Essen. Durch Micro Habits sollen mit wenig Mühe große Vorhaben erreichbar sein. Klingt zu schön? Es kann funktionieren, wenn man es richtig macht.
„Micro Habits“ gelten als eine besonders erfolgversprechende Methode, um sich neue Gewohnheiten anzutrainieren und mit alten Gewohnheiten Schluss zu machen – und das mit minimalem Aufwand. Gesünder essen, regelmäßig Sport machen, früher schlafen gehen: Wer sich das oft schon vorgenommen hat und gescheitert ist, könnte Erfolg haben, wenn die Ziele klein gesteckt sind.
Georg Howahl sprach mit dem Psychologen Matthias Hammer aus Stuttgart, der in „Micro Habits: Wie Sie schädliche Gewohnheiten stoppen und gute etablieren“ dazu rät, in vielen kleinen Schritten ans Ziel zu kommen.
Herr Hammer, Sie haben sich intensiv mit Gewohnheiten beschäftigt. Was sind Gewohnheiten eigentlich?
Matthias Hammer: Einer der Urväter der Psychologie beschreibt es als eine Grundeigenschaft aller Dinge und Organismen. Ein Schloss, das oft benutzt wird, funktioniert einfach besser. Ein Bachbett wird umso breiter, je mehr Wasser hindurchfließt. Wenn man das auf den Menschen überträgt, sind Gewohnheiten eben Verhaltensweisen, die wir regelmäßig unter bestimmten situativen Bedingungen ausführen.
Sie sind gekennzeichnet dadurch, dass sie automatisch ablaufen und uns häufig nicht bewusst sind, etwa wie Fahrradfahren, unser Körper weiß irgendwann, wie das funktioniert. Es ist all das, was wir sehr häufig unter ähnlichen Bedingungen machen. Die Forscher sagen, 43 Prozent unseres täglichen Verhaltens wird durch Gewohnheiten bestimmt. Sie sind eine Effizienzstrategie unseres Gehirns.
Jeder von uns ist schon einmal an großen Vorsätzen gescheitert: Das Rauchen aufzugeben, Diät zu halten, täglich weniger Zeit am Handy zu verbringen. Sie sagen nun, dass es manchmal nicht die großen Schritte sein müssen, Gewohnheiten zu etablieren, zu ändern oder zu beenden, sondern dass es mit den richtig angewandten kleinen Veränderungen geht. Wie sind Sie dazu gekommen?
Das hat etwas mit der Struktur von Gewohnheiten selber zu tun. Gewohnheiten haben ja einen Auslöser. Und auf den folgt so ein inneres Bedürfnis, diese Gewohnheitsreaktion auszuführen. Und an diesen Mini-Elementen von Gewohnheiten kann ich ansetzen. Wenn wir also den Auslöser verändern, läuft eine Gewohnheit nicht mehr automatisch ab.
Es gibt ja viele Menschen, die daddeln nebenher am Handy, wenn sie am Essenstisch mit der Familie zusammensitzen. Aber wenn ich mein Handy in einer Tasche in einem anderen Raum liegen lasse, dann ist die Gewohnheit sofort unterbrochen. Das heißt: Sobald der auslösende Reiz weg ist, wird von außen der Startschuss für die Gewohnheit nicht mehr gegeben.
So kann ich an verschiedenen kleinen Elementen von Gewohnheiten ansetzen. Und das ist eigentlich gemeint mit Micro Habits, dass ich diese Mini-Elemente von Gewohnheiten einfach so verändern und daran anpassen kann, wie ich mein Leben leben möchte.
Das Handy für kurze Zeit wegzulegen, ist ja eine vergleichsweise kleine Gewohnheit – und vermutlich relativ einfach umzusetzen. Aber taugt die Methode auch für große Ziele? Und wenn ja, wie funktioniert das?
Sehr wichtig ist, dass ich eine klare Vorstellung davon habe, was ich eigentlich will. Was ist meine Intention? Was möchte ich verändern? Wenn ich zum Beispiel meine Ernährung verbessern will, brauche ich eine klare Intention, also einen Plan oder ein Ziel, worauf ich hinarbeiten möchte. Dann ist es sinnvoll, an wichtigen Stellschrauben anzusetzen.
Eine Stellschraube wären zum Beispiel die Umweltreize. Will ich meine Ernährung verbessern, dann könnte ich etwa mehr Obst essen. Dann ist das klassische Vorgehen einfach: Stellen Sie eine Schale Obst in Ihre Küche, so dass der Reiz sehr gut sichtbar ist. Dann fällt es leichter, einen Apfel oder eine Orange in die Hand zu nehmen und zu essen.
Wenn man vieles gleichzeitig ändern will, läuft man dann Gefahr, sich zu verzetteln?
Wenn Sie zu viele Gewohnheiten gleichzeitig verändern, ist das oft eher unrealistisch. Das passiert ja oft bei den Neujahrsvorsätzen: Wir haben die Vorstellungen davon, was wir alles verändern wollen, in den Ferien gebildet.
Und dann beginnt der Alltag wieder. Nach einer Woche oder anderthalb sind wir wieder ganz im Alltag angelangt. Deshalb funktionieren die meisten Vorsätze nicht unter Alltagsbedingungen.
Micro Habits: Experte empfiehlt „Wenn-dann-Pläne“
Oft scheitern wir auch am mangelnden Durchhaltewillen. Wie lange dauert es, bis sich eine Handlung als Gewohnheit etabliert hat?
Ich finde diese Frage gar nicht so einfach zu beantworten. Es hängt davon ab, wie komplex die Handlung ist. Wenn Sie „Alle meine Entchen“ auf dem Klavier spielen wollen, haben Sie das relativ schnell auswendig gelernt und verinnerlicht.
Wenn Sie aber „Für Elise“ oder ein schwierigeres Stück erlernen wollen, dauert das viel, viel länger. Aber ich würde jetzt einfach mal sagen, wenn Sie eine Handlung zwischen drei und fünf Wochen regelmäßig und unter ähnlichen Bedingungen fortführen, also zum Beispiel ins Fitnessstudio zu gehen oder abends nach der Arbeit einen Spaziergang zu machen, dann entsteht irgendwann das Verlangen: „Das möchte ich jetzt wieder!“ Und dann ist es eine Gewohnheit. Was ich immer empfehle für den Aufbau einer Gewohnheit, das sind „Wenn-dann-Pläne“.
Was kann man darunter verstehen?
Damit meine ich, dass ich an eine Verhaltensweise eine Bedingung knüpfe. Zum Beispiel: Wenn ich um 17 Uhr die Arbeit im Homeoffice beende, dann laufe ich eine Runde im Park.
Oft stehen auch kleinen Vorsätzen gewisse Hindernisse entgegen. Wie gehe ich damit um?
Zu den Micro Habits gehört es auch, Komplikationen zu managen, also Schwierigkeiten vorwegzunehmen. Bei jeder Gewohnheitsveränderung gibt es Rückschläge. Aber wenn ich die von vornherein mit bedenke, dann kann ich aus einem Rückfall sozusagen immer wieder etwas hinzulernen.
Aber so ein Rückschlag kann mich auch frustrieren… Oder gar gleich ganz demotivieren…
Wenn Sie zum Beispiel beim Lauftraining abgebrochen haben, hilft ein Wenn-dann-Plan. Dann kann man sagen: Dann laufe ich eben morgen oder mache ein bisschen Gymnastik.
Kann das nicht trotzdem an einem nagen?
Ein wichtiger Teil der Micro Habits ist, dass man sich keine Vorwürfe machen sollte. Ich sollte mir selber eher wie einem guten Freund oder einer guten Freundin begegnen, also eher mit Freundlichkeit. Die meisten Menschen verurteilen sich selber oder kritisieren sich hart, wenn sie mal einen Rückfall haben.
Und das bedeutet Stress. Und umso gestresster wir sind, desto eher greifen wir auf alte Gewohnheiten zurück. Das ist ein kleiner Teufelskreis. Wenn ich aber lerne, mit mir selber freundlich umzugehen ist, ist das sehr hilfreich.
Mehr Infos zu Micro Habits:
Matthias Hammer: Micro Habits – Wie Sie schädliche Gewohnheiten stoppen und gute etablieren, mvg Verlag, 224 Seiten, 16,99 €