“, sagt Kern. „Bis heute heißt es, dass Nikolaus am 6. Dezember zu allen braven Kindern zurückkehrt, um sie mit Geschenken zu belohnen.“
Über Jahrhunderte war „der Nikolaus“ die unumstrittene Nummer 1 der Gabenbringer, heute ist er in Deutschland allerdings nur noch ein Vorbote in der Adventszeit. Wer hat ihn vom Geschenke-Thron gestoßen?
Abgelöst wurde er bereits im 16. Jahrhundert. „Im Zuge der Reformation kamen die katholische Kirche und ihre Bräuche zunehmend in die Kritik, auch die Heiligenverehrung“, sagt Kern. So war es Martin Luther, der Sankt Nikolaus ersetzen – und mit dem Christkind als Gabenbringer wieder Jesus ins Zentrum des Weihnachtsfestes rücken wollte.
Doch bald verselbstständigte sich das Bild des Geschenke bringenden Christkindes, das in seiner heutigen Darstellung mit blonden Haaren, einem weißen Gewand und Flügeln eher einem Engel als dem Jesuskind gleicht.
„A Visit from St. Nicholas“
Ab dem 19. Jahrhundert mischte sich dann wieder ein Mann mit Bart in das Geschäft mit den Geschenken ein. „Morgen kommt der Weihnachtsmann“, dichtete etwa Hoffmann von Fallersleben 1835, eine Zeichnung aus dem Jahr 1846 von Moritz von Schwind zeigt „Herrn Winter“ als dicken Mann mit warmem Mantel und einem kleinen Tannenbaum geschultert.
Als Wiege des amerikanischen Santa Claus gilt das Gedicht „Twas the Night before Christmas“, das Clement Clarke Moore 1821 verfasst hat. „Hier wird ganz deutlich, wie sehr die Figur des Weihnachtsmannes auf Sankt Nikolaus zurückgeht“, erklärt Kern. Denn das Gedicht trug ursprünglich den Titel „A Visit from St. Nicholas“ (Ein Besuch von Sankt Nikolaus).
Coca-Cola machte den Weihnachtsmann berühmt
Internationale Bekanntheit erlangte der Weihnachtsmann allerdings erst Mitte des 20. Jahrhunderts, tatsächlich dank des Coca-Cola-Konzerns. „Wer sonst könnte mit seinem Firmenmarkenzeichen, der Farbe Rot, besser für den Weihnachtsmann werben? Oder andersherum: Wer eignet sich besser als Werbeikone für die Firma Coca-Cola als jemand, der rot-weiße Kleidung bevorzugt, am Nordpol wahrscheinlich immer eisgekühlte Getränke zur Hand hat und Kindern auf der ganzen Welt Freude beschert?“, sagt Kern.
Dieser „perfekte Werbedeal“ ging auf den schwedischen Grafiker Haddon Sundblom zurück, wie Kern erklärt: „Er entwarf das bis heute bekannte Bild des Weihnachtsmannes, das sich stark an dem Entwurf von Moore orientiert. Sundblom gestaltete den Weihnachtsmann aber noch werbefreundlicher, mit breitem Lächeln, rosigen Wangen und noch mehr Bauchumfang.“
Die Kommerzialisierung des Weihnachtsmannes war von da an nicht mehr zu stoppen, das Geschäft mit dem dicken Mann mit weißem Bart boomt bis heute. Dabei bringt in vielen Familien weiterhin das Christkind die weihnachtlichen Gaben – vor allem in den katholisch geprägten Regionen Deutschlands. Denn obwohl das Christkind auf Martin Luther zurückgeht, erzählen Protestantinnen und Protestanten ihren Kindern heute eher vom Weihnachtsmann als Wunscherfüller, während die Katholiken am Christkind festhalten.
So bringt in Ost- und Norddeutschland meist der Weihnachtsmann die Geschenke, in Süddeutschland und in einigen Gebieten Westdeutschlands ist das Christkind dafür zuständig – zumindest so lange, bis die Kinder ihre Eltern als wahre Wunscherfüller enttarnen.
„Kindern vermittelt das Sicherheit und Geborgenheit“
Einige Eltern fürchten, dass damit die Magie des Weihnachtsfestes entzaubert wird oder sie durch die Lüge gar das Vertrauen ihres Kindes aufs Spiel gesetzt haben. „Eltern sind häufig besorgt, dass die Lüge vom Weihnachtsmann oder dem Christkind dem Kind schadet. Dem ist nicht so“, gibt Viktoria Vergara Ruiz vom Jugendpsychologischen Institut in Essen Entwarnung.
Denn etwa bis zum fünften Lebensjahr beruht das Bedürfnis der Kinder, sich die Welt erklären zu können, auf einer „magischen Logik“, erklärt die Psychologin: „Bei dieser Logik wird noch nicht sicher zwischen Fiktion und Realität unterschieden. Hexen, Monster oder eben der Weihnachtsmann und das Christkind werden in dieser Phase als etwas Wahrhaftiges erlebt. Kindern vermittelt das Sicherheit und Geborgenheit in einer für sie selbst noch wenig kontrollierbaren Welt.“
Den Glauben an Weihnachtsmann & Co. ließen sich Kinder auch nicht so leicht nehmen. „Häufig kann man beobachten, dass Kinder an ihrem Glauben festhalten, auch wenn sie durch Eintritt in die Schule oder als jüngeres Geschwisterkind längst entzaubert wurden“, sagt Vergara Ruiz.
Essener Expertin: Weihnachts-Lüge schadet Kindern nicht
Merken Eltern, dass die Zweifel bei ihren Kindern überwiegen, sollten sie offen mit ihnen darüber sprechen: „Man kann zum Beispiel sagen: ,Du bist groß, das merke ich schon. Die schönen Rituale aber wollen wir beibehalten’.“ Die Weihnachts-Lüge schade Kindern also nicht, sondern bereichere sie vielmehr das ganze Leben lang.
Denn die Erinnerung an die magischen Momente der Kindheit könnten auch noch im Erwachsenenalter durch schwere Zeiten tragen – und dabei ist es ganz egal, ob nun der Weihnachtsmann oder das Christkind die Geschenke unter den Baum gelegt hat.
Alle Infos zur Weihnachtsausstellung im Dortmunder Schulmuseum
Die Ausstellung „Alle Jahre wieder kommt … wer noch mal? Die Geschichte unserer weihnachtlichen Gabenbringer“ kann noch bis zum 19. Februar 2023 im Westfälischen Schulmuseum in Dortmund (An der Wasserburg 1) kostenlos besucht werden.