Düsseldorf. Die Spitze der NRW-SPD will in Ruhe klären, warum sie die Landtagswahl verlor. Einigen dauert das zu lange, vor allem die Jusos sind ungeduldig.

Vier Monate nach der Landtagswahl ist weiter offen, welche Konsequenzen die NRW-SPD aus ihrem Scheitern zieht. Die Aufarbeitung des historisch schlechtesten Wahlergebnisses der Landespartei – 26,7 Prozent der Stimmen – zieht sich in die Länge wie ein Kaugummi.

Erst Anfang 2023 will die SPD erklären, warum sie verloren hat und wie sie wieder erfolgreich werden könnte. Erst ein Jahr nach der Wahl, im Mai 2023, wird es einen Parteitag mit Vorstandswahlen geben. Den Jungsozialisten (Jusos) dauert das viel zu lange. „Schämt euch“, rief die neue Juso-Landeschefin Nina Gaedike der NRW-SPD-Führung neulich zu.

Die Parteizentrale ist schon ein Neuanfang

Nicht schämen muss sich die SPD für ihre neue Parteizentrale in der Düsseldorfer Kavalleriestraße. Sie unterscheidet sich von der bisherigen wie ein Raumschiff von einer Bruchbude. Der Neubau ist mit interaktiven Whiteboards, flexiblen Innenwänden, viel Glas, Stahl und Sichtbeton ein architektonisches Schmuckstück. Von einer Terrasse in der fünften Etage können die Sozialdemokraten zwischen zwei kleinen Wildblumenwiesen auf die Landesgeschäftsstelle der CDU an der Wasserstraße schauen. Das „Johannes-Rau-Haus“ hat vieles, was ein modernes politisches Machtzentrum ausmacht. Aber das Wichtigste fehlt: die Macht.

Erste und bisher einzige Lehre aus der Wahl: ein Landesgeschäftsführer

„Unser Ziel ist eine neue Kampagnenfähigkeit“, sagt Stefan Kämmerling. Der 46-jährige Ex-Landtagsabgeordnete aus Eschweiler ist jetzt Landesgeschäftsführer – man kann auch sagen „Manager“ - der NRW-SPD. Dieses Amt füllten zuvor der heutige DFB-Chef Bernd Neuendorf (bis 2012) und Jürgen Angenendt (bis 2017) mit Leben. Dass die SPD nun wieder auf einen Geschäftsführer setzt, ist die bisher einzige konkrete Lehre, die die Partei aus der vergeigten Landtagswahl gezogen hat.

„Im Wahlkampf war die Arbeitsbelastung enorm und auf zu wenigen Schultern verteilt. Das müssen wir sinnvoller und effizienter gestalten“, erklärt Nadja Lüders, Generalsekretärin der Partei. Tatsächlich hatten manche Wahlkämpfer den Eindruck, dass sich zwischen der Landesparteispitze und den Unterbezirken tiefe Gräben auftun. Stefan Kämmerling soll nun Brücken bauen zwischen Spitze und Basis. „Das, was Landesvorstand, Präsidium, Parteichef Thomas Kutschaty und Generalsekretärin Nadja Lüders entscheiden, werde ich bestmöglich zu unseren Mitgliedern vor Ort bringen und es dort erklären“, verspricht er.

Stefan Kämmerling soll Brücken zwischen Parteispitze und Basis bauen

Kämmerling gehört zu jenen couragierten Typen, die sich Parteien sehnlichst wünschen. Als Sprecher der SPD im Landtags-Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe geriet er wiederholt mit NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) aneinander („Die Krise wird nicht bei Instagram bewältigt“). Freunde werden die CDU-Ministerin und der Sozialdemokrat aus Eschweiler in diesem Leben wohl nicht mehr, aber beide sind aus ähnlichem Holz geschnitzt: selbstbewusst, faktensicher, detailverliebt, Freude an der klaren Ansage. Scharrenbach verschaffte sich einst als CDU-Obfrau im Untersuchungsausschuss zur Kölner „Silvesternacht“ Respekt, Kämmerling im U-Ausschuss „Flut“.

Der 46-Jährige schaffte zwar im Mai nicht den Wiedereinzug in den Landtag, würde aber als Erster auf der Reserveliste seiner Partei bei Gelegenheit ins Parlament nachrücken. Seine Vita passt gut zum Anspruch der SPD, sich um normale Leute zu kümmern: Kämmerlings Mutter war Verkäuferin, der Vater Schlosser, er selbst Bankkaufmann bei der Sparkasse Aachen.

„Schonungslos“ werde man die Niederlage aufarbeiten, versprechen Kämmerling und Lüders. Meinungsforscher werden jetzt konsultiert, SPD-Kommunalpolitiker sollen der Parteispitze mit ausgefüllten Fragebögen „die Meinung geigen“, es stehen sogar die ganz großen Fragen nach der Identität im Raum: Wer sind wir? Für wen machen wir eigentlich Politik?

Viele Fragen, aber noch keine Antworten

Bisher gibt es nur Vermutungen, warum es am 15. Mai doch nicht zu dem erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Herausforderer Thomas Kutschaty kam. Ging die SPD-Kampagne an den Menschen vorbei? War es angemessen, weiter voll auf Themen wie Wohnungsbau und Bildungsgerechtigkeit zu gehen, während die Bürger Angst vor Krieg haben? „Wir müssen künftig dazu in der Lage sein, eine Kampagne flexibel anzupassen, wenn die Umstände es erfordern“, meint Nadja Lüders, die für die politische Aufarbeitung der Niederlage zuständig ist.

Hat sich die SPD außerdem an Nebensächlichkeiten wie einem bösen Brief von CDU-Landtagsfraktionschef Bodo Löttgen zur angeblichen Russlandnähe der SPD abgearbeitet? War Kutschaty im TV-Duell mit Wüst zu zahm? Warum wurden so viele SPD-Wähler zu Nichtwählern? War es klug, den Kanzler zu plakatieren? Viele Fragen liegen auf dem Tisch. Antworten gibt‘s frühestens in vier Monaten.

Juso-Landeschefin Gaedike: "Kümmert euch endlich um die Gelackmeierten"

Für Jungsozialisten wie die neue Juso-Landesvorsitzende Nina Gaedike ist dieses gemütliche Tempo unerträglich. „Das ist unsere Zeit, um der NRW-SPD kräftig in den A… zu treten“ rief die 24-Jährige in Bonn bei ihrer Bewerbungsrede für den Juso-Vorsitz. Die NRW-SPD sei gut beraten, sich kompromisslos um die „Gelackmeierten“ zu kümmern -- Auszubildende, Studierende, junge Familien, Migranten, Alleinerziehende – anstatt sich CDU-Innenminister Herbert Reul und dessen Kampf gegen die Clan-Kriminalität „anzubiedern“.

Nina Gaedike spricht von einem „letzten Warnschuss“ für die Parteispitze. Sie müsse endlich kapieren, dass die SPD bei der Landtagswahl so schlecht abgeschnitten hat wie nie zuvor. Thomas Kutschaty genieße noch immer das Vertrauen der Jusos, so Gaedike. Aber er müsse nun liefern.