Marl. Die neue Chefin der Jungsozialisten (Jusos) in NRW, Nina Gaedike, bekennt sich offen zum Sozialismus – und erinnert an den jungen Kevin Kühnert.
Sie ist mutig, selbstbewusst, entschlossen: Mit Nina Gaedike wächst in der SPD eine junge Persönlichkeit heran, die die Partei künftig aufmischen könnte. In ihrer Kompromisslosigkeit steht die bekennende Sozialistin und Feministin aus Münster dem jungen Kevin Kühnert jedenfalls in nichts nach.
Neulich in Bonn: Die 24-Jährige betritt auf der Landeskonferenz der Jusos die Bühne. Sie empfängt tosender Applaus. Später wird sie sagen, dass sie in dem Moment „furchtbar aufgeregt“ war. Doch das merkt man ihr nicht an. In ihrer Bewerbungsrede um den Vorsitz der Jungsozialisten (Jusos) in NRW findet Nina Gaedike klare Worte. Sie schreit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern entgegen: „Das ist unsere Zeit, um der NRW-SPD kräftig in den Arsch zu treten.“
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Damit spielt die Lehramtsstudentin auf die missglückte SPD-Wahlkampagne der vergangenen Landtagswahl an. Die SPD hatte im Mai ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren. Gaedikes Mission ist klar: Das Vertrauen der verlorenen Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen. Unter dem möglicherweise etwas antiquiert wirkenden Motto „Zeit für Sozialismus“ möchte die Juso-Chefin sich vor allem um junge Menschen, Familien und sozial Benachteiligte kümmern, denn gerade diese Menschen gehörten in der Krisenzeit zu den „Gelackmeierten“, sagt sie.
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„Das böse S-Wort schreckt sicherlich Menschen ab“
Ähnlich wie der Ex-Bundesvorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert, der sich unter anderem mit Verstaatlichungsphantasien rund um den BMW-Konzern beschäftigte und sich furchtlos mit der Partei-Elite anlegte, scheut Gaedike ebenfalls keinen Konflikt. „Das böse S-Wort schreckt sicherlich Menschen ab“, sagt sie. „Aber der Sozialismus ist grundlegende Identität unseres politischen Kampfes.“
Diesen Kampf führt sie nun seit Anfang September an der Spitze der NRW-Jusos an. Mit 72 Prozent der Stimmen – 97 stimmen für sie, 23 gegen sie und 14 enthalten sich – wird die junge Frau aus Münster zur Vorsitzenden gewählt und vertritt damit die rund 15.000 jungen Parteimitglieder an Rhein und Ruhr. Sie selbst sagt, Kevin Kühnert komme ihr nicht als Erster in den Sinn, wenn es um politische Vorbilder geht. Denn gelernt habe sie vor allem von Parteigenossinnen, nicht so sehr von Genossen. „Meine Vorbilder sind beeindruckende Frauen, mit denen ich eng zusammenarbeiten durfte.“
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Frauen wie Jessica Rosenthal, die sich als Bundesvorsitzende der Jusos ebenfalls für den Feminismus einsetzt. Nach ihrer ersten Rede bei der Landeskonferenz sei Rosenthal zu ihr gekommen, um ihre Rede zu loben. „Ich finde es beeindruckend, wie Jessica in der männlich geprägten Politik Räume einnimmt und nie leise wird.“
Durch Donald Trump zu den Jusos
Bei ihrem feministischen Kampf möchte Gaedike gehört, respektiert und ernstgenommen werden. Das Wort „Powerfrau“ mag sie aber nicht. Die NRW-Juso-Chefin nippt an ihrem Chai-Latte und betont: „Das ist kein nettes Kompliment.“ Denn häufig gehe der Begriff mit einer Sexualisierung einher. Außerdem sei es komisch, eine einzige Frau explizit hervorzuheben, man spreche ja schließlich auch nicht von einem „echten Powermann“.
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Wie ein bunter Schmetterling sitzt sie in Marl in ihrem knallorangenem Wollpulli, pinkem Stoffmantel und grünem Satinrock im Café, als wolle sie dem grau verregneten Tag draußen trotzen. Gaedike will hier ein Kinder-Spielmobil des linken Jugendverbandes „Die Falken“ besuchen. Mit flatternden Handbewegungen erzählt sie, dass sie sich schon als Schülerin für Politik interessierte, ihr jedoch der Zugang gefehlt habe. Bei ihren Freunden und Eltern im Rhein-Sieg-Kreis, in dem sie aufgewachsen ist, wird wenig über Politik gesprochen. Doch eines Abends, während eines Kanadaaufenthalts nach dem Abi, sitzt sie auf einem Sofa in Vancouver und schaut sich die Auszählung zur Wahl von Donald Trump an. „Ich hatte Familie in den USA. Diese Präsidentenwahl hat mich sehr mitgenommen.“ Ihr wird klar: Sie muss in die Politik. Auf die linke Seite, nicht auf die rechte. Bei der Linkspartei habe ihr die Außenpolitik nicht gefallen, bei den Grünen sei ihr der soziale Aspekt zu kurz gekommen. Blieb die SPD.
Über das Schulfach Sowi: „Als Juso-Chefin werde ich weiter dafür kämpfen“
Anfang 2017 tritt sie, zu Beginn ihres Lehramtsstudiums in Münster, in die SPD ein. Heute steht sie kurz vor ihrem Masterabschluss mit den Fächern Geschichte und Sozialwissenschaften. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Studentin wie eine „Löwenmutter“ um das Schulfach „Sowi“ kämpft, das die vergangene NRW-Regierungskoalition aus CDU und FDP abschaffen und durch das Fach „Wirtschaft/Politik“ ersetzen wollte. „Verschaukelt“ sei sie sich vorgekommen, sagt Gaedike, als sie das hörte. „Ich meine, das ist doch verrückt. Ich soll jahrelang studieren und ins Referendariat gehen, für ein Fach, dass es am Ende so nicht geben wird?“ Zudem sei „Sowi“ für die demokratische Bildung im Land unabkömmlich. „Als Juso-Vorsitzende werde ich weiter dafür kämpfen.“
Nina Gaedike kommt mit der Annahme zu den Jusos, dass der Feminismus dort aktiv gelebt wird. Denn dieses Thema, so sagt sie, sei in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu ihrem „Herzensprojekt“ geworden. Während ihres Studiums arbeitet sie im Gleichstellungsbüro der Uni Münster, im vergangenen Jahr beginnt sie einen zweiten Master im Fach Genderstudien. Als Juso-Mitglied habe sie allerdings feststellen müssen, dass es im Bereich Feminismus noch eine Menge Arbeit gibt. Vorgefunden habe sie in der Organisation nämlich männliche Dominanz.
Nina Gaedike: „Ich war das nette Anhängsel, nervig oder hysterisch“
Für einige Genossen sei es egal gewesen, wie lange sie schon Mitglied der Partei war oder wie gut sie argumentieren konnte: „Ich war entweder das nette Anhängsel, nervig oder hysterisch.“ Auch an Wahlkampfständen sei sie von Männern auf der Straße häufig unterbrochen worden. Es sind Momente wie diese, in denen sie sich als Frau oft nicht ernst genommen, fast schon ohnmächtig fühlte, erzählt Gaedike. Ihre Reaktion: Trotz. „Ich habe eine produktive Wut entwickelt, mich eingemischt.“ Heute komme niemand mehr so schnell an ihr vorbei, sagt Gaedike und lacht. „Ich kann sehr nachtragend sein.“
Zudem könne sie schlecht Verantwortung abgeben, sagt sie über sich. Im Gespräch wirkt die junge Frau ambitioniert, findet auf alles eine Antwort. Es falle ihr schwer, von der Arbeit abzuschalten, räumt sie ein. „Ich habe den Eindruck, dass wir Frauen dreimal mehr ackern müssen, um ernstgenommen zu werden. Auch, weil wir uns selbst gegenüber beweisen wollen, gut genug zu sein.“ Ruhe findet sie zu Hause auf dem Sofa, bei einer guten Playlist mit viel Herbert Grönemeyer, und ihrer Katze im Arm. Lange Zeit glaubte sie, ein Hundemensch zu sein, bis Muff, „das beste Vieh der Welt“ in ihr Leben kommt.
Juso-Bundesvorsitzende Rosenthal: „Nina bringt inhaltliche Klarheit mit“
Ein Mädchen im Grundschulalter flitscht einen bunten Gummiring in Nina Gaedikes Richtung und lacht. Aus den Ringen bastelt das Mädchen gemeinsam mit ihren Freundinnen Ketten. Sie sitzen an einem Tisch, mitten auf einem Spielplatz in Marl. Um sie herum kicken ein paar Jungs mit einem Ball. Neben ihnen parkt das „Maki-Mobil“, das die neue NRW-Juso-Chefin an der Merkurstraße in Marl besucht. Betrieben wird das Spiel-Mobil vom sozialistischen Jugendverband „Die Falken“ und soll Kindern aus Problemvierteln das Draußen-Spielen ermöglichen. „Darf ich mal reinschauen?“, fragt Gaedike. Mit leichtem Lächeln und überkreuzten Beinen wirkt sie fast schüchtern. Mit den Kindern selbst nimmt sie zumindest zu Beginn keinen Kontakt auf, scheint mit ihrer Rolle in diesem Moment zu fremdeln. Von der Leiterin des Maki-Mobils lässt sie sich im Innern des Busses Spiele, Bastelzeug, und Hula-Hoop-Reifen zeigen. Währenddessen hält sie den Blickkontakt, nickt interessiert und stellt hier und da eine Frage. „Wow, so ein cooles Pedalo hätte ich früher geliebt“, sagt Gaedike und zeigt auf das Holzpedal, einen Gleichgewichtstrainer für Kinder.
Während des Termins wirkt sie zurückhaltend, spricht wenig über sich oder ihr Parteiprogramm. Eine Seite an ihr, die man von öffentlichen Auftritten auf der Bühne oder in den sozialen Medien nicht gewohnt ist. Für Jan Knes-Wiersma, Juso-Vorstandsmitglied in Bonn, nicht ungewöhnlich. „Nina führt Menschen zusammen“, sagt Knes-Wiersma, der mit Gaedike gemeinsam für den Landesvorstand kandidierte. „Sie ist eine moderierende Persönlichkeit, die sich gut in andere Menschen hineinversetzen kann.“
Auch Jessica Rosenthal, die Frau, zu der Gaedike bewundernd aufschaut, ist von der neuen NRW-Juso-Chefin beeindruckt. „Nina bringt inhaltliche Klarheit, rhetorisches Geschick und Argumentationstalent mit.“ Dass Gaedike solch eine starke feministische Haltung habe, bestärke auch sie selbst in ihrer Arbeit zumal das Thema in der SPD immer wichtiger werde. Was den Feminismusgedanken in der Partei angeht, sieht Rosenthal noch Nachholbedarf. Damit funkt sie auf einer Welle mit der neuen NRW-Vorsitzenden, die sich bewusst dafür entschied, ohne Doppelspitze zu kandidieren. Über Jahrzehnte hätten Männer das schließlich auch allein gemacht. „Ich habe es mir erarbeitet“, sagt Gaedike, „allein an dieser Stelle zu stehen.“
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