Duisburg. Nicht die Krise hat Frauen auf die traditionelle Rolle zurückgeworfen. Die wahren Gründe für die ungleiche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau:
Kinder, Küche, Kirche. Das sind die so genannten drei K, die die traditionelle Rolle der Frau beschreiben als große Kümmerin in der Familie. Viele Frauen dachten, die drei K seien Geschichte. Doch dann kam die Coronakrise und mit ihr eine andere Alliteration: Haushalt, Homeoffice, Homeschooling.
Insbesondere Frauen klagten über die starke Doppelbelastung von Arbeit und Erziehung, als Kitas und Schulen schlossen. Der erreichte Fortschritt bezüglich der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau werde um drei Jahrzehnte zurückgeworfen, prophezeite Jutta Allmendinger in der Talkshow „Anne Will“. Auch andere Soziologen sahen darin eine „Rolle rückwärts“: Frauen würden wieder die traditionelle Rolle ausfüllen. Aber ist das wirklich so? Hat die Krise die Frauen verstärkt zurückgebracht, heim an den Herd?
„Nein“, sagt Anja Steinbach. Die Professorin für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen hat zusammen mit ihrem Kollegen Karsten Hank von der Uni Köln nicht nur einen Blick auf die vergangenen Monate geworfen, in denen die Coronakrise den Alltag vieler Familien durcheinandergewirbelt hat. Das Forscher-Team konnte auch den jeweiligen Anteil der häuslichen Aufgaben der Frauen und Männer mit dem vor der Coronakrise vergleichen. Dafür haben sie sich die Daten von rund 3000 Befragten im Alter von 19 bis 49 Jahren angeschaut. Und die Wissenschaftler stellten fest: Nicht Corona hat zu einer Verschärfung des Ungleichgewichts zwischen Mann und Frau geführt. „Die Frauen haben schon vorher den überwiegenden Anteil von Hausarbeit und Kinderbetreuung geleistet“, sagt Steinbach.
Und zwar bei 60 Prozent der befragten Paaren waren Frauen allein oder hauptsächlich für Aufgaben wie Nachwuchs-Betreuung, Kochen, Wäsche waschen und putzen verantwortlich. „Eine in diesem Sinne ‚traditionelle‘ Arbeitsteilung ist also kein neues, Corona-bedingtes typisches Phänomen in Deutschland“, so Professor Hank. „Die Traditionalisierung in Deutschland in Bezug auf häusliche Arbeitsteilung ist eh extrem hoch im Vergleich zu anderen Ländern“, ergänzt Steinbach und denkt dabei an Skandinavien, Belgien, Frankreich, wo die Aufgaben gerechter verteilt seien.
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Warum gibt es in Deutschland nach wie vor dieses Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern? In der Soziologie geht man von zwei Erklärungsansätzen aus, so Steinbach: Jungen und Mädchen erlernen in der Kindheit, wie sie sich zu verhalten haben, durch Bücher, durch die Medien, aber auch durch die Eltern, die ihnen die Geschlechterrollen vorleben. Als Vorbild vermitteln sie auch heute nicht nur gleichberechtigte Partnerschaften, sondern traditionelle Rollen, bei denen der Mann vornehmlich der Versorger und die Frau in erster Linie für Haushalt und Kindererziehung verantwortlich ist.
Mädchen, die gleichberechtigte Rollen verinnerlicht haben, streben höhere Positionen an
Der zweite Erklärungsansatz zielt auf ökonomische Ressourcen ab, also auf das Einkommen, auf Bildung, Positionen, über die meist Männer mehr verfügen als Frauen. „Man geht davon aus, dass sich die Person in der Partnerschaft mit mehr Ressourcen durchsetzen kann, wenn die Arbeit verhandelt wird, die niemand gerne tut und die nicht entlohnt ist“, so die 47-Jährige. Beide Ansätze hängen zusammen. So hat man in einer Studie festgestellt, dass Mädchen, die als Teenager gleichberechtigte Rollen verinnerlicht haben, schon früh bessere berufliche Positionen anstreben. Während Mädchen, die der traditionellen Rolle folgen, eher Berufe ergreifen, die schlechter bezahlt werden. Steinbach: „Das ist wie eine selbsterfüllende Prophezeiung.“
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Zudem unterstütze die Familienpolitik etwa durch das Ehegattensplitting die traditionelle Aufgabenverteilung. Auch ändern Kinder die Situation. „Der Traditionalisierungsschub kommt fast immer mit der Geburt des ersten Kindes“, so Steinbach. In Westdeutschland gebe es ein Misstrauen gegenüber außerhäuslicher Kinderbetreuung. „Diese Vorstellung ist sehr verbreitet, dass es schlecht für Kinder ist, besonders wenn sie klein sind, professionell betreut zu werden.“ Die Art der Betreuung, die Anzahl der Pädagogen und die Ausstattung einer Kita seien natürlich zu berücksichtigen, doch grundsätzlich sei eine Kita-Betreuung nicht schädlich. „Im Gegenteil, es ist sogar sehr gut für die Entwicklung von Kindern.“
Die Professorin wird oft von Studierenden gefragt, was so schlimm daran sei, wenn Frauen gerne ganz für die Familie da sind. Steinbach erklärt dann: „Es hat Konsequenzen, wenn Frauen nicht oder nur sehr wenig arbeiten.“ Es bestehe die Gefahr, in Armut abzurutschen. „Alleinerziehende sind die Gruppe mit dem höchsten Armutsrisiko in Deutschland – und das sind überwiegend Frauen.“ Es sei davon auszugehen, dass 30 bis 40 Prozent der Paare sich trennen. „Es hat extreme Auswirkungen, wie danach das Leben gestaltet werden kann, wenn man sich abhängig gemacht hat von dem Einkommen des Mannes.“
Paare reagieren flexibel auf die Krise
In der Coronakrise hat sich nicht nur die Kinderbetreuung verändert, weil Kitas und Schulen schließen mussten. Auch die Erwerbsarbeit gestaltete sich anders. So gab es Väter, die sich aufgrund von Homeoffice oder Kurzarbeit mehr zu Hause beteiligt haben, wie das Forscherteam Anja Steinbach und Karsten Hank herausfand. Meist reichte die Beteiligung jedoch nur bis zu einer gleichgewichtigen Aufteilung zwischen Mann und Frau. „Jeder macht die Hälfte“, so Steinbach.
Die Soziologin geht davon aus, dass sich Frauen unabhängig von ihrer zeitlichen Belastung durch den Beruf für Haushalt und Kinder engagieren, während Männer ihren Familienbeitrag flexibel anpassen, wenn sich ihre Arbeitszeit verändert. „Ihr Beitrag erscheint also in der Partnerschaft stärker verhandelbar zu sein, als jener der Frau.“
Manche Väter, die coronabedingt zu Hause waren, haben sich auch hauptsächlich um die Familienaufgaben gekümmert. Es fand dann ein „Rollentausch“ statt. Hank: „Der Anteil der Paare, welche die traditionelle Rollenverteilung aufgegeben haben und in denen der Mann die Hauptverantwortung für Haushalt und Kinder trägt, ist dabei zwar relativ sehr stark gestiegen, bleibt mit 5 bis 7 Prozent absolut jedoch auf einem immer noch sehr niedrigen Niveau.“
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Wie passen diese Ergebnisse zu den persönlichen Berichten, nach denen Frauen ihre Jobs in der Krise gezwungenermaßen oder auch freiwillig aufgegeben haben, um ihre Kinder zu betreuen? Die Studie widerspricht da nicht, es gab durchaus auch Paare, bei denen die Frauen in der Krise wesentlich mehr Aufgaben übernommen haben. Aber dies sei nicht grundsätzlich der Fall gewesen, betont Steinbach. Bei jedem fünften Paar haben Frauen mehr im Haushalt geleistet als vor der Krise. Aber bei einem ungefähr gleich großen Anteil an Paaren haben die Frauen weniger Arbeiten zu Hause übernommen als zuvor. Die Paare haben sich der Situation also flexibel angepasst.
Eine Prognose abzugeben, wie es um die häusliche Arbeitsaufteilung zwischen den Geschlechtern nach Corona aussieht, sei nicht leicht, doch Anja Steinbach vermutet, „dass es genauso wird wie vor der Coronakrise.“ Es sei denn, es werden zum Beispiel neue Arbeitsmodelle etabliert, die eine flexible Anpassung ermöglichen, wie etwa Homeoffice. „Dann könnten sich auch die Männer stärker beteiligen.“