Düsseldorf. Wenn Kinder groß sind, verändert sich das Verhältnis zwischen Eltern und Nachwuchs. Trotzdem: Mütter bleiben Mütter. Wie sie die Rolle neu leben.

Wie die Zeit vergeht: Gerade haben sie noch Streuselkuchen im Sandkasten gebacken, schon machen sie ihren Führerschein. Wenn Kinder erwachsen werden, verändert sich das Verhältnis zu den Eltern. Das Loslassen kann herausfordernd sein. Aber es ist auch eine Chance für eine ganz besondere Beziehung.

„Ich bleibe natürlich immer das Kind meiner Mutter“, sagt die Systemische Familientherapeutin Anke Meissner. „Und ich werde immer die Mutter meiner Kinder bleiben.“ Auch wenn die beiden schon über 20 Jahre alt sind. So eine Mutterrolle könne man nicht einfach ausziehen wie einen Pullover – aber man kann sie verschieden gestalten.

Anke Meissner, Familientherapeutin aus Düsseldorf.
Anke Meissner, Familientherapeutin aus Düsseldorf. © Ho

Allerdings sollte man damit nicht erst anfangen, wenn die Kinder per Gesetz erwachsen sind, sondern viel früher. „Mit dem Durchschneiden der Nabelschnur ist vorprogrammiert, dass das Kind in eine Eigenständigkeit hineingeht“, so die 53-Jährige. Schritt für Schritt wird es immer selbstständiger. Im Idealfall begleiten die Eltern das Kind dabei, geben ihm Freiraum, um sich zu entwickeln.

„Und das hört ja nicht auf“, sagt die Düsseldorferin, „selbst wenn mein Kind 18 und erwachsen ist – in Anführungszeichen erwachsen.“ Denn auch nach der Volljährigkeit benötigten Töchter und Söhne – mal mehr, mal weniger – Unterstützung. „Ich frage meine Mutter manchmal auch noch um Rat, sie ist für mich eine Vertrauensperson.“

Eltern sollten die Kinder auf dem Weg zur Selbstständigkeit unterstützen

Trotzdem sei es wichtig, dass Eltern die Eigenständigkeit der Tochter oder des Sohnes nicht aus den Augen verlieren. „Ich kann dem Kind freundschaftlich und beratend zur Seite stehen, immer da sein, aber ich bin nicht verantwortlich für das Leben meines erwachsenen Kindes“, betont Anke Meissner. Der Nachwuchs sei selbst Schmied seines eigenen Glücks. „Und ich habe mein Kind lange Zeit darauf vorbereitet, das gut hinzubekommen.“

Dabei seien drei Dinge wesentlich: „Das erste ist das Wichtigste: Ich muss meinem Kind es zutrauen, etwas alleine hinzubekommen“, betont die Expertin. „Und wenn ich ihm das zutraue, dann muss ich das entweder zulassen, wenn das Kind das selber möchte, oder dem Kind es zumuten.“ Sie erklärt es am Beispiel eines kleinen Jungen, der seine Schuhe nicht selbst anziehen möchte – das kann man ihm ab einem bestimmten Alter jedoch zumuten. Und wenn der Junge in der Küche mit einem Messer einen Apfel schneiden will, dann kann man das auch irgendwann zulassen. „Das ist ein Prinzip, das sich durchzieht und das gilt auch, wenn man erwachsene Kinder hat.“

Zutrauen, zumuten und zulassen

Kommt die ältere Tochter nach Hause und fragt: „Kannst du meine Wäsche waschen?“, kann die Mutter sagen: „Ich traue dir das zu und ich mute dir das zu, es selbst zu schaffen.“

Auch interessant

Wenn es nur die Wäsche wäre. . . . So seufzen Eltern schon mal: „Kleine Kinder kleine Sorgen, große Kinder große Sorgen.“ Dazu sagt Anke Meissner: „Die Herausforderungen wachsen, aber das heißt nicht, dass ich mir auch mehr Sorgen machen muss, sondern vielleicht brauche ich nur ein bisschen mehr Vertrauen.“ Wenn Söhne und Töchter das Vertrauen der Eltern spürten, dann tue das auch der Beziehung gut.

Allerdings gibt es auch Mütter, die der Tochter den Wäschesack aus der Hand reißen: „Ich mache das für dich.“ Dann bügeln sie Blusen und tuppern Essen für die nächste Woche ein: „Das schaffst du ja gar nicht!“ Hilfe kann guttun. Aber wird sie zur Regel, erhöht es nicht die Selbstständigkeit des erwachsenen Kindes. Wenn dann ein „Nein, ich möchte das selbst machen“ überhört wird, gibt es Streit.

„Manche Eltern finden aus diesem alten Rollenbild nicht raus: Ich weiß das besser! Nur ich weiß, was gut für dich ist!“ Das geht bis zur Einmischung bei der Erziehung der Enkel. Es sei wichtig, betont Anke Meissner, dass man den erwachsenen Töchtern und Söhnen auf Augenhöhe begegnet und nicht von oben herab.

Das Gefühl, gebraucht zu werden

Vielleicht nimmt die Mutter diese Aufgaben den Kindern auch ab, weil sie dann das Gefühl hat, weiterhin gebraucht zu werden? „Wenn ich vorher mein Leben vorrangig darauf ausgerichtet habe, alles für meine Kinder zu tun, und sie mich dann nicht mehr so brauchen, was mache ich dann mit mir? Ich muss mir die Frage stellen: Wer bin ich dann?“ Wenn eine Frau sich nur darüber definiere, dass sie Mutter ist, sei das zu wenig. „Ich bin auch Partnerin – das sollte man selbst, wenn die Kinder kleiner sind, nicht aus den Augen verlieren.“ Oder man ist eine im Beruf erfolgreiche Frau, eine gute Freundin, eine Ehrenamtlerin. „Ich muss irgendeinen Ersatz dafür finden, dass ich meine Mutterrolle drastisch reduziere.“

Auch interessant

Andere Mütter starren wie hypnotisiert aufs Smartphone, wann das blaue Häkchen auftaucht, das bestätigt: Der Sohn hat die Nachricht gelesen! Und dass er das letzte Mal um 2 Uhr nachts online war, erfahren sie so auch. „Vielleicht will man das Kind noch etwas kontrollieren“, vermutet Anke Meissner bei diesem Verhalten. Oder man hat den Wunsch, mehr von dem Sohn zu erfahren. „Dann sollte man das lieber direkt sagen: ,Lass mich ein bisschen an deinem Leben teilhaben, ich würde mich freuen, mehr von dir zu hören.’“

Zieh dir eine Jacke an!

Und dann rutscht einer Mutter bei der längst erwachsenen Tochter doch die Mahnung heraus: „Es ist kalt, Kind, zieh dir eine Jacke an!“ Oder: „Du bist so dünn geworden, iss noch etwas!“ Und schon landet die nächste Kelle Gulasch auf dem Teller. Anke Meissner: „Manchmal werden solche fürsorglichen Gesten genutzt, um zu sagen: ,Ich liebe dich, du bist mir wichtig.’“ Eine Umarmung, ein paar liebevolle Worte wären vielleicht einfacher. „Aber manchen fällt es leichter zu sagen: Zieh dir eine Jacke an!“

>> Ein Beispiel für ein gutes Mutter-Tochter-Gespann: Das Autoren-Duo Andrea Russo und Christin-Marie Below

Als die Tochter mit 18 auszog, war das für Andrea Russo „heftig“. Sie hatte zwar ihr Kind bewusst zu einem selbstständigen Menschen erzogen, aber trotzdem blieb die Frage: Geht es ihr gut? Dann trafen sie eine Vereinbarung per Handy: „Ich schicke ihr ein Fragezeichen und als Antwort kriege ich ein Ausrufezeichen und ich weiß, es ist alles okay – und das hat mir gereicht.“

1998: Mutter Andrea Russo mit Tochter Christin-Marie Below. Heute schreiben sie zusammen Kinderbücher.
1998: Mutter Andrea Russo mit Tochter Christin-Marie Below. Heute schreiben sie zusammen Kinderbücher. © Privat | Privat

Dabei sind Andrea Russo und Christin-Marie Below eigentlich alles andere als wortkarg. Die ehemalige Lehrerin Russo und die frühere Drogistin Below schreiben Bücher. „Café Meerblick“ heißt das neuste der 28-Jährigen. Auch das der Mutter über die Schwestern Lindholm spielt in einem Café. „Zufall“ sagt die 53-Jährige. Kuchen und Kaffee schmecken einfach immer.

Dass die Tochter in die Fußstapfen der Mutter getreten ist, war auch ein Glücksfall. Russo hatte Zeitdruck, das Kinderbuch „Green Witch“ musste fertig werden – und so bat sie ihre Tochter um Ideen. Und Below merkte: „Ich habe noch viel mehr Ideen.“ Nun schreiben sie zusammen Kinderbücher. „Psst“ – ein Buch über Geheimnisse, unterstützt vom Kinderschutzbund –, liegt ihnen besonders am Herzen.

Mutter und Tochter schreiben zusammen Kinderbücher

Russo: „Ich hab die Erfahrung, sie die Fantasie – das passt.“ Beim gemeinsamen Laufen am Kanal entwickeln sie eine Geschichte. Morgens schreibt die Tochter am Buch, nachmittags arbeitet die Mutter am gleichen Dokument. Beide korrigieren die andere. Und das funktioniert ohne Streit? „Wir sind da beide nicht nickelig, wenn die andere mal in den Text eingreift“, so Below. Ob sie bei einer anderen Kollegin auch so frei Kritik üben könnten? Wahrscheinlich nicht. „Meine Tochter ist die einzige, die lachen darf, wenn ich verpeilt bin.“

Below fühlt sich ernstgenommen – zugleich genießt sie die Sicherheit, die ihr die Mutter nicht nur beim Schreiben gibt: „Wenn ich mal nicht weiter weiß, dann rufe ich die Mama an.“

„Es hat sich ein bisschen gedreht“, meint die Mutter. Heute sage die Tochter schon mal: „Denk an dich! Gönn dir ‘was.“