Bonn. Sie trafen sich heimlich im Keller, diskutierten und feierten. Die schwarz-grüne Pizza Connection legte den Grundstein für heutige Koalitionen.
Nein, sie haben sich nicht beim Italiener getroffen. Als CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Grünen-Landeschefin Mona Neubaur mit ihren Delegationen am letzten Dienstag zum Auftakt der schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen zusammenkamen, war das Ambiente stattdessen eher künstlerisch geprägt: Im Düsseldorfer Museum Malkasten sollte die Farbkombination angerührt werden, die die nächsten fünf Jahre landespolitisch prägen soll.
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Das war 1995 in Bonn anders. Berlin war damals zwar schon offiziell Hauptstadt des vereinten Deutschlands, das kleine Bonn am Rhein aber de facto immer noch Regierungs- und Parlamentssitz. Zeiten des Übergangs, vielerlei Hinsicht. Anfang Juni jenes Jahres traf sich im Bonner Restaurant Sassella eine lockere Runde junger Politiker von CDU und Grünen, die die damals herrschende Sprachlosigkeit zwischen der staatstragenden und in den Augen vieler Grüner reaktionären Union und den nach Meinung nicht weniger Christdemokraten „grünen Spinnern“ überwinden wollten. Man konnte es ja mal probieren, die werden schon nicht beißen.
Und siehe da: Das Lokal der aus Norditalien stammenden Brüder Giorgio und Francesco Tartero wurde fortan zum festen Treffpunkt der Jung-Parlamentarier – und damit zum Geburtsort der sogenannten schwarz-grünen Pizza Connection.
Die Scheuklappen ablegen
Bei Pasta und - dem Vernehmen nach – bisweilen größeren Mengen Wein, kamen Schwarze und Grüne sich erstmals näher, menschlich wie politisch. In der Union hatte man erkannt, dass man sich bei Themen wie Umweltschutz oder Familienpolitik bewegen mussten; die Grünen wiederum merkten, dass man ideologische Scheuklappen ablegen muss, um politisch etwas zu bewirken.
In gewisser Weise wurde im Sassella der Grundstein dafür gelegt, dass Regierungsbündnisse aus CDU und Grünen, wie sie sich in diesen Tagen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein anbahnen, möglich wurden.
Zu den Gründervätern und -müttern der Pizza Connection gehörten aufstrebende Kräfte der beiden Parteien, von denen nicht wenige später Karriere machten in der Berliner Republik: Auf Seiten der CDU waren etwa die späteren Bundesminister Norbert Röttgen, Ronald Pofalla, Herman Gröhe oder Peter Altmaier dabei, aber auch Armin Laschet, Jahre später Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, ließ sich hin und wieder im Weinkeller sehen. Auch bei den Grünen finden sich Namen, die eine veritable Politik-Karriere hinlegen sollten: beispielsweise Cem Özdemir, später Parteichef und heute Landwirtschaftsminister in der Ampel-Koalition, die heutige Umweltministerin Steffi Lemke oder auch die jetzige Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt.
Vorurteile abbauen - oder bestätigen
Die Treffen dieser Urzelle schwarz-grüner Zusammenarbeit hatten, zumindest in der Anfangszeit, konspirativen Charakter. „Du gehst rein und fragst einen der Kellner und musst das richtige Code-Wort sagen“, schrieb Cem Özdemir einmal im Grußwort zu einem Sassella-Jubiläum. Stimmte das Passwort, sei man quer durch die Küche gelotst worden, um im hinteren Teil des Lokals eine Treppe tief in den Weinkeller hinabzusteigen. Özdemir: „Dort offenbarte sich uns jungen Abgeordneten eine völlig andere Welt.“ An einem langen Holztisch umgeben von „erlesenen Weinen aus Italien konnten grün und schwarz sich kennenlernen, so manches Vorurteil abbauen oder als bestätigt abhaken“.
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Auch wenn die Erinnerung mancher Teilnehmer die Treffen der Pizza Connection ein wenig verklären mag – die Heimlichtuerei kam damals nicht von ungefähr. Im Bundestag regierte Bundeskanzler Helmut Kohl mit einer Koalition aus Union und FDP. Für jene Generation waren die grünen Bürgerschrecks das passende Feindbild. Angeblich, so heißt es, habe CDU-Übervater Kohl schnell von den Runden im Sassella erfahren, die schwarz-grünen Annäherungsversuche jedoch nicht ausdrücklich unterbunden. Auch dem damaligen CSU-Generalsekretär Bernd Protzner fielen die ungewöhnlichen Treffen auf. Protzner soll auch derjenige gewesen sein, der der „Pizza-Connection“ ihren Namen gab. Dabei: Pizza stand im Sassella nie auf der Karte. Helmut Kohl, selbst gelegentlich Gast bei den Brüdern Tartero, habe bei einem seiner Besuche mitbekommen, wie Schwarze und Grüne die Treppe in den Weinkeller hinunter huschten, erzählte einmal Ristorante-Chef Francesco Tartero. „Da fragte er mich: Wo gehen die Küken denn hin? Und dann habe ich ihm das erzählt. Er durfte auch einmal mit mir reingucken. Dann war das normal.“
Als um die Jahrtausendwende der Politik-Betrieb endgültig von Bonn nach Berlin umzog wurde es stiller um die Runde. Die Grünen regierten inzwischen im Bund mit – in einer Koalition mit den Sozialdemokraten und Bundeskanzler Gerhard Schröder. Da rückten schwarz-grüne Kontakte in den Hintergrund. Trotzdem: Es gab immer wieder lockere Treffen, einige Kontakte rissen nie ganz ab.
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Hermann Gröhe: „Es war auch der Reiz des Tabubruchs“
Hermann Gröhe war 1995 einer der Mit-Initiatoren der Treffen von Abgeordneten der CDU und der Grünen. Er wurde später unter anderem CDU-Generalsekretär und Bundesgesundheitsminister. Heute ist der 61-Jährige Vize-Fraktionschef der Union im Bundestag.
Herr Gröhe, Sie gehörten zu den Gründern der sogenannten Pizza Connection Mitte der 90er-Jahre. Wie kam es zu der Runde?
Hermann Gröhe: 1994 waren bei Union und Grünen viele neue junge Abgeordnete in den Bundestag gekommen. Da lief man sich über den Weg, etwa bei Veranstaltungen für Neu-Parlamentarier. Wir waren die gleiche Generation, gingen in die die gleichen Kinofilme, hörten die gleiche Musik. Wir hatten trotz politischer Unterschiede ein ähnliches Lebensgefühl. Da kam man schnell ins Gespräch.
CDU und Grüne waren damals nicht eben eng miteinander.
Wohl wahr, Zerrbilder des jeweils anderen gab es auf beiden Seiten. Deshalb hatten die Treffen im Sassella auch ein bisschen den Reiz des Tabubruchs. Es war ja eine Mischung aus geselligem Beisammensein und politischen Debatten. Das machte Spaß, forderte inhaltlich und deshalb trafen wir uns regelmäßig.
Warum das Sassella?
Wer das Restaurant als Treffpunkt vorschlug - ich weiß es gar nicht mehr. Aber der Ort hatte etwas spielerisch-verschwörerisches. Um in den Weinkeller zu gelangen, musste man an der Küche entlang, vorbei an Olivenölfässern, dann eine dunkle Treppe hinunter. Das war schon witzig.
War die Pizza Connection mit dem Umzug des Politikbetriebs von Bonn nach Berlin vorbei?
In dieser Form ja. Wir treffen uns zwar auch heute noch gelegentlich in Berlin, aber das ist mehr in privatem Rahmen und ist heute nichts mehr Besonderes. Die Pizza Connection, das war Bonn, das Sassella, der Keller. Das kann man nicht einfach in eine andere Stadt verpflanzen. Unseren letzten Abend als Abgeordnete in Bonn vor dem Umzug haben wir im Sassella gefeiert, bis in die Morgenstunden.
Sind Freundschaften über Parteigrenzen hinweg entstanden?
Ich kann für mich sagen, dass ich zu manchen Kolleginnen und Kollegen der Grünen, die damals mit dabei waren, bis heute ein besonders vertrauensvolles Verhältnis habe. Das hilft auch im politischen Geschäft. Das ist, wenn Sie so wollen, das Erbe der Pizza Connection.