Essen. . Computer und Maschinen sind sehr weit beim Erkennen von Gesichtern. Aber können sie auch aus Gesichtern lesen? Da stößt man an Grenzen.

Unsere Zeit scheint nach Gesichtern zu gieren: Nie zuvor wurden so viele Fotos und Selfies aufgenommen und verbreitet wie heute. Im September präsentierte Apple sein iPhone X, das sich mit dem Gesicht seines Nutzers entsperren lässt. Arznei-Riese Bayer brach vor kurzem nach Kundenprotesten einen Versuch in Apotheken ab, bei dem ein Gesichtsscanner Alter und Geschlecht der Kunden feststellen sollte, um passend zugeschnittene Werbung zu zeigen. Während Facebook gern seine Nutzer zum authentischen Porträt als Profilbild zwingen möchte…

Doch wer ist immer noch am besten im Lesen und Erkennen von Gesichtern? Der Mensch. Zumindest wird jeder das von sich selbst behaupten. In gewissem Maße stimmt es auch: Bekannte Gesichter, die wir uns einmal eingeprägt haben, erkennen wir sehr gut wieder. Doch unsere Zuverlässigkeit sinkt dramatisch, wenn es darum geht, unbekannte Personen auf Bildern wiederzuerkennen oder Bilder mit dem echten, unbekannten Menschen zu vergleichen. Die Psychologen Andrew Young und Mike Burton zitieren in der Zeitschrift „Current Directions in Psychological Science“ eine Studie, laut der sogar ausgebildete Grenzbeamte eine erstaunliche Fehlerquote haben, wenn es darum geht, ob die Person auf dem Passfoto wirklich vor ihnen steht. Die Profis schnitten nicht besser ab als Laien. Menschen fällt es schwer, Gesichter wiederzuerkennen. Besonders, wenn Gesichter aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen wurden, machen wir Fehler.

Apples iPhone mit einer Maske überlistet

Das iPhone X lässt sich vom Gesicht des Nutzers entsperren.
Das iPhone X lässt sich vom Gesicht des Nutzers entsperren. © dpa

Wer nun meint, dass Maschinen dabei zuverlässiger sind, weil sie bestimmte Stellen im Gesicht als Ankerpunkte vermessen, wurde jüngst eines Besseren belehrt: Die Apple-Gesichtserkennung wurde von vietnamesischen Biometrie-Experten mit einer Maske überlistet – einem Teil, das kein Mensch als echtes Gesicht betrachtet hätte.

Angela Merkels Pokerface

Erst recht schwierig wird es, wenn wir versuchen, aus den Gesichtern unseres Gegenübers zu lesen. Jemand, der sich damit bestens auskennt, ist Eva Bänninger-Huber. Sie erforscht an der Universität Innsbruck seit 25 Jahren, wie sich unsere Gesichtsausdrücke verändern, wenn wir mit anderen Menschen reden und interagieren. Sie wurde auch gebeten, das Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz zu analysieren.

„Frau Merkel hat bei diesem Duell so gut wie nichts gemacht, das Rückschlüsse auf ihre Emotionen zulässt. Also keine sichtbaren, beobachtbaren, verräterischen Gesichtsveränderungen“, sagt Bänninger-Huber. Am Pokerface der Kanzlerin scheiterte die Expertin, die deshalb aber nicht verzweifelt: „Normalerweise sieht man relativ viel. Man kann nicht immer genau sagen, welche Emotion auftritt, aber man kann etwa Spannungszeichen gut identifizieren. Zum Beispiel das Zusammenpressen der Lippen. Auch, wenn die Personen sich ans Ohr fassen oder in die Haare greifen.“ Bei Martin Schulz hingegen hätte man mehr entdecken können, er habe öfter die Augenbrauen hochgezogen und gelächelt. „Ein Lächeln ist ja ein Beziehungsangebot. Wenn man lächelt, dann zeigt man: Ich bin dir freundlich gesinnt. Ein Lächeln ist ansteckend und dient dazu, dass die Bindung zwischen Personen gestärkt wird“, so die Psychologin.

Auf der Suche nach den Mikroexpressionen

Dass sie solchen Interaktionen live zuschaut, passiert so gut wie nie. Sie benutzt normalerweise das so genannte „Facial Action Coding System“, kurz FACS, bei dem sie in aufwändiger Videoanalyse mit geteiltem Bildschirm die Gesichter der Probanden auf Reaktionen untersucht. Dabei sucht sie die so genannten Mikroexpressionen, also einzelne Muskelbewegungen, die Aufschluss darüber zulassen, ob etwa ein Lächeln echt oder aufgesetzt ist.

Kann in Gesichtern lesen: Eva Bänninger-Huber.
Kann in Gesichtern lesen: Eva Bänninger-Huber. © Michael Reusse

Fernsehzuschauer kennen Mikroexpressionen aus der Serie „Lie To Me“, in der ein Polizeiberater in Windeseile Lügner, Räuber, Mörder entlarvt. Die Serie basiert auf Forschungen des Anthropologen und Psychologen Paul Ekman aus den 70ern. Aber die dort vorgeführten Typisierungen sind tatsächlich nicht so eindeutig. Bänninger-Huber: „Ich habe Paare untersucht, diese intensiven, eindeutigen Ausdrucksmuster kommen ganz selten vor. Normalerweise ziehen wir die Oberlippe hoch, runzeln die Stirn, kneifen die Lippen zusammen. Aber wir lächeln auch zur Regulierung. Das ist sehr, sehr differenziert. Von der Erfassung solcher Muster ist die Elektronik weit weg. Wenn man wissen möchte, ob jemand lächelt, geht das elektronisch. Aber das kann man ja auch so sehen.“

Die Hübschen haben es einfacher im Leben

Im Entlarven von Unwahrheiten haben Tests mit Schülerinnen, die zum Lügen aufgefordert wurden, ebenfalls kein eindeutiges Ergebnis gebracht. „Es gab Teilnehmer, die waren sehr gut im Lügen. Und dann hat man es nicht gemerkt.“

Ebenso unzuverlässig: Unsere Einschätzung, ob Menschen sympathisch sind oder nicht. Der erste Eindruck zählt. Um den zu erhalten, so mehrere Studien, brauchen wir nur ein paar Millisekunden. „Es gibt einzelne sozialpsychologische Untersuchungen, die sich auf die Attraktivität eines Gesichts beziehen. Man neigt dazu, attraktiveren Menschen positive Eigenschaften zuzuschreiben. Das gilt auch für Intelligenz“, so Eva Bänninger-Huber. „Man kann sagen: Die Hübschen haben es einfacher im Leben“.

>>>Hinter mir sitzt ein Betrüger

Der Versuch an der Ruhruni-Bochum liegt schon ein paar Jahre zurück. Der Kriminologe Hans-Dieter Schwind lädt in seine Vorlesung, das Auditorium ist gut gefüllt. Den versammelten Studentinnen und Studenten wird eine Gruppe von mehreren Männern vorgeführt, unter ihnen auch verurteilte Straftäter.

Nun sollen die Studenten einschätzen: Wer aus der Gruppe ist tatsächlich Straftäter? Und welches Delikt hat er begangen? Der Clou: Zwischen den mutmaßlichen Spitzbuben steht unser Wissenschaftsredakteur, ein unbescholtener Bürger. Er wird natürlich sofort entlarvt. Die strengen Augen der Versammelten kommen zur Schlussfolgerung: So sieht ein Betrüger aus. Damit ist, nur per Blickkontakt, eine Vorverurteilung erfolgt.

Das Problem ist in der Justiz bekannt. Die Forschung sagt dazu Folgendes: Wer als Angeklagter eher kindliche Gesichtszüge trägt, hat bessere Chancen, bei vorsätzlichen Taten freigesprochen zu werden. Bei fahrlässigen Taten ist ein solches Gesicht eher von Nachteil.

Der Kollege übrigens, der nun seit Jahren auf dem Arbeitsplatz hinter mir sitzt, ist strafrechtlich nicht weiter auffällig geworden. Na, wenn das mal nicht verdächtig ist...