Bonn. Sie waren die Galionsfiguren der Friedensbewegung: Vor 30 Jahren erschoss Gert Bastian Petra Kelly und sich selbst. Es gibt noch offene Fragen.
Es ist ein kleines Reihenhaus im Bonner Norden in der Swinemünder Straße 6. Rüschen-Gardinen hängen vor den Fenstern. Rosen sind im Vorgarten gepflanzt. Am Briefkasten kleben kleine Mahnzettel: „Keine Werbung einwerfen“. „Vertreter verboten“. Über allem wacht eine Alarmanlage. Im Herbst 1992 vermittelt die ganze Szene den Eindruck einer bürgerlichen Idylle. Doch die Idylle ist ein Tatort. Die Welt erfährt davon, als in der Nacht zum 20. Oktober zehn Streifenwagen das Sträßchen abriegeln und zwei Särge in die Gerichtsmedizin gebracht werden. Es war die Nachbarin, die Petra Kelly und Gert Bastian in deren Wohnung tot auffand. Die Grünen-Politikerin und der Ex-General waren in den 80er-Jahren die Gesichter der Friedens- und Abrüstungsbewegung.
Petra Kelly, zum Zeitpunkt ihres Todes 44 Jahre alt, liegt in ihrem Bett, bekleidet mit einem Hausanzug, als Nachbarin Rosemarie L. sie dort findet. Die Leiche des 24 Jahre älteren Gert Bastians entdeckt die Frau im Flur. Die Leichen sind bereits halb verwest. Es stellt sich heraus, dass die Todeszeit drei Wochen zurück zum 1. Oktober datiert werden muss, als das Paar von einem Kongress in Berlin nach Bonn zurückgekehrt war.
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Tatwaffe gehörte dem Ex-General Bastian
Der Bonner Oberstaatsanwalt Peter Iwand sagt: „Mit Sicherheit“ könne eines ausgeschlossen werden, nämlich „dass dritte Personen für den Tod von Frau Kelly und Herrn Bastian verantwortlich sind“. Iwand: „Die Todesursache … ist jeweils ein Schuss in den Kopf, ein absoluter Nahschuss“; und „dass Frau Kelly erschossen worden ist und anschließend sich Herr Bastian erschossen hat“. Die Fahnder haben die Tatwaffe sichergestellt. Sie gehörte dem Ex-General Bastian, der die 12. Panzerdivision der Bundeswehr geführt hatte, die Uniform auszog und beim pazifistischen „Krefelder Appell“ mitarbeitete. Die zweiläufige Derringer Kaliber 36 stammte aus seiner Waffensammlung. Das stützt, was Ermittler Iwand sagt, und Schmauchspuren zeigen, dass Bastian den Abzug gedrückt hat. Der Oberstaatsanwalt sagt, seine Behörde sehe keinen Anlass, weitergehend zu ermitteln. Gegen tote Verdächtige wird ohnehin nicht ermittelt.
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Bonn, die damalige Bundeshauptstadt, ist tief erschüttert. Auf den Fluren des Bundestags, der Ministerien und der Pressehäuser wird der doppelte Tod der beiden zum zentralen Thema. Man fragt sich selbst, wann man beide zum letzten Mal lebend in diesem Regierungsviertel sah. Es war eine ganze Weile her. Und man fragt: Warum? Da gibt es keine klare Antwort. Nur Gerüchte und Mutmaßungen. Der Tod des Paares rührt viele Menschen nicht nur im Regierungsviertel. Sie erinnern sich an Kellys und Bastians Kampf gegen die Nachrüstung sowjetischer und amerikanischer Raketen. An die Ausgeglichenheit, mit der beide immer argumentierten. Nicht nur die Amerikaner trugen Schuld an dem Rüstungswahn, auch die Sowjetunion.
Mann erinnert sich an die Friedensdemonstrationen wie im Oktober 1981, als im Bonner Hofgarten an die 300.000 Menschen zusammenkamen. An das Engagement gegen Unterdrückung, etwa in Tibet. An die Auftritte im Bundestag der Kohl-Jahre schließlich, dessen Altherrenklima sie aufmischten. Und an Petra Kelly besonders, die eine der Gründungsfiguren der Grünen wurde.
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Die Frage nach dem Warum
Am frühen Morgen des 1. Oktober ist auch eine ungewöhnliche Liebe tragisch zu Ende gegangen. Sie hatte 1980 auf einem der vielen Friedenstreffen begonnen. Es ist die Lovestory zwischen der eloquenten , jugendlich wirkenden Petra Kelly und dem lebenserfahrenen, kantigen Bundeswehr-General Bastian. Sie trennte ein Altersunterschied von 24 Jahren. „Mein Gertilein“, schrieb Kelly noch kurz vor dem tödlichen Drama ins Poesiebuch – und zeichnete mit: „Deine kleine Petra“.
Warum dann diese Tat?
Geschah sie aus Verzweiflung, weil der gesundheitlich angeschlagene Bastian nicht mehr dem enormen Arbeitstempo der Gefährtin folgen konnte? Saß die Enttäuschung über die grüne Wahlniederlage zwei Jahre zuvor zu tief? Spielten Nebenbuhler, die es gab, und Eifersucht eine Rolle? Erschoss Bastian seiner Partnerin mit deren Einverständnis oder in ihrem Auftrag – oder als Kelly schlief. Otto Schily, der Grüne, der später zur SPD wechselte und Bundesinnenminister wurde, hat sich erinnert. Einige Wochen vorher habe er sie im Flugzeug gesehen: „Da waren sie eigentlich sehr gelöst“. Andere Parteifreunde und Bekannte der beiden sind nach dem Ereignis geradezu einem psychoanalytischen Rausch verfallen. „Zerstörerisch“ sei die Abhängigkeit voneinander gewesen, „fatal“ ihre „symbiotische Verstrickung“. Alle Spekulationen allerdings gründeten auf der Aussage der Ermittler, es liege „kein Fremdverschulden“ vor. War das wirklich so?
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Fahnder schauen immer erst auf den Tatort. Dort gab es weder Einbruchs- noch Kampfspuren. Die Obduktion der Leichen wies weder auf schwere Krankheiten hin noch auf Gift, Drogen oder Alkohol. Es fehlte ein Abschiedsbrief. Beide, Kelly wie Bastian, hatten einen vollen Terminkalender. Das Ausscheiden aus dem Bundestag zwei Jahre zuvor müssten sie eigentlich überwunden haben, auch wenn Kelly auf dem zurückliegenden Parteitag in Neumünster böse abgestraft worden war. Kelly sah eine Zukunft. Sie wollte für das Europäische Parlament kandidieren.
Nach der Rekonstruktion der letzten Stunden Bastians wurde zudem klar: Erst schrieb der Ex-Offizier am Morgen der Tat einen Brief an seine von ihm getrennt lebende Ehefrau in München. Plaudereien, nichts Außergewöhnliches. Der Brief war zugeklebt und unfrankiert, als ihn die Fahnder sicherstellten. In der elektrischen Schreibmaschine steckte ein zweites Schreiben. Es richtete sich an seinen Anwalt und drehte sich um eine zweitrangige Rechtssache. Die Maschine war eingeschaltet, als die Polizei eintraf. Der Text brach mitten im Wort „müs...“ ab.
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Eine Kerze, die sich zu schnell verzehrt
Entscheidet sich ein Mensch mitten in einem geschriebenen Satz, mag er noch so unerheblich sein, zur Waffe zu greifen, die Partnerin und sich selbst zu töten? Wenn nein, wenn also ein Dritter im Spiel gewesen sein sollte: Welches Motiv hätte zum doppelten Tod geführt?
Eine vage Spur könnte in die dramatische Schlussphase des Kalten Krieges zwischen 1980 und 1989 führen. Geheimdienste in Ost und West beobachteten intensiv die friedensbewegte Szene. Lew Kopelew, der sowjetische Dissident und langjährige Vertraute des Paares, mutmaßte über solche Hintergründe: „Ich glaube an keinen Selbstmord“.
Auf eine Fährte stößt im April 1993 das Bundeskriminalamt. Beamte verhören in Berlin zwei Ex-Stasi-Oberste. Die räumen ein, dass Gert Bastians Organisation „Generale für den Frieden“, 1980 gegründet, aus der DDR gesteuert und monatlich mit 100.000 D-Mark finanziert wurde. Auch wenn es bis heute kein einziges Indiz dafür gibt, dass Bastian je Mitarbeiter der ostdeutschen Staatssicherheit war – es ist unwahrscheinlich, dass er diese Verbindung nicht gekannt hat. Wenige Wochen vor ihrem Tod hatte Petra Kelly Einsicht in ihre Akten bei der Stasi-Unterlagenbehörde beantragt. Vielleicht versteckten sich dort Dinge, die sie über den Partner nicht wissen durfte? Vielleicht ahnte Bastian etwas? Spekulationen.
Was genau am 1. Oktober 1992 in der Swinemünder Straße 6 passierte, ist wohl nicht mehr zu klären. Die Stasi hat zentrale Akten noch zu DDR-Zeiten vernichtet. Petra Kellys Grabmalmotiv auf dem Würzburger Waldfriedhof deutet ohnehin in eine ganz andere Richtung: Es stellt eine Kerze dar, die sich zu schnell verzehrt.
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