Bottrop. Wie schaffen es Eltern, neben den Kindern, der Arbeit und den Corona-Herausforderungen auch noch Zeit für sich zu finden?
Bevor die Kinder kamen, hatte Caroline Porwoll viele Hobbys: Joggen, Filme, Lesen und gemeinsame Städtereisen mit ihrem Mann Martin. Tokio oder New York haben sie gemeinsam kennengelernt – bevor die Kinder kamen. Jetzt sagt die 45-Jährige: „Die Zeit für mich wird in Schlaf investiert.“
Die Tage sind eng getaktet: „Mein Mann und ich sind es gewohnt, uns die Klinke in die Hand zu geben. Da sind wir sehr gut organisiert.“ Um 6.45 Uhr klingelt der Wecker, um 7.30 Uhr gibt’s Frühstück. Um 8 Uhr werden Constantin (5 ½) und Felicitas (2) von der Mama in die Kita gebracht. Anschließend setzt sie sich im Homeoffice an den Schreibtisch – bis es Abendessen gibt.
Caroline Porwoll ist in Vollzeit als Managementberaterin bei einem großen Pharmakonzern tätig und als Angestellte an die üblichen Bürozeiten gebunden. Ihr Mann Martin Porwoll, der 2016 den Medizinskandal um gefälschte Anti-Krebsmittel in der Alten Apotheke in Bottrop mit aufdeckte, ist heute Geschäftsführer einer Firma, die eine medizinische Zweitmeinung vermittelt.
Auch Martin Porwoll arbeitet Vollzeit, ist aber flexibler in seinen Arbeitszeiten. Deshalb holt der 49-Jährige am Nachmittag die Kinder aus der Kita und verbringt mit ihnen die Zeit bis zum Abendessen. Wenn sie es zeitlich schafft, kommt Caroline Porwoll dazu, wenn nicht, unterbricht sie spätestens danach ihre Arbeit, um ein bisschen Zeit mit ihrem Sohn zu verbringen, während ihr Mann die Tochter zu Bett bringt.
„Das ist unsere Quality-Time des Tages“, sagt die Mutter. „Dann darf Constantin sich wünschen, was wir machen. Mal bauen wir Lego, mal schauen wir gemeinsam eine Kinder-Doku oder spielen ein Brettspiel.“ Nach dem Zubettbringen arbeitet Caroline Porwoll meist weiter, bis 21.30 Uhr. Zumindest war dann bis vor kurzem Feierabend. Mittlerweile ist sie mit einem neuen Arbeitsprojekt beschäftigt und wünscht sich: „Hoffentlich wird das nicht so ein verrückter Wahnsinn.“ Zeit für die kleine Tochter ist eigentlich nur am Wochenende. Dann aber extra viel.
Ein bisschen geht noch – aber wie lange noch?
Sich selbst beschreibt Caroline Porwoll als „jemand, der immer sagt: ein bisschen geht noch.“ Sich abgrenzen, auch mal nein sagen, Prioritäten setzen, all das fällt ihr schwer. Zudem hat die Corona-Zeit zur Folge, dass die unterschiedlichen Lebensbereiche miteinander verschwimmen. Bei Porwoll heißt das zum Beispiel: Die Kinder sind wegen der geschlossenen Kita zu Hause und toben, während sie kocht und gleichzeitig versucht, per Videocall an einem Meeting teilzunehmen.
„Bei keinem bin ich dann so richtig dabei“, beschreibt sie die Situation: „Das Essen brennt an, die Kinder kippen vom Stuhl oder kloppen sich – und vom Meeting bekomme ich auch nur 30 Prozent mit.“ Sie hat festgestellt: „In einer solchen Situation kann ich ja eigentlich nur scheitern, weil ich keiner Seite richtig gerecht werden kann.“ Alles – und immer – zu 100 Prozent machen zu wollen, das macht sie unzufrieden.
„Als die größte Herausforderung“, sagt sie, „empfinde ich, all diese Rollen unter einen Hut zu bringen. Meine eigene Erwartungshaltung ist, allen Rollen gleichermaßen gerecht werden zu können. Das stresst.“ Mit Kindern und Job bleibe von Caroline Porwoll als eigenständige Person wenig übrig. „In diesem Bereich will ich mich jetzt nicht auch noch unter Druck setzen.“ Sie besuchte ein Seminar, das in der Kita ihrer Kinder angeboten wurde: „Zeitmanagement für Eltern – Mehr Zeit fürs Kind.“
Seminar für Eltern
Margit Rüter-Hüsgen, Psychologin und integrative Lerntherapeutin, hat es geleitet: „Das, was im Moment an Anforderungen auf Eltern einprasselt, ist schlicht nicht machbar. Im Moment kann es einfach nicht perfekt sein. Wir befinden uns in einer allgemeinen Überforderungssituation.“ Aber es liegt nicht nur an Corona. Das Seminar wurde schon vor über einem Jahr gebucht. „Viele Eltern haben sehr hohe Ansprüche an sich selbst“, erklärt Rüter-Hüsgen. Sie möchte den Eltern den Druck nehmen, damit sie mehr Spaß am Elternsein haben.
Die Seminare buchen Mütter und Väter, die gerne mehr wertvolle Zeit mit dem Nachwuchs verbringen möchten, die massiv gestresst sind und lernen möchten, sich zu entspannen. All denen sagt Rüter-Hüsgen: „Jede Lebens- und Arbeitssituation ist ganz individuell und man kann keine allgemeingültigen Kochrezepte dafür finden.“ Lieber gibt sie den Teilnehmern mehrere Ideen an die Hand, ohne belehren zu wollen.
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Ihre Zeitmanagement-Tipps für Eltern sind eher Fragen: Um was geht es in einer Situation eigentlich? Was ist wirklich wichtig? Wie kann das ganz praktisch durchgesetzt werden? „Wichtig ist dabei, dass die Eltern sich nicht selbst bestrafen, sondern sich immer fragen: Was kann ich tatsächlich leisten und was ist mir wichtig?“ Ab etwa drei Jahren müssten Kinder außerdem verstehen, dass Eltern auch mal Pause bräuchten: „Auch dass Mamas das Recht haben, ab und zu Spaß zu haben“, sagt Margit Rüter-Hüsgen. „Oft ist diese fehlende Pause dafür verantwortlich, dass es an der Zeit fürs Kind fehlt.“
Bei der Familie Porwoll geht das in kleinen Schritten: Jüngst wurde dort der „Kino-Abend“ eingeführt. Gemeinsames Filmeschauen. So können auch die Eltern einem Hobby nachgehen UND verbringen Zeit mit den Kindern. Ein Anfang.
>> Tipps vom Kommunikationstrainer: Wie kann ich Zeit sparen?
Kommunikationstrainer Jonas Leimann aus Bochum gibt Seminare mit dem Titel: „Zeitmanagement im Alltag oder warum hat der Tag nur 24 Stunden?“. Seine Tipps, um den Alltag besser zu strukturieren:
Zeitfresser finden: Der 30-Jährige rät, Tagesablaufspläne aufzuschreiben und zu schauen, an welchen Stellen Zeit verschwendet wird. Zum Beispiel beim Warten auf ein Zoom-Meeting. Diese „tote Zeit“ könne man mit Dingen füllen, die man unterbrechen kann: Schreibtisch aufräumen, Ordner sortieren, Wäsche machen. „Ich plane also aktiv ein, wie ich diese tote Zeit füllen kann“, sagt Leimann. Oder, als Tipp für gestresste Eltern, beim Warten bewusst zehn Minuten aus dem Fenster schauen – und durchatmen.
Rituale einführen: Abends nach dem Essen gemeinsam planen, was am nächsten Tag für jedes einzelne Familienmitglied anliegt. Dabei nicht vergessen, Ruhephasen zu erwähnen. Morgens einen Ablaufbahn schaffen, der konsequent eingehalten wird: duschen, fertig machen, Frühstück vorbereiten. Und: „Auch während der Corona-Zeit sollte man im ganz normalen Alltag bleiben, auch wenn alle zu Hause sind. Vor allem morgens darf es da keine Abwandlungen geben.“
Puffer einplanen: Schauen, wie lange eine Aufgabe dauert und mindestens 30 bis 40 Prozent Pufferzeit zusätzlich einplanen. Zum Beispiel: Wenn der morgendliche Badgang 30 Minuten dauert, sollte man etwa zehn Minuten extra für alle Eventualitäten einplanen. „Damit man keinen Stress hat“, erklärt der Experte. „Ohne Pufferzeiten funktioniert das nur, wenn ich jede Störquelle absolut ausschließen kann. Sonst hängt man immer hinterher.“ Die gewonnene Zeit kann man dann mit Schönem füllen.
Das Pareto-Prinzip: Arbeiten mit Prioritäten. „Der Clou dabei ist“, sagt Leimann, „80 Prozent der Arbeit kosten nur 20 Prozent der Zeit.“ Es sind die zusätzlichen Aufgaben, die alles perfekt machen sollen, die Zeitfresser sind. Denn das Pareto-Prinzip sagt auch, dass in der Regel 80 Prozent der aufgewendeten Zeit nur 20 Prozent der Ergebnisse bringen. Kurz gesagt: Es muss nicht immer alles perfekt sein, wohlfühlen reicht. „Als Eltern kann ich ganz oft Pareto sagen und spare mir unheimlich viel Zeit, die ich mir wieder für meine Kinder nehmen kann.“ Ein Beispiel: Es muss nicht immer das aufwendige Gericht mit Gemüse und Gesicht sein, schnelle Nudeln mit Tomatensauce machen auch glücklich