Bochum. Psychologin der Ruhr-Uni Bochum entwickelt Training für gute Gefühle. Sie heben nicht nur die Stimmung. Sie lassen uns Lösungen erkennen.
Schlecht geschlafen? Grummelig steht man auf. Doch die Sonne lacht – und selbst lächelt man auch. Aus dem Frühstück wird zwar nichts: Grüner Schimmel ziert das Brot. Igitt! Aber der Kaffee tut gut. Auf dem Weg zur Arbeit: Stau. Muss das sein? Im Radio spielen sie ein Lied, das an die Jugend erinnert. Und schon summt man mit. Selbst der alltäglichste Alltag beschert uns ein Wechselbad der Gefühle. Das ist ganz normal. Viele Menschen denken jedoch, dass sie ihre Emotionen nicht beeinflussen können, so Christina Totzeck, Psychologin an der Ruhr-Uni Bochum. Doch ob wir am Ende des Tages insgesamt mehr negative Gefühle oder mehr positive erlebt haben, ist nicht willkürlich.
„Die meisten Menschen erwarten, dass einem Glück einfach passiert. Das ist ein Irrglaube“, sagt die 38-Jährige, die CDU-Ratsfrau in ihrer Heimatstadt Gelsenkirchen ist. „Glück ist sehr wohl kontrollier- und beeinflussbar.“ Man kann Freude sogar erlernen. Totzeck hat mit einem Team aus sechs Studentinnen nun ein Trainingsprogramm erstellt, das sie mit interessierten Menschen ausprobieren möchte. „Poet“ heißt es – eine Abkürzung für „Positive Emotionen“ (siehe Info-Box).
Gute Seiten der negativen Gefühle
Dabei geht es nicht darum, die negativen Gefühle zu unterdrücken. Sie haben schließlich auch ihre guten Seiten. „Die Angst bereitet uns physiologisch darauf vor, in Gefahrensituationen schneller handeln zu können“, sagt Totzeck. Wenn zum Beispiel ein Auto knapp an einem vorbeirast, springen wir sofort zur Seite. Auch Ekel, etwa vor schimmligem Brot, lässt uns zurückweichen. Das schützt uns.
Wenn jedoch Menschen überwiegend tieftraurig oder von Ängsten stark geplagt sind, suchen sie sich im besten Fall professionelle Hilfe. Die Psychotherapie fokussiere sich dabei seit langem auf die negativen Gefühle, so Totzeck. Die Menschen gehen schließlich mit Angststörungen oder mit Depressionen zur Therapie. Dabei weiß man zum Beispiel aus der Positiven Psychologie, wie wichtig gute Emotionen sind. „Ich würde gerne die Brücke schlagen, das Ganze in die Psychotherapie zu holen“, so die Psychologische Psychotherapeutin Totzeck.
Positive Emotionen dämpfen Schmerzen
Wer zufrieden ist und lacht, fühlt sich nicht nur besser. Die positiven Emotionen sind auch gut für die Gesundheit. Nur ein Beispiel: Wenn wir uns freuen, ist unsere Toleranz gegenüber Schmerzen größer. Körpereigene Schmerzdämpfer – Opioide – werden ausgeschüttet, so Totzeck. „Neurowissenschaftliche Studien haben das mehrfach belegt und auch ein Gegenmittel – Naloxon –, das gegen das Opioid gespritzt wurde, konnte den Effekt der Freude und positiven Stimmung nicht zerstören.“
Aber neben der Wirkung für die Gesundheit gibt es noch weitere Gründe, warum es gut ist, positiv zu empfinden. Wir sind dann zum Beispiel aktiver – das sieht man schon an der Körperhaltung. Dinge, die wir in guter Stimmung lernen, können wir viel länger abrufen. Auch unser Blickwinkel wird weiter, nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes, so dass sich unser Sichtfeld leicht vergrößert, sondern auch mental betrachtet: Menschen, die gut gelaunt sind, finden eher Lösungen und kreative Auswege für Probleme, bei denen laterales Denken, also Um-die-Ecke-Denken gefragt ist. Während wir uns bei negativen Emotionen auf Einzelheiten fokussieren, sehen wir bei positiven Gefühlen eher das große Ganze. Und auch die Bereitschaft zu Vertrauen vergrößert sich. Totzeck: „Wir schauen stärker auf das, was uns mit anderen Menschen verbindet, als auf das, was uns trennt.“
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Der Idealzustand: ein Verhältnis von 3:1, dass man also dreimal mehr positive Gefühle am Tag empfindet als negative. Wie kann das gelingen? Totzeck nennt Beispiele aus dem Online-Training, die deutlich machen, dass nicht nur Lotto-Gewinne Glücksgefühle bescheren, sondern eben auch kleine Dinge. „Wir laden die Teilnehmenden dazu ein, Happy-Playlisten zu schreiben.“ Also Listen mit Songs, die ihnen gute Laune bereiten. Das trifft bei dem einen zu, wenn er „Shiny Happy People“ von R.E.M. hört, ein anderer grinst übers Gesicht, wenn Roy Black singt: „Schön ist es auf der Welt zu sein“. Dabei muss man nicht mal einen dieser Musiktitel angespielt haben. „Wenn man sich nur damit beschäftigt, bringt einen das schon in eine gute Stimmung.“
Das Glückstagebuch
Das gilt auch für ein Glückstagebuch, in das man jeden Tag schreibt: Was hat mich heute glücklich gemacht? Was habe ich gut gemacht? Wie fühle ich mich dabei? Anfangs ist es vielleicht gar nicht so einfach, seine Glücksmomente zu benennen, so Totzeck. „Je mehr man das trainiert, umso leichter fällt es einen und umso schneller kann man auf Situationen zugreifen und sie wahrnehmen, die Glücksmomente ausgelöst haben.“
Wie lange man so etwas trainieren muss, lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. „Grundsätzlich kann man sagen, dass es 66 Tage braucht, bis wir eine eingefahrene Angewohnheit langfristig verändert haben. Zum Beispiel mit dem Rauchen aufzuhören oder Sport in den Alltag zu integrieren“, sagt Totzeck. „Aber: Schon eine kurze Zehn-Minuten-Übung zur positiven Emotionssteigerung wirkt sich nachweislich positiv auf den ganzen Tag aus.“
Schnappschuss statt Selfie
Dabei denkt sie nicht nur an Glück. Im Training betrachten sie elf Bereiche der positiven Emotionen, darunter Achtsamkeit und Sinnhaftigkeit, Hoffnung und Humor: Warum nur perfekte Selfies knipsen? Ein peinlicher Schnappschuss lässt uns eher lachen, auch über uns selbst.
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Und wer vergibt, fühlt sich ebenfalls besser. Totzeck lädt dazu ein, einen Vergebungsbrief an eine Person zu schreiben, die einem mal sehr weh getan hat. Der Brief muss nie im Postkasten landen, allein das Verfassen der Zeilen bewirkt, dass man loslässt. „Das ist eine unheimlich befreiende Erfahrung.“
Doch kann und darf man fröhlich sein, wenn in der Ukraine Menschen brutalst getötet werden? „Natürlich schockt das, weil es eine ganz bedrohliche Situation ist“, sagt Totzeck. „Man hat nicht mehr das Urvertrauen: Wir leben in Frieden.“ Dass man das Leid der Menschen mitempfinde, sei durchaus positiv. Trotzdem sollte man sich weiterhin erlauben, gute Gefühle zu haben, sich nicht ständig die schrecklichen Bilder anschauen. Sie spricht da nicht nur als Expertin, sondern auch aus Erfahrung. Ihr Mann erkrankte an einem Hirntumor, an dem er im vergangenen Jahr starb. Totzeck hat sich weiter auf das Trainingsprogramm vorbereitet, sich auf Gedanken zu Optimismus und zu Dankbarkeit eingelassen: „Ich kann nicht für andere da sein, wenn es mir selbst schlecht geht.“
>> Das Training für gute Gefühle – kostenlose Teilnahme
Das Trainingsangebot der Psychologin Christina Totzeck und ihres Teams aus sechs Studentinnen ist kostenlos. Die Teilnehmenden von „Poet“ sollten volljährig sein und die technischen Voraussetzungen mitbringen, an einer Zoom-Videokonferenz teilzunehmen. Bis Sonntagabend, 10. April2022, kann man sich per Mail anmelden, und zwar unter: studie-poet-klipsy@rub.de
Es wird drei Gruppen geben mit Terminvorschlägen im April. In zwei Online-Sitzungen je drei Stunden lernen die Teilnehmenden Übungen für mehr gute Gefühle. Dazwischen haben sie eine Woche Zeit, diese zu trainieren. Am Ende sollen sie einen Baukasten mit Methoden haben, aus dem sie sich bedienen können.
Da die Erfahrungen in eine Studie am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie einfließen sollen, werden die Teilnehmenden gebeten, Fragebögen auszufüllen. Die Studentinnen werden ihre Masterarbeiten zu diesem Projekt schreiben.