Essen. Björn Ahaus ist einer der Initiatoren des Radentscheids Essen und besitzt selbst kein Auto. Das gehe bislang nur, „wenn man wirklich will“.
Björn Ahaus erinnert sich gut an seine Großeltern. „Von Kray aus sind die damals immer auf so alten Klapperrädern zum Schwimmen an die Ruhr nach Steele gefahren. Meine Eltern haben immer gefragt, ob sie eigentlich lebensmüde sind: nicht wegen der Ruhr sondern der gefährlichen Straße.“
In bester Familientradition lässt sich auch der 43-Jährige auf seinem Lastenrad nicht stoppen: weder von plötzlich im Nichts endenden, zugeparkten oder maroden Radwegen, noch von Verkehrsführungen, bei denen er den Shoppingwilligen am Haupteingang des Limbecker Platzes fast in die Arme fährt.
„Der Berliner Platz in Essen ist ein gutes Beispiel für eine Verkehrsplanung, die dem motorisierten Verkehr auf vier Fahrspuren absurd viel Fläche zugesteht, während sich Fußgänger und Radfahrer direkt vor einem Einkaufszentrum einen Bürgersteig teilen müssen“, sagt Ahaus. Ähnliche Beispiele finden sich in der gesamten Stadt: So auch beim benachbarten Berthold-Beitz-Boulevard, auf dem bis heute nur wenige Autos unterwegs seien, eine baulich abgetrennte Spur für den Radverkehr aber fehle. Im Essener Osten, wo seine Großeltern damals wagemutig radelten, gebe es bis heute keinen guten Anschluss an das übrige Radverkehrsnetz.
23.693 Menschen unterschreiben für den Essener Radentscheid
Um das und weitere große Missstände in der Rad-Infrastruktur zu ändern, hat er vor knapp zwei Jahren Jahren gemeinsam mit einem wachsenden Netzwerk aus Mitstreitern den Radentscheid Essen ins Leben gerufen. 23.693 Menschen machten sich daraufhin binnen weniger Monate mit ihrer Unterschrift für die Ziele der Initiative stark, die unter anderem ein durchgängiges Netz für den Alltagsradverkehr und sichere Radwege an Hauptstraßen sind. Schließlich mündete der Radentscheid im vergangenen Jahr in einem Ratsbeschluss.
Bis 2035 will die Stadt Essen den motorisierten Verkehr drastisch reduzieren: Er soll nur noch ein Viertel am gesamten Verkehrsaufkommen ausmachen, während der Rest ebenfalls zu je 25 Prozent auf Rad- und öffentlichen Nahverkehr sowie Fußgänger entfällt. Um das zu erreichen, seien in den nächsten Jahren große Anstrengungen nötig, glaubt Ahaus. Allein in Essen klafft noch eine 52 Kilometer lange Lücke im Radwegenetz. Um die zu stopfen und den Radentscheid umzusetzen, hat die Stadt 28 neue Planstellen ausgeschrieben. „Es wird nicht leicht sein“, weiß Ahaus, „dafür Fachkräfte zu finden. Alle Städte in Deutschland suchen zurzeit Ingenieure und Planer, um ihr Radverkehrsnetz auszubauen.“
Fertigstellung des Radschnellwegs RS 1 stockt massiv
Dabei sei es wichtig, dass die Ruhrgebietskommunen auch untereinander den Schulterschluss suchen. Stattdessen rückt die Fertigstellung des gemeinsamen Leuchtturmprojekts Radschnellweg (RS1) immer weiter in die Ferne. Auf einer Länge von 115 Kilometer soll der Weg schnelle Radverbindungen im gesamten Revier zwischen Hamm und Moers ermöglichen. Zwar feierte NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst kürzlich die Fertigstellung eines weiteren Teilabschnitts über die landesweit längste Fahrradbrücke in Essen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass erst wenige Kilometer des RS1 zwischen Essen und Mülheim fertig gestellt sind. In Dortmund demonstrierten Rad-Aktivisten jüngst für eine schnellere Umsetzung und legten die B1 lahm. Sollte das Teilstück ursprünglich 2024 fertig gestellt werden, so sprechen Planer mittlerweile vom Jahr 2030. In anderen Städten sind es nicht besser aus: In Duisburg stockte die Planung jahrelang, Bochum ist gerade erst in der Vorbereitung und Städte wie Unna rechnen nicht vor 2026 mit einem Baubeginn. Hinzu kommen Planungsfehler wie jüngst in Essen, wo die Deutsche Bahn 83 Oberleitungsmasten auf die geplante Trasse des RS1 baute.
Mehr Menschen aufs Rad durch sichere Radwege
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Gründe für die Verzögerungen gibt es viele: Umweltschutzbelange, langwierige Planfeststellungsverfahren, fehlender Grundbesitz. Ahaus sieht die Schneckengeschwindigkeit vor allem in einer Tatsache begründet: „Dem motorisierten Verkehr wird nicht nur deutlich mehr Platz sondern auch eine viel höhere Priorität beigemessen“, kritisiert Ahaus. Um mehr Menschen aufs Rad zu bringen, müssten die Städte im Ruhrgebiet aber zwingend attraktiver werden.
„Auf den gut ausgebauten Fahrradwegen wie der Grugatrasse beobachten wir eine deutlich Zunahme des Radverkehrs, was auch an dem wachsenden Umstieg auf Pedelecs liegt.“ Ahaus ist überzeugt, dass sich mehr Menschen aufs Rad setzen würden, wenn die Sicherheit verbessert würde. Baulich abgetrennte Radstreifen, wie sie in den Niederlanden und Dänemark längst Standard sind, aber seien hierzulande aber noch immer eine Seltenheit. Das gefährde speziell Gruppen wie Senioren und Kinder.
„An der Grundschule meines Sohnes“, sagt Ahaus, „gibt es nicht einmal Fahrradständer.“ Weil es schlicht zu gefährlich sei, würde auch von Seiten der Polizei vielfach nicht gewünscht, dass die Kinder vor ihrer Fahrradprüfung in der vierten Klasse mit dem Rad zur Schule fahren. „Aber die Lösung kann doch nicht sein, dass die Kinder dann eben gar nicht fahren. Die Lösung müssen doch sichere Radwege sein“, findet Ahaus.
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