Düsseldorf. Wo einst Nonnen lebten, suchen jetzt Männer Zuflucht vor prügelnden Partnerinnen und Partnern. Große Nachfrage nach Schutzwohnungen.
Sie werden mit der Hand und mit Gegenständen geschlagen, mit Worten erniedrigt, ausspioniert, finanziell ausgebeutet oder vergewaltigt, und manchmal kommt das alles zusammen – Die Gründe, warum Männer Zuflucht in einer Schutzwohnung suchen, gleichen jenen, die Frauen veranlassen, sich in ein Frauenhaus zu retten. Häusliche Gewalt trifft sehr viel mehr Frauen als Männer. Aber sie trifft sie offenbar ähnlich hart, erklären Experten des Sozialdienstes katholischer Männer (SKM).
Die Fassade jenes Hauses im Großraum Aachen, in das schon bald die ersten Gewaltopfer einziehen werden, ist unscheinbar. Aber wer dahinter schaut, erlebt ein Gebäude, das prädestiniert zu sein scheint für diesen Zweck. „Es gibt keine genialere Gewaltschutzwohnung als diese“, schwärmt Stephan Buttgereit, Generalsekretär des Sozialdienstes katholischer Männer, beim Besuch von NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) am Montag.
Dicke Mauern, großer Garten und barrierefrei
Dicke, Jahrhunderte alte Mauern unterstreichen den Charakter des früheren Nonnenklosters als Zufluchtsort. Steile, historische Holztreppen, die ohne eine feste Hand am Geländer kaum zu begehen sind, führen in frisch renovierte Zimmer mit Bett, Schrank, Tischchen und eigenem Bad. Für Kinder ist Platz, für Haustiere auch. Wer ein Handicap hat, fährt mit dem Außenaufzug barrierefrei in alle Etagen. Ganz oben ist die kleine Kapelle der Nonnen noch so, wie sie einst war. Entweiht zwar, aber mit dem Charme eines Meditationsraumes für religiöse und nicht religiöse Bewohner. Draußen lädt ein Klostergarten zum Verweilen ein. Es ist ein Ort wie aus einer anderen, schöneren Welt.
Wer hier einzieht, der hat es gut, möchte man spontan denken, aber das ist natürlich nicht so. Zum einen ist es nur ein Fluchtort auf Zeit, den ein Mann in der Regeln nach drei Monaten wieder verlässt. Zum anderen lässt sich die Angst vor Frau, Partner, Vater oder Geschwistern nicht vor der Haustür ablegen. Manfred Höges, Männer-Berater des SKM aus Düsseldorf, erzählt, wie Täterinnen und Täter immer wieder versuchen, an ihre Opfer heranzukommen: „Hundert SMS-Nachrichten am Tag, Botschaften wie ,Die Kinder vermissen Dich‘, Stalking, Nachstellungen“ seien häufig. Daher soll die Adresse dieses Hauses geheim bleiben.
73 Männer fragten nach Schutz, 14 wurden aufgenommen
Die Liste der Männer, die sich in Schutzräume retten möchten, ist lang, das Angebot noch immer knapp, obwohl Nordrhein-Westfalen die Zahl der Gewaltschutzplätze von acht auf 16 verdoppelt und damit den anderen Bundesländern als Vorbild dient. „Bis zum 23. Dezember hatten wir 73 Anfragen. Aber wir konnten im Jahr 2021 nur 14 Männer mit sechs Kindern aufnehmen. Den Rest mussten wir vermitteln oder ziehen lassen, und das ist für uns eine frustrierende Situation gewesen“, sagt Manfred Höges über die Nachfrage allein in Düsseldorf.
Zum Jahresbeginn 2022 wird es je vier Schutzplätze in Köln, Düsseldorf, sowie in den Großräumen Aachen und Münster geben. Zum Vergleich: Die Zahl der Akutschutzplätze für Frauen wurde in NRW in den vergangenen Jahren von 571 auf 630 ausgebaut, erklärt die Ministerin. Die Dimension der häuslichen Gewalt ist aber so dramatisch, dass die Zahl der Schutzplätze für Frauen und für Männer wohl deutlich größer sein müsste.
70 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt sind laut Kriminalstatistik Frauen
Laut Polizeilicher Kriminalstatistik wurden im Jahr 2020 in NRW 32.705 Menschen Opfer häuslicher Gewalt gezählt: 7,9 Prozent mehr als im Jahr davor. Darunter waren 22.905 Frauen und Mädchen (70 Prozent) und 9800 Männer und Jungen. Aber diese Zahlen lassen sozusagen nur einen Blick auf die Spitze des Eisberges zu. „Die Dunkelziffer ist riesig“, weiß Ministerin Scharrenbach. Aus Angst, aus Scham oder aus zig anderen Gründen gelangen die meisten Taten nie zu Anzeige. Für die, die sich in eine Schutzwohnung flüchten, sei es meist schon „drei Minuten nach zwölf“, erzählen die SKM-Experten.
Männer seien oftmals gleich zweimal Opfer, so Höges: Einmal Opfer der Gewalttaten und außerdem Opfer von Männlichkeits-Normen. Viele Männer, die geschlagen oder psychisch gequält werden, befürchten, als „entmännlicht“ dazustehen, wenn sie darüber offen reden. „Wir wollen Gewalt gegen Männer enttabuisieren“, betont Ina Scharrenbach. Damit die Hemmschwelle weiter sinkt, eine Beratungsstelle aufzusuchen, das Männerhilfetelefon (0800 123 99 00) und das Opferschutzportal zu nutzen: www.opferschutzportal.nrw
Der Landtag hat außerdem beschlossen, in NRW eine gemeinnützige Stiftung Opferschutz einzurichten.
Nur wenige Bundesländer bieten Männerschutzplätze an
Neben den vier Männerschutzeinrichtungen in NRW mit 16 Plätzen gibt es drei landesgeförderte Schutzwohnungen in Sachsen (Plauen, Dresden, Leipzig), zwei in Bayern (Augsburg, Nürnberg) und eine in Stuttgart. Schutzplätze in privater Trägerschaft werden zum Beispiel in Oldenburg und Pasing angeboten.
Von den 14 Männern, die 2021 in der Schutzeinrichtung in Düsseldorf aufgenommen wurden, waren zwölf Opfer von Partnerschaftsgewalt. Neun dieser Männer erfuhren häusliche Gewalt durch ihre Partnerinnen.
NRW fördert die Schutzangebote für Männer im Haushaltsjahr 2022 mit einer Million Euro. In den Schutz von Frauen vor Gewalt fließen 35 Millionen Euro.