Essen. . Altmaiers Industriepolitik ist nicht so radikal, aber vom gleichen Geiste wie Kühnerts Enteignungs-Vision. Eine Analyse und fünf Gegenvorschläge.
Alle gegen Kevin Kühnert, fast alle gegen Peter Altmaier: Zwei vor allem in ihrer Radikalität doch sehr verschiedene Vorschläge für eine neue deutsche Industriepolitik sind unabhängig voneinander so gar nicht gut angekommen. Vielleicht, weil sie sich doch ähnlicher sind als vor allem Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) es wird wahrhaben wollen.
Denn die Union nahm die Idee des Juso-Chefs Kühnert, Konzerne wie BMW zu verstaatlichen, dankbar auf, die SPD ewig gestriger Sozialismus-Utopien zu zeihen. Dass auch die SPD sich unter Verweis auf wenig erfolgreiche Vorbilder kollektivistischer Volkswirtschaften wie in der DDR klar distanzierte - einerlei. Was aber genau hat nun Altmaier für eine Wirtschaftsordnung im Sinn, wenn er einer aktiveren Industriepolitik das Wort redet, die einzelne Unternehmen gezielt fördert, der Staat im Zweifel gar bei ihnen einsteigen solle? Nach Marktwirtschaft in Reinkultur klingt auch das nicht, eher nach Teilverstaatlichungspolitik, also Kühnert light.
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Nun würde Altmaier niemals wie Kühnert davon reden, den Kapitalismus überwinden zu wollen. Als Bundeswirtschaftsminister hat er aber auch ungleich mehr Gewicht als ein Jungsozialist, in dessen Anforderungsprofil eine gewisse Radikalität zur Pflicht und guten Juso-Sitte gehört. Wenn also der regierende Wirtschaftsminister meint, in wichtigen Fällen solle eine befristete Beteiligung des Staates an Unternehmen möglich sein, um aus ihnen „nationale wie europäische Champions“ zu formen, sollte die Wirtschaft hellhöriger sein als bei Kühnerts Planwirtschafts-Retrospektiven.
Auch Commerzbank-Beteiligung sollte „befristet“ sein
Wie gern sich der Staat wieder von einer Beteiligung trennt, zeigt das Beispiel der vor zehn Jahren geretteten Commerzbank. Der Bund hält noch immer gut 15 Prozent an ihr. Da passt es, dass Altmaier explizit auch den Bankensektor nannte, dem ein europäischer Champion gut stünde. Das durfte als Ermunterung für eine Fusion mit der Deutschen Bank gewertet werden, bevor die Geldhäuser sie unlängst absagten.
Altmaiers großes Vorbild ist Airbus, der europäische Flugzeugbauer, der sich mit dem ebenfalls staatlich gestützten US-Rivalen Boeing duelliert. Die These, dass die französisch-deutsche Partnerschaft Airbus stärke, darf man gewagt nennen, mindestens aber kann Altmaier es mangels Alternativerfahrung nicht belegen. Würde etwas weniger Regionalproporz, etwas weniger Aufgabenverteilung nach Himmelsrichtung statt Kompetenz, kurzum: etwas weniger staatlicher Einfluss Airbus eher schaden oder womöglich eher nützen? Ist etwa VW trotz oder wegen der Mitsprache des Landes Niedersachsen ganz gut durch die selbst mit krimineller Energie verschuldete Krise gekommen? Und was lehrt uns das desaströse Beispiel des Hauptstadtflughafens BER?
Die Grundthese, der Staat tauge selbst als guter Unternehmer, ist bei Kühnert wie Altmaier identisch, sie wird nur einmal radikal weitergedacht und einmal in diplomatische Watte gepackt. Und beide Industriepolitik-Strategen bleiben die Positiv-Beispiele für ihre staatswirtschaftlichen Thesen schuldig.
Auslöser für Altmaiers Industriepolitik war das Verbot der Bahnsparten-Fusion von Siemens und Alstom durch die EU-Wettbewerbshüter. Die französische wie die deutsche Regierung kritisierten die Entscheidung massiv und brachten gar eine Aufweichung des europäischen Kartellrechts ins Spiel. Damit in Europa Großkonzerne entstehen könnten, die sich auf dem Weltmarkt etwa gegen chinesische und amerikanische Konkurrenz behaupten können. Diese Trotzreaktion schreckte Ökonomen in ganz Europa auf: Nicht nur ihnen ist das Wettbewerbsrecht zum Schutz der Verbraucher vor Monopolstrukturen mit überhöhten Preisen viel wert.
Also ersann Altmaier die Strategie, mit direkten Subventionen oder gar Beteiligungen einzelne Branchen oder Unternehmen zu fördern. Dass er sich über die breite Ablehnung in Forschung und Wirtschaft wundert und nun die Wogen zu glätten versucht, zeugt mehr von seiner mangelnden Erfahrung als Wirtschaftspolitiker denn seinem Verständnis für die Regeln und Mechanismen der Marktwirtschaft.
Die Welt der Wirtschaft erlebt derzeit mit großer Sorge das Duell des chinesischen Staatskapitalismus gegen den neuen amerikanischen Protektionismus von Donald Trump. Es ist gerade mit Blick auf die Europawahl legitim, darauf mit staatlicher Flankierung der eigenen Wirtschaft zu reagieren. Aber nicht so. Das Wettbewerbsrecht zu schwächen und Konzerne staatlich aufzupumpen, würde der chinesischen Methode mehr zur Ehre gereichen als unserer sozialen Marktwirtschaft. Solange wir in Europa aber kein Ein-Parteien-System wollen, ist jede Form von Staatskapitalismus zum Scheitern verurteilt. Der funktioniert in China nur, weil die Kommunisten durchregieren können – mit einer um Verbraucherschutz und Mitbestimmung bereinigten Kopie des Wirtschaftsmodells westlicher Demokratien. Wer das will, kann die Europawahl auch gleich absagen.
Altmaier, Deutschland und Europa könnten gleichwohl eine Menge tun, um unsere Wirtschaft im globalen Wettbewerb zu stärken. Fünf Vorschläge:
1. Eine mittelstandsfreundlichere Steuer-Politik
Statt Konzerne staatlich zu stärken, sollte Deutschland seinen Mittelstand stärken. Familienunternehmen zahlen im Durchschnitt mehr Steuern als Kapitalgesellschaften. Seit Jahren tun sie sich schwerer als Konzerne, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Wer die Unternehmenssteuern nicht insgesamt senken will, sollte zumindest innovative Firmen steuerlich entlasten. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat unlängst einen Gesetzentwurf vorgelegt, der es Unternehmen ermöglicht, bis zu 500.000 Euro an Löhnen von Forschungs-Mitarbeitern abzusetzen. Vom auf fünf Milliarden Euro gedeckelten Gesetz dürften vor allem Konzerne profitieren – ein falsches Signal. Altmaier hat zurecht Bedenken angemeldet. Er könnte sich hier als Vorkämpfer für den Mittelstand profilieren.
2. Digitale Infrastruktur ausbauen
Die größte, wirklich krasse Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt es am Hightech-Standort D bei der digitalen Infrastruktur. Deutschland sorgt sich seit Jahren um die Folgen der digitalen Revolution, befürchtet den Verlust von Arbeitsplätzen. Dabei bietet nur die Flucht nach vorn die Chance, dass dabei auch möglichst viele neue Arbeitsplätze entstehen. Die Grundvoraussetzung dafür wäre ein gutes, flächendeckendes Hochgeschwindigkeitsnetz. Doch aktuell befindet sich die Bundesrepublik auf dem Stand eines digitalen Entwicklungslandes.
3. Entschuldung klammer Kommunen
Die Wirtschaft wächst seit Jahren aufgrund der guten Konjunktur. Dagegen investiert der Staat gemessen an seinen Rekord-Steuereinnahmen nach wie vor wenig und vor allem regional sehr unterschiedlich. Klamme Kommunen wie die im Ruhrgebiet investieren nur einen Bruchteil dessen, was die Mehrheit der finanziell gesunden Kommunen für ihre Bürger ausgeben. Duisburg etwa investierte 2017 je Einwohner nur 71 Euro, der Durchschnitt aller westdeutschen Kommunen lag bei knapp 300 Euro. Wer den örtlichen Mittelstand stärken will, sollte sich bemühen, solche Kommunen zu entschulden, die das aus eigener Kraft nicht mehr schaffen.
4. Ende des EU-internen Wettlaufs um niedrigste Steuer
Solange sich die EU-Staaten gegenseitig mit ihren Unternehmenssteuern zu unterbieten versuchen, lohnt es kaum, auf den Rest der Welt zu zeigen und mit Subventionen europäische Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. Die Körperschaftssteuersätze reichen von 10 (Bulgarien) bis 35 (Malta) Prozent. Noch viel gravierender sind die nationalen Schlupflöcher und Ausnahmeregeln. So erstattet Malta bis zu 6/7 der Gewinnsteuern zurück und macht sich damit zur Steueroase. Es gab und gibt Vorstöße zur Vereinheitlichung der Unternehmenssteuern und zur Schließung der Schlupflöcher. Schärfstes Schwert ist aktuell eine Mittelungspflicht über Steuerabsprachen der Länder mit Unternehmen. Da geht noch mehr. Auch hier leidet vor allem der Mittelstand, weil ihm die „Steueroptimierungs-Instrumente“ internationaler Konzerne nicht zur Verfügung stehen.
5. Eine rigorosere europäische Zollpolitik
Die EU hat sich jahrelang viel zu viel Zeit gelassen, auf asiatische Billigimporte angemessen zu reagieren. Bis ein Strafzoll etwa auf ein Dumpingstahl-Produkt erlassen wurde, waren schon viele Tonnen verkauft und verarbeitet. Ironischerweise hat Trumps Abschottungspolitik die Europäer aufgeweckt. Sie reagieren inzwischen schneller auf Dumpingimporte und mit Vergeltungszöllen auf US-Strafabgaben. Doch insbesondere die Reaktion auf Billigimporte aus asiatischen Staaten, die mit Subventionen die europäische Konkurrenz auszustechen versuchen, muss noch schneller und entschiedener werden.