Berlin. BKA und Hilfsangebote verzeichnen für 2020 eine Anstieg von Gewalttaten in Partnerschaften. Hat das mit der Corona-Pandemie zu tun?
Wenn Tanja Göldner erklären will, was die Corona-Krise für Opfer von häuslicher Gewalt bedeutet, dann erzählt sie von einer Frau, die gerade bei ihr im Frauenhaus Schutz sucht.
Jahrelang sei für die Mutter von zwei Kindern Gewalt Teil des Alltags gewesen, sie sei geschlagen worden, gewürgt, mit Mord bedroht worden. Die Frau habe lange geschwiegen, weil sie das Gefühl gehabt habe, die Fassade aufrechterhalten zu müssen. Das Bild einer heilen Welt. Für die Kinder, für die Außenwelt. „Die Familie war gut situiert, das, was man so Mitte der Gesellschaft nennt“, sagt Göldner, die das ökumenische Frauenhaus in Pforzheim in Baden-Württemberg leitet.
Doch mit dem März 2020 sei das eigene Haus für die Mutter zur „Hölle auf Erden“ geworden. Körperliche Gewalt, aber auch psychische Erniedrigungen. „Du bist sowieso nichts wert, wenn dich überhaupt jemand will, dann ein Penner auf der Straße, wie du schon aussiehst.“ Sätze wie Fausthiebe. Und noch Schlimmeres sei da gefallen, sagt Göldner. Einen Ausweg findet die Frau erst, als nachdem letzten Lockdown die Schulen wieder öffnen und der 11-jährige Sohn Hilfe suchen kann.
Häusliche Gewalt: Corona-Krise steigert Situation ins unerträgliche
Wie für diese Frau und ihre beiden Kinder hat die Corona-Krise für viele Betroffene von häuslicher Gewalt eine schlimme Situation oft ins unerträgliche gesteigert – und die Wege zur benötigten Hilfe lange abgeschnitten. Täter, so berichten es Expertinnen, wollen ihre Opfer isolieren, die Familie nach außen abschotten. Der Corona-Lockdown, sagt Claudia Cohn vom Verein Bora in Berlin, habe den Tätern dabei geholfen, die Opfer zu isolieren.
Unsere Redaktion hat mit Fachleuten gesprochen, mit Leiterinnen von Frauenhäusern. Sie alle berichten: Die Pandemie hat die Lage von Frauen verschärft. Die Gewalt hat zugenommen. Die Risiken von Gewalt in Partnerschaften sind stark angewachsen. Viele Frauenhäuser geraten an die Grenze dessen, was sie leisten können. Andere erreichen betroffene Familien seltener.
2020, berichtet Göldner, sei das Frauenhaus sogar unterbelegt gewesen. Einige Frauen wollten aus Angst vor dem Virus nicht in eine Gemeinschaftsunterkunft. Andere konnten nicht: „Die Männer haben ihre Arbeit verloren oder waren im Homeoffice, und die Frauen waren noch mehr unter Kontrolle und eingesperrt“, sagt Göldner. „Die, die es zu uns geschafft haben, standen unter großer psychischer Belastung und haben berichtet von noch schlimmerer Gewalt als vorher.“
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Zahl der bekannten Fälle steigt
146.655 Fälle von Partnerschaftsgewalt verzeichnet das Bundeskriminalamt in seinem Bericht zum Thema für das Jahr 2020, der am Dienstag vorgestellt wurde. Das ist ein Anstieg von 4,9 Prozent im Vergleich zu 2019, und die vierte Steigerung in vier Jahren. Die Zahl der Opfer steige, der Trend der letzten Jahre setze sich damit fort, sagte BKA-Präsident Holger Münch.
Unter dem Oberbegriff „Partnerschaftsgewalt“ wird eine Reihe von Straftaten zusammengefasst, unter anderem Stalking, sexuelle Nötigung und Körperverletzung, bis hin zu Totschlag und Mord. Die Fachleute der Frauenrechtsorganisation sprechen von „Femizid“ – einem gezielten Angriff gegen eine Frau aus niederen Motiven durch den Mann.
Denn vor allem Frauen sind es, die von Gewalt in Partnerschaften betroffen sind. Ihr Anteil unter den Opfern liegt bei 80,5 Prozent. Die Tatverdächtigen in 79,1 Prozent der Fälle waren Männer. Der Anteil der weiblichen Verdächtigen ist in den vergangenen Jahren jedoch leicht gestiegen, auf jetzt 20,9 Prozent. Den größten Anteil der Taten machten mit 61,6 Prozent Fälle von einfacher vorsätzlicher Körperverletzung aus.
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Hinter den Zahlen verberge sich ein „sehr erhebliches Dunkelfeld“
Im April und Mai des vergangenen Jahres, zum Zeitpunkt des ersten Lockdowns, seien die Zahlen demnach zwar gestiegen. Für die Monate November und Dezember, als erneute harte Beschränkungen griffen, seien sie aber gesunken. Hinter den Zahlen verberge sich ein „sehr erhebliches Dunkelfeld“, sagt BKA-Chef Münch bei der Vorstellung des Berichts am Dienstag. Denn von den Behörden ausgewertet werden kann nur, was tatsächlich zur Anzeige gebracht wird. Und gerade gegenüber Partnern oder Ex-Partnern seien die Hürden, Anzeige zu erstatten, hoch.
Viele betroffene Frauen, die sich bei Hilfetelefonen melden, aber wenige Anzeigen – für die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes ist das auch ein Indiz dafür, dass Polizei und Justiz nicht sensibel genug mit Opfern umgehen. „Noch immer berichten uns viele von Gewalt betroffene Frauen, dass sie sich bei der Polizei nicht verstanden und auch nicht sicher fühlen“, sagt Lina Stotz, Referentin für häusliche und sexualisierte Gewalt bei der Organisation, unserer Redaktion. „Es gibt Fälle, in denen Beamte und Richter die Tat verharmlost haben, in denen der Täter entschuldigt wurde. Das darf es nicht mehr geben in deutschen Dienststellen und Gerichtssälen. Hierzu braucht es mehr Sensibilität bei Polizei und Justiz für das Thema Gewalt gegen Frauen“, so Stotz.
Die geschäftsführende Frauenministerin Christine Lambrecht (SPD) wirbt dafür, mehr über das Thema zu sprechen und so „das Tabu zu brechen“. Gewalt in der Familie „muss sich niemand bieten lassen“, sagt Lambrecht. Auch sie fordert mehr Sensibilität auch darin, wie über diese Fälle gesprochen wird. Wenn ein Partner oder Ex-Partner Frau und Kinder töte, dann sein das keine „Familientragödie“, sagt die Ministerin, sondern „nichts anderes als ein Gewaltdelikt.“
Verschiedene Faktoren verstärken Gewalt in Familien
Jobverlust, Stress durch Kinderbetreuung im Homeoffice, die Angst vor einer Erkrankung – nach Einschätzung von Fachleuten sind es diese Faktoren, die das Risiko von Gewalt in Familien durch die Pandemie verstärkt haben. Vor allem in Beziehungen, in denen es bereits eine Neigung zur Gewalt gegeben habe, könne die angespannte Situation während Corona zu weiteren Eskalationen führen.
Das sieht auch Petra Söchting so, Leiterin des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen. Auch dort verzeichnet man deutlich höheres Zahlen: „Seit Ende März letzten Jahres bewegen sich die Anfragen durchgängig auf einem erhöhten Niveau“, sagt Söchting. In 51.400 Fällen habe man 2020 beraten – ein Anstieg von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Beratungen speziell zu Gewalt in Partnerschaften hätten sogar um 20 Prozent zugenommen. „Seit dem ersten Lockdown erreicht uns alle 20 Minuten beim Hilfetelefon eine Anfrage zu häuslicher Gewalt“, erklärt Söchting.
Durch Corona: Schwieriger an Hilfe zu kommen
Eindeutig auf die Lockdownphasen zurückführen lasse sich das aber nicht: „Unsere Beratungszahlen hängen auch davon ab, wie präsent Hinweise auf unser Angebot in der Öffentlichkeit sind“, so Söchting. Und seit Beginn der Pandemie, als die Sorge groß war, dass der Lockdown zu mehr häuslicher Gewalt führen könnte, sei verstärkt auf das Telefon hingewiesen worden.
In jedem Fall aber hätten die Situation durch die Corona-Krise es für betroffene Frauen schwieriger gemacht, Hilfe zu bekommen: „Die nächsten Schritte aus der Gewalt sind schwieriger geworden“, sagt Söchting.
Nach Einschätzung von Fachleuten bei Terre des Femmes und der Diakonie muss aber auch die Politik nachlegen. Jedes Opfer von Gewalt zuhause müsse ein Recht auf einen Platz etwa in einem Frauenhaus haben. Bisher aber gibt es diesen Rechtsanspruch nicht, noch immer müssen Gewaltopfer in einzelnen Fällen abgewiesen werden. Manche landen auf der Straße. Laut Terre des Femmes fehlen in Deutschland mehr als 14.000 Plätze in Frauenhäusern für betroffene Personen. Andere Fachleute teilen die Einschätzung.
„Entscheidend ist, dass der Staat die Kosten für diesen Platz zahlt, denn Gewalt gegen Frauen ist ein gesellschaftliches und kein individuelles Problem“, sagt Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik bei der Diakonie Deutschland, unserer Redaktion. „Es kann nicht sein, dass die betroffenen Frauen unter Umständen selbst für die Kosten in einem Frauenhaus aufkommen müssen.“ Problematisch sei auch, dass möglicherweise der gewalttätige Mann zahlen müsse, wenn die Frau selbst kein Einkommen habe. „Das schafft weiteres Konfliktpotenzial in einem gewalttätigen Verhältnis zwischen Mann und Frau. Das muss der Staat verhindern.“ Bund, Länder und Kommunen sind nach Ansicht der Diakonie gefordert, die Finanzierung der Frauenhäuser sicherzustellen.
Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP steht unter Druck
Die kommenden Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP steht unter Druck. „Wir Grünen sind sehr klar, dass es einen verbesserten Schutz für Frauen vor häuslicher Gewalt und Partnerschaftsgewalt nur mit engagiertem Einsatz, konkreten politischen Maßnahmen und der vorbehaltlosen Umsetzung der Istanbul-Konvention geben kann,“ sagt Ulle Schauws von den Grünen. Sie fordert mehr Geld für Frauenhäuser und eine bessere Verfolgung der Täter durch Polizei und Justiz. Ob die Grünen konkrete Beschlüsse schon in einem Koalitionsvertrag durchsetzen können, dazu sagt Schauws nichts. Nur: „Ich bin zuversichtlich, dass wir beim Gewaltschutz einen großen Schritt nach vorne kommen werden. Das war allen drei Parteien ein Anliegen.“
Für Frauenhaus-Leiterin Göldner steht fest: Geschlossene Schulen und von ihrem Umfeld abgeschnittene Frauen darf es nicht mehr geben. „Der Kontakt zur Außenwelt muss für Frauen und Kinder bestehen bleiben“, sagt sie.
Der Mutter und den beiden Kindern geht es inzwischen besser. „Da gibt es Perspektiven“, sagt Göldner. Die Frau, Sohn und Tochter, seien in Sicherheit. Die Kinder könnten jetzt endlich offen über die schlimmen Erfahrungen in der Familie sprechen. Die Mutter hofft, dass sie bald wieder arbeiten könne. Ihr Leben auf eigene Füße stellen, ein Neuanfang. Ohne den Mann, der sie geschlagen hat.