Essen. Hauptsache, die Hecke sitzt! Sina Scherzant und Marius Notter sprechen im Interview über „alman memes 2.0“ und deutsche Marotten.
Angrillen im Februar, samstags im Carport den Wagen auf Hochglanz polieren und ab zu Aldi, wenn’s wieder Softshelljacken zu ergattern gibt — über all diese deutschen Marotten machen sich Sina Scherzant und Marius Notter auf Instagram mit ihren „alman memes 2.0“ lustig. Memes sind in den sozialen Medien die Bildchen oder Videos, die mit Sprüchen auf Befindlichkeiten oder den Zeitgeist zielen. 600.000 folgen den witzigen Beobachtungen über die Almans. So werden die Deutschen oft von Ausländern bezeichnet. Aus dem Insta-Hit ist ein Roman geworden: „Noch 3 Treuepunkte bis zum Pfannenset“ – und aus den Almans ist Familie Ahlmann geworden. Wir sprachen mit dem Autorenpaar über das, was typisch deutsch ist – und was sie davon an sich selbst entdecken…
Wie sind Sie darauf gekommen, einen Instagram-Account wie die „Alman Memes“ zu erschaffen, der sich über deutsche Klischees lustig macht?
Notter Ich habe im Jahr 2017 schon mal einen Account namens Alman Memes gestartet, der hat leider nicht so lange überlebt. Knapp zwei Jahre später habe ich aus Langeweile wieder angefangen und Sina mit ins Boot geholt. Aus diesem Grund heißt der Account auch „alman memes 2.0“. Das Ziel des Kanals ist, alle lustigen, absurden aber auch teils furchtbaren Verhaltensweisen von Deutschen, denen wir in unserem Leben so begegnet sind, — leider teilweise auch bei uns selbst — humoristisch darzustellen, aber gleichzeitig auch zu hinterfragen.
Sind am Anfang andere Leute auf Ihren Humor angesprungen als jetzt mit 600.000 Followern? Sind Sie jetzt schon Mainstream?
Scherzant Ich glaube, dass sich in den zwei Jahren viel in unserer Community getan hat. Klar, ist man am Anfang erstmal edgy und ‘n bisschen der Internet-Geheimtipp, dann wird die ganze Nummer größer und dann verabschieden sich Leute auch wieder. Das geht wahrscheinlich tatsächlich in diese „Och nö, die sind jetzt Mainstream”-Richtung, versteh ich aber total. Ich langweile mich auch schnell. Aber solange sich noch genug Leute für unsere Inhalte begeistern können, ist doch alles super.
„alman memes 2.0“: Der Humor sucht sich neue Wege
Gibt es sowas wie einen typisch deutschen Humor?
Notter Wir haben das Gefühl, dass der deutsche Humor Ende der 90er, Anfang der 2000er viel gegen „Andere” ging und häufig ein „Nach-unten-Treten” war, aber da tut sich auf jeden Fall gerade was. Außerdem wird die Comedyszene auch vielfältiger. Gerade durch die verschiedenen Sozialen Netzwerke gibt es neben dem klassischen Weg über die Bühne mehr Möglichkeiten, seinen Humor in die Welt hinauszutragen, sei es durch pointierte Tweets, YouTube-Videos oder halt über Memes.
Was ist für Sie typisch deutsch? Was von diesen Eigenschaften ist in Ihren Augen schlimm – und was ist vielleicht sogar liebenswert?
Notter Wir machen uns einerseits über harmlosen Quatsch lustig, wie zum Beispiel ‘schon im Februar beim ersten Sonnenstrahl angrillen’, oder über seltsames Verhalten bei Online-Bewertungen, wobei Letzteres für einige Gastronomie-Besitzer und -Besitzerinnen gar nicht so lustig ist. Da geben Leute teilweise echt 1-Sterne-Bewertungen ab, obwohl sie bisher nur dran vorbeigefahren sind. Andererseits wollen wir auch bei den eher düsteren Angelegenheiten den Finger in die Wunde legen. Sei es sehr engstirniges oder missgünstiges Verhalten, andererseits aber auch bei gesellschaftlich relevanten Themen wie z.B. Sexismus oder Rassismus.
Wie stark beeinflussen Memes Ihre Beziehung als Paar? Redet man irgendwann zu viel über Memes?
Scherzant Zuletzt persönlich gesprochen haben wir irgendwann im Jahr 2019, seitdem kommunizieren wir eigentlich nur noch über Memes. Unsere Beziehung ist seitdem aber viel schöner und sinnlicher geworden.
Vom Meme-Account zum Roman, das scheint erstmal ein großer Schritt zu sein. Ist Ihnen das gemeinsame Schreiben leichtgefallen?
Scherzant Es war tatsächlich gar nicht so schwer. Wir haben die Memes und entsprechend auch unsere Charaktere in den Bildunterschriften bereits fortgeführt und weiterentwickelt. Anschließend mussten wir die vielen Ideen und ausgearbeiteten Figuren „nur” noch in eine Form bringen. Ob das gelungen ist, müssen die Leserinnen und Leser beurteilen.
Scherzant: Mehr Alman in uns, als uns lieb ist
Haben Sie selbst schon mal hartgekochte Eier für eine Reise eingepackt wie Familie Ahlmann im Roman? Wie viel Alman steckt in Ihnen selbst?
Scherzant Ja, die wurden aber immer an der frischen Luft verzehrt, nie im stickigen Zugabteil wie im Buch. In uns steckt definitiv sehr viel von dem, worüber wir uns lustig machen. Mehr als uns lieb ist.
Verstehen ältere, etwas konservativere Leute überhaupt Ihren Humor? Machen Sie sich speziell über Kleinstädter lustig oder sind Leute wie Familie Ahlmann auch in großen Städten zu finden?
Scherzant Erste, nicht-repräsentative Rückmeldungen aus dem Boomer-Milieu zeigen, dass es zumindest teilweise verstanden wird. Jede Anspielung oder jede Stichelei kommt vielleicht nicht an, aber so grundsätzlich ist das Buch auch für die ältere Generation geeignet. Zum Kleinstadt-Thema: In der Kleinstadt ist die Spießbürgerlichkeit vielleicht etwas verdichteter, aber deutsche Absurditäten findet man auch in der Großstadt.
Welches Ihrer Memes war das erfolgreichste?
Notter Uff, bei fast 700 Beiträgen müssten wir jetzt alle durchgehen und Zeit ist Geld, wie der Deutsche gerne sagt. Spaß beiseite, sehr erfolgreich sind die Memes immer, wenn es einen starken Aktualitätsbezug zu einem polarisierenden Thema gibt. Durch die Decke gegangen ist zum Beispiel ein Meme aus der Anfangs-Coronazeit, in dem wir zwei verschiedene Arten des Umgangs mit der aufkeimenden Pandemie dargestellt haben. Auch unsere Memes zu „Jana aus Kassel” kamen gut an.
Ist dieses Klein-Klein und das pedantische Bestehen auf das einmal Etablierte wie im Roman beschrieben etwas Typisches?
Scherzant Hm, man begegnet derartigen Verhaltensweisen oder Einstellungen doch erschreckend häufig in Deutschland. Wenn man sich aber die Entwicklungen in einigen anderen Ländern anschaut, gibt es vielleicht auch eine allgemeinere Tendenz dazu, sich an Etabliertem festzuklammern. Was genau dahintersteckt, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sicher besser sagen. Die Angst vor Veränderungen und der Unwille, Räume und Wohlstand zu teilen, Macht abzugeben, sind aber auf jeden Fall Erscheinungen, die sich in unserer Gesellschaft immer wieder sehr deutlich offenbaren.
Sina Scherzant, Marius Notter: Noch 3 Treuepunkte bis zum Pfannenset — Kleinstadt-Wahnsinn mit den Ahlmanns, Rowohlt, 9,99 €.