Castrop-Rauxel. Reisezeit: Eine Familie aus Castrop-Rauxel liebt es, zusammen zu verreisen. Wie der Mehrgenerationen-Urlaub gelingt, erklärt eine Therapeutin.

Eins . . . und zwei, da vorne ist der dritte Wegweiser. Wenn man als Sechsjähriger mit der ganzen Familie Schritt halten muss, kann so eine Wanderung ganz schön lang werden. Zum Glück ist Oma dabei, die sich Spiele ausdenkt: „Komm, wir zählen die Wegweiser“, hat sie ihren Enkel in Südtirol angespornt. „Weißt du noch, wie viele es waren?“, fragt die 65-Jährige ihn nun im Wohnzimmer in Castrop-Rauxel. „80!“, ruft Jona sofort. Als ob es gestern gewesen wäre und nicht im vergangenen Herbst.

Aber solch eine Reise vergisst man schließlich nicht: Nicht nur mit Mama und Papa und der großen Schwester, sondern auch mit Oma und Opa ging es für den jungen Jona in die Ferien. Viele Familien entscheiden sich heute für den Mehrgenerationen-Urlaub. Weil sie dann endlich mal wieder mehr Zeit für­einander haben, betont Anke Meissner, Familientherapeutin aus Düsseldorf (siehe Interview).

„Morgens um vier ist Abfahrtszeit!“ Das ist Opa Klaus Krüger (63) wichtig. Dann kommen sie mit den beiden Wagen gut zum Ziel – ohne Stau. Der Schwiegersohn Helge Damaschke hat sich da angepasst. Nicht ganz: Etwas hat der 43-Jährige seinen Schwiegervater hochgehandelt. Früher ging es noch früher los.

Erst frühstücken, dann wandern

Viele Eltern mit jungen Kindern genießen es, im Urlaub endlich mal wieder auszuschlafen, während die Großeltern auf die Kleinen aufpassen. Für Oma Christel, die alle nur Kiki nennen, sei es das Schönste überhaupt, die Enkelkinder mitzuerleben: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich nur zum Aufpassen dabei bin.“ Bei dieser Familie stehen alle zusammen auf. Um 8 Uhr oder 8.30 Uhr – so genau nimmt man es auch wiederum nicht – sitzen sie am Frühstückstisch in dem Hotel bei Bozen, in dem sie seit vielen Jahren Urlaub machen. Gemeinsam planen sie die Wanderroute des Tages.

Urlaub in Sicht! Die Familie Damaschke und Krüger freut sich auf die nächste gemeinsame Wandertour.
Urlaub in Sicht! Die Familie Damaschke und Krüger freut sich auf die nächste gemeinsame Wandertour. © Lars Heidrich

Aber sie machen nicht alles zusammen. Wenn sie nach ihrer Tour zurück sind, wollen die Kinder vielleicht ins Schwimmbad. Opa Klaus schwingt sich aufs Rennrad. Die anderen trinken Kaffee. Und später spielen sie zu dritt Mau-Mau. „Da ist keiner, der sagt: ,Oh, jetzt wollen sie uns nicht dabei haben’“, erklärt Oma Kiki, warum es so gut funktioniert. „Eine gewisse Toleranz muss schon da sein.“ Und wenn einem etwas nicht passt, betont Helge, werde das offen angesprochen.

Und wer zahlt? Am Ende des Urlaubs gebe es einen „sportlichen Wettbewerb“, wer als Erster die Rechnung für alle Getränke begleicht. Letztes Mal haben Antje Damaschke (42) und ihr Mann Helge aber darauf bestanden, dass sie die Großeltern einladen. Für die Berufstätigen ist es ein Segen, dass der Opa den Jona jeden Tag von der Kita abgeholt hat. Und was würden sie nur ohne Oma Kiki machen? Mit dem Urlaub haben sie Danke gesagt.

Gibt es eigentlich nie Krach?

So viel Harmonie – das mag man kaum glauben. Gibt es eigentlich nie Krach? „Mama meint, ich packe zu viel ein“, sagt Antje Damaschke. Aber es sei besser geworden, seitdem die Kinder größer sind. Da muss sich auch Antje nicht mehr fragen: „Haben wir genug Pampers dabei?“ Ihr Mann Helge freut sich, dass er nicht mehr so viele Taschen verstauen muss – für eine Woche. „Die Koffer sind besser.“ Und wenn sie dann ankommen, sei einfach alles gut. „Andere streiten sich im Urlaub, wir nur vorher“, sagt Antje Damaschke lachend.

Für die Familie ist der gemeinsame Urlaub das Normalste der Welt. Wenn man sie nach dem Unterschied zu anderen Ferien fragt, weiß erstmal keiner etwas zu sagen. Seit Hanna drei ist, fahren sie immer wieder zusammen weg. Die 13-Jährige bekennt schließlich, dass sie den Urlaub mit Oma und Opa lieber mag. Zwar würden die Großeltern auch über Themen reden, von denen sie nicht so viel versteht – „Berge oder so.“ Aber dafür kann man auch mal eine kürzere Tour wandern. „Es ist chilliger.“

Nie wieder auf die Malediven

Bald geht es erstmals mit der „Damaschkeseite“ in den Urlaub. Auch dabei haben alle ein gutes Gefühl. Je mehr, desto besser. Helge Damaschke – Ehemann, Vater und Schwiegersohn – fällt dann doch noch ein Urlaubs-Unterschied ein: „Nachdem wir geheiratet haben, waren Antje und ich auf den Malediven. In 45 Minuten war man einmal um die Insel – nie wieder!“ Da fährt er lieber mit der ganzen Familie in die Berge!

>> INTERVIEW MIT FAMILIENTHERAPEUTIN ÜBER DIE KLEINEN FERIEN-FALLEN

Ich packe meinen Koffer – und nehme die ganze Familie mit. Das ist eine große Chance für alle: von der Oma bis zum Enkel. Trotzdem können gemeinsame Ferien verzwickt sein. Wie Familien Fallen meiden, erklärt Anke Meissner aus Düsseldorf. Die Therapeutin (49) berät Einzelne, Paare und Familien.

Warum entscheiden sich Familien für den Mehrgenerationen-Urlaub?

Anke Meissner: Ich höre das mittlerweile von sehr, sehr vielen Familien, dass sie zusammen verreisen. Sie sagen: „Wir haben so wenig Zeit füreinander.“ Es ist ja nicht mehr so wie früher, dass die ganze Familie nur an einem Ort lebt. Oft sind die Menschen weit verstreut. Im gemeinsamen Urlaub haben sie dann endlich wieder Zeit füreinander.

Was kann das Gutes bewirken?

Familientherapeutin Anke Meissner.
Familientherapeutin Anke Meissner. © HO

Ich glaube, dass die gemeinsame Zeit die Bindungen stärkt, das Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir kennen das von Kindern, dass Bindungen entstehen, wenn man mit ihnen Zeit verbringt, mit ihnen spielt. Aber auch wenn ich erwachsen bin, habe ich eine Bindung zu meinen Eltern, zu den Geschwistern, die ich mit gemeinsamer Ferienzeit aufrechterhalten kann.

Für Eltern von jungen Kindern ist es ja auch ganz praktisch, wenn die Großeltern mitkommen . . .

Es ist ausgesprochen praktisch, wobei man nicht den Fehler machen darf, das selbstverständlich vorauszusetzen: „Oma und Opa kommen mit und wir brauchen keinen Babysitter mehr.“ Es ist für alle Beteiligten ein Gewinn, solange es freiwillig ist.

Großeltern werden im Urlaub wieder zu Eltern und sagen Erwachsenen: „Bist du warm genug angezogen?“

Wenn wir solche Sätze sagen, geht es oft nicht darum, dass man wirklich einen Schal anzieht. Ich muss den Satz übersetzen: Du bist mir lieb und wertvoll, ich sorge mich um dich.

Und wenn sich Großeltern in die Erziehung einmischen?

Das ist ein Knackpunkt, wenn Großeltern ihre Meinung äußern, wie die Enkelkinder erzogen werden sollen. Da ist ein Aufeinanderzugehen wichtig. Man kann sich anhören, was die Großeltern sagen, sie haben ja Erfahrung, vielleicht kann man davon profitieren. Umgekehrt sollten Großeltern den Kindern vertrauen, dass auch sie gute Eltern sind.

Geld liefert ja oft einen Grund zum Streit. Wer zahlt am besten?

Wenn es Großeltern können, möchten sie die Kinder oft auch finanziell unterstützen. Das heißt aber nicht, dass sie sich den Urlaub damit kaufen. Die erwachsenen Kinder sollten nicht denken: „Wir kriegen den Urlaub nur, wenn wir Oma mitnehmen.“ Besser ist, wenn alle etwas zum Urlaub beitragen, mehr oder weniger ausgewogen. Wenn die Großeltern dann alle zum Essen einladen, darf das aber auch sein.

Der eine möchte ausschlafen, der andere früh wandern – wie bleibt es da harmonisch?

Es ist wichtig, vorher miteinander zu sprechen, um möglichst viele dieser Bedürfnisse zu erfüllen. Damit sich keiner übergangen fühlt. Und jeder sollte sich zurückziehen können. Wenn die Großeltern auf dem Ausziehsofa im Wohnbereich schlafen, ist das für sie nicht erholsam.

Ein paar Fallen gibt es also. . .

Aber es ist eine große Chance! Manche nehmen sogar ihre ganze „Sippe“ mit, die Geschwister und deren Familien, und erfahren dadurch viel Nähe und Stärkung. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen vereinzeln, gibt uns die Familie Sicherheit.