Münster. „Zeit für Sozialismus“, lautet das Motto der Jungsozialisten in NRW. Ist das noch zeitgemäß? Ein Gespräch mit Politikprofessor Norbert Kersting.

„Zeit für Sozialismus“, lautet das Motto der Jungsozialisten (Jusos) in NRW. Ein antiquierter Begriff? Die Redaktion hat mit Norbert Kersting, Politikprofessor an der Uni Münster, über die Auswirkungen des Juso-Leitsatzes gesprochen.

Das Motto der NRW-Jusos heißt „Zeit für Sozialismus“. Sind diese Zeiten nicht schon vorbei?

Norbert Kersting: Der Sozialismusbegriff wurde schon für die Wahlkämpfe in den 70er und 80er Jahren genutzt, das stimmt. „Freiheit statt Sozialismus“ lautete da das Motto der CDU. Der real existierende Sozialismus in der DDR war wahrlich keine Erfolgsgeschichte und völlig undemokratisch. Zwar ist der Slogan der Jusos medienwirksam, jedoch schwer zu verkörpern und leicht missverständlich. Dabei muss man sehen, dass die Jugendorganisation unter Druck steht. Analysen zur letzten Bundestagswahl zeigen, dass sich gerade viele Jungwähler für die Grünen und die FDP entschieden haben, nicht aber für die Volksparteien und nicht für die SPD. Mit ihrem polarisierenden Slogan machen sie jungen Menschen nun das Angebot, sich wieder stärker an die SPD zu binden.

Politikprofessor Prof. Dr. Norbert Kersting
Politikprofessor Prof. Dr. Norbert Kersting © kersting | Kersting

Inwiefern spielt die Krisenzeit den Jusos mit ihrem Motto in die Karten?

Kersting: Die Jusos greifen gerade ein wichtiges Thema auf, weil es ums Portemonnaie und um die soziale Sicherheit vieler Bürger geht. Mit den steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen steigt auch die soziale Ungleichheit. Viele Menschen haben Verlustängste. Damit wächst der Wunsch nach Daseinsvorsorge und staatlicher Absicherung. Das sind klassische Begriffe, die in einem demokratischen Sozialismus und bei sozialdemokratischen Parteien zentral sind. Wenn der Markt versagt, beispielsweise bei den Ölpreisen oder beim Gas, dann ist der Staat gefordert. In Zukunft wird es also noch mehr um die Rolle des Staates gehen, der sich neu aufstellen muss.

Welche Rolle spielen die Jusos unter den Nachwuchsparteien?

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Kersting: Die Jugendorganisationen der Parteien sind traditionell an andere Organisationen wie zum Beispiel Gewerkschaften oder Kirchen gekoppelt. Bei den Jungen Liberalen ist das nicht ausgeprägt. Die Grüne Jugend hingegen ist eng mit der Fridays For Future-Bewegung verbunden. Hier steht der Klimaschutz klar im Vordergrund, aber diese Bewegung setzt sich auch mit Themen rund um Daseinsvorsorge und sozialer Gerechtigkeit auseinander. Die Jusos müssen deshalb schauen, wie sie ein starkes Alleinstellungsmerkmal setzen können. Der Sozialismusbegriff ist ein Ansatz, sich stärker zu positionieren.

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