Düsseldorf. Jens Jüttner arbeitete erkrankte an einer paranoiden Schizophrenie. Heute redet er über die Tabu-Erkrankung - und begleitet betroffene Menschen.
Es begann fast unmerklich, irgendwann am Ende seines Rechtsreferendariats, er war gerade Ende 20, da geriet die Wahrnehmung von Jens Jüttner (45) leicht aus den Fugen. Es muss nach einer der seltenen abendlichen Doppelkopfrunden mit Schulfreunden in seiner Heimatstadt Ratingen gewesen sein, ein Joint war auch gekreist. Aber über den Rausch hinaus hatte sich etwas verändert: „Während ich meinen Routinen an der Uni nachging, hatte ich das Gefühl, dass sich etwas an meiner Beziehung zur Umwelt veränderte.“ Was er damals noch nicht wusste: Es waren die ersten, frühen Symptome einer paranoiden Schizophrenie, die sich hier zeigten. Eine Erkrankung, die in den folgenden elf Jahren sein Leben beherrschen sollte – und nun längst im Griff ist. Heute arbeitet Jens Jüttner als Genesungsbegleiter in verschiedenen Sozialpsychiatrischen Kliniken, lehrt kreatives Schreiben, er hat zu seiner Erkrankung das Sachbuch „Als ich aus der Zeit fiel“ geschrieben – und liest und referiert auch dazu. Wir sprachen mit ihm über das oft tabuisierte Krankheitsbild der paranoiden Schizophrenie, unter dem eine halbe Million Deutsche leiden.
Herr Jüttner, viele Menschen haben eine etwas nebelhafte Vorstellung vom Begriff Schizophrenie, was versteht man konkret unter dieser Krankheit?
Jüttner Schizophrenie ist recht facettenreich und die paranoide Schizophrenie ist die häufigste Form. Man geht heute davon aus, dass es eine Stoffwechselerkrankung im Gehirn ist. Dass da mit dem Dopamin als Neurotransmitter etwas schiefläuft. Im Prinzip treten bei der Erkrankung Schizophrenie als Symptom Psychosen auf. Solche Psychosen kann im Prinzip jeder Mensch kriegen, etwa durch extremen Wassermangel oder Schlafentzug. Die Schizophrenie bewirkt, dass man schneller in so einen Zustand hineinrutscht. Die paranoide Schizophrenie zeichnet sich durch ein wahnhaftes Denken aus.
Wie habe ich mir das vorzustellen?
Man entwickelt einen Verfolgungswahn. Man denkt, man würde abgehört, vom Geheimdienst, von den Templern, die Inhalte sind relativ beliebig austauschbar. Die Struktur dahinter ist aber immer: Oh Gott, alle wollen irgendetwas von mir, alle reden über mich, es gibt ein Riesen-Netzwerk, eine Verschwörung oder so etwas. Als Kehrseite zu diesem paranoiden Aspekt kommt dann oft ein Größenwahn: Wenn sich alles um mich dreht, dann muss ich ja auch etwas ganz Besonderes und Tolles sein. Wenn man etwa religiös ist, denkt man plötzlich, man sei ein Engel.
Verstärken sich solche Vorstellungen noch?
Es können Halluzinationen auftreten. Der Klassiker darunter ist das Stimmenhören. Das ist nicht wie eine innere Stimme, sondern es sind tatsächlich akustische Halluzinationen. Als würde im Nebenzimmer ein Radio laufen. Es gibt etwas seltener auch optische Halluzinationen, also dass man Menschen sieht, die nicht da sind. Oder etwa ein Karussell. Es gibt auch noch andere Symptome, wie die Vorstellung, dass die Menschen einem die Gedanken entziehen. Oder Vergiftungswahn…
Wie hat sich der Wahn bei Ihnen konkret geäußert?
Ich saß etwa vorm Fernseher und dachte, die Nachrichtensprecherin sieht jetzt gerade, was ich mache, und reagiert darauf. Ich habe mich dann in meiner Wohnung aufgeregt und in Mikrofone gesprochen, die ich mir eingebildet habe.
Halten die Wahnphasen lange an?
Im Anschluss an einen solchen Wahn gibt es häufig eine depressive Phase. Die hat mich sehr lange begleitet, damit hatte ich sechs Jahre zu kämpfen, das ist im Prinzip wie eine schwere Depression.
Es kommt einem vor, als wäre Schizophrenie eher eine seltene Erkrankung, auch wenn die Zahl von 500.000 Erkrankten dagegen spricht…
Das liegt daran, dass das Thema so tabuisiert wird. Wenn ich mit Leuten spreche, hat fast jeder irgendeinen Bezug zur Schizophrenie, im Bekanntenkreis, einen Onkel oder andere Berührungspunkte. Aber man spricht halt nicht darüber. Auch weil man davon ausgeht, dass diese Leute gefährlich sind. Was aber sehr selten der Fall ist.
Wie ist Ihre Krankheit dann ans Tageslicht gekommen? Sie selbst konnten ja nicht wahrnehmen, dass Sie erkrankt waren…
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Ich war komplett im Wahn, habe das aber alles mit mir selbst ausgemacht – und mit niemandem darüber gesprochen. Nach außen hin war ich relativ unauffällig. Wenn meine damalige Frau, eine Flugbegleiterin, vier Tage nicht da war, habe ich den Wahn dann voll ausgelebt. Aufgefallen ist aber eher, dass ich damals mit meiner Doktorarbeit nicht weiterkam, angespannt und fahrig war. Das ist meinen Eltern aufgefallen, die mir rieten, mal zum Psychiater zu gehen. Sie dachten aber eher in Richtung Burn-out. Die Psychiaterin fragte: „Wie geht es Ihnen, wie kann ich Ihnen helfen?“ Und dann habe ich losgelegt: „Das wissen Sie doch ganz genau, Sie gucken doch auch übers Internet, was ich bei mir zu Hause mache…“ Da wusste sie relativ schnell Bescheid.
Wie geht es Ihnen heute?
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Mir geht es gut. Ich bin seit Jahren stabil. Ich weiß, ich habe diese Krankheit, aber ich kann damit gut leben. Was dazu beiträgt, ist eine Kombination aus vielen Faktoren, auch aus Medikamenten und Therapie. Aber erstmal war auch Entlastung ganz wichtig. Ich musste mich von der akademischen Laufbahn verabschieden, das war schwer. Ich musste mich bemühen, meinem Leben einen neuen Sinn zu geben, was ich als Genesungsbegleiter und als Roman-Autor tue. Ich muss auch aufpassen, dass meine Beziehungen zu Menschen positiv sind, so dass sie mir Energie geben. Ganz allgemein: Man muss lernen so zu leben, dass man möglichst gesund ist. Die Krankheit zwingt mich dazu, ein Leben zu führen, in dem es mir gut geht und in dem ich mich wohlfühle. Ein Stück weit bin ich also durch die Krankheit verdammt zum Glücklichsein.
>>> Zur Person - und zu Jens Jüttners Lesungen
Jens Jüttner wurde 1976 in Düsseldorf geboren, studierte Rechtswissenschaften in Köln – und arbeitet sogar während seiner Erkrankung als Rechtsanwalt und Betriebswirt in einer Steuerberatung und bei einer Versicherung. Seine Lesung am 14.9. in der LWL-Klinik Dortmund ist ausverkauft, weitere Termine folgen auf jensjuettner.com