Duisburg. Der Bildungsforscher Prof. Klaus-Peter Hufer gibt Tipps, wie man Pandemie-Leugnern gegenüber treten kann, wenn man ihre Haltung nicht akzeptiert.
Die Corona-Pandemie bestimmt unser Leben – und stößt uns in ein Dilemma: Es gibt die Menschen, die die Maßnahmen akzeptieren und sich und andere versuchen zu schützen. Und es gibt andere, die sich Schutzmaßnahmen widersetzen, die Pandemie leugnen und sich und uns alle einer Verschwörung ausgesetzt wähnen – weltweit, und von Kräften im Dunkeln gesteuert.
Der Bildungsforscher Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer von der Universität Duisburg/Essen hat bereits vor 20 Jahren ein „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“ entwickelt, das seitdem bundesweit an Bildungseinrichtungen angeboten wird. Hufer will ermuntern, Partei zu ergreifen für Toleranz, gegen Vorurteile. Das Leugnen von Corona erweitert aus Hufers Sicht die Reihe typischer Sujets, die wir als Stammtischparolen kennen: „Noch habe ich die vage Hoffnung, dass sich manche der Leugner noch umstimmen lassen und die Maßnahmen zum Schutz von uns allen mittragen, obwohl sie vorübergehend unsere Freiheiten einschränken“, sagt er.
Corona-Pandemie: „Es steht viel auf dem Spiel“
Herr Prof. Hufer, was raten Sie, wenn man das Verhalten von Pandemie-Leugnern nicht billigt, aber die Auseinandersetzung scheut?
Hufer: Man sollte das Gespräch suchen und nicht ausweichen, wenn die Situation sich stellt. Es steht viel auf dem Spiel. Wir haben durch das Coronavirus eine akute Bedrohung, die unser Leben gefährdet. Wer Schutzmaßnahmen ignoriert, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch andere.
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Pandemie-Leugner aber behaupten, Corona sei nicht so schlimm und rechtfertige schon gar nicht, dass unsere Freiheitsrechte eingeschränkt werden.
Hufer: Am Aspekt zu den Freiheitsrechten ist etwas dran. Es stimmt ja, dass sie eingeschränkt sind. Aber dies ist vorübergehend und hat medizinische Gründe, die ich für gerechtfertigt halte. Das Leben und die Gesundheit sind die höchsten Güter. Ich beneide keine Politikerin und keinen Politiker, die jetzt in der Verantwortung stehen, Entscheidungen zu fällen.
Pandemie-Leugner argumentieren häufig, dass durch Corona längst nicht so viele Menschen sterben wie etwa durch Grippe…
Hufer: Das ist ein Pseudo-Argument, das einen sozialdarwinistischen Grundton hat. Ja, andere Krankheiten verursachen auch Tote. Eine Entgegnung wäre: Dann beenden wir doch alle medizinischen Hilfen, wir sterben ja sowieso alle! Wer dem zustimmt, müsste selbst merken, auf welch‘ schiefer argumentativer Bahn man sich bewegt.
Nicht alle Corona-Leugner über einen Kamm scheren
Wie wichtig ist es, eine gemeinsame Gesprächsbasis zu finden?
Hufer: Man könnte dies versuchen, indem man eine gemeinsame moralisch-ethische Hierarchisierung vornimmt: was ist für uns der höchste Wert? Den Menschenrechten und auch unserem Grundgesetz zufolge ist es der Schutz und die Unversehrtheit des Lebens. Ich sehe bei Anti-Corona-Demonstrationen (Textlink) genau das gefährdet. Solche Versammlungen, bei denen die wichtigsten Schutzregeln nicht eingehalten werden, sind ein Anschlag auf die Unversehrtheit anderer und ein Angriff auf unser Gesundheitssystem, das dadurch noch mehr strapaziert wird. Die Opfer sind dann letztendlich Unschuldige, ursächlich verantwortlich dafür sind die Corona-Leugner.
Im Zusammenhang mit dem Coronavirus sind viele Dinge nach wie vor ungewiss. Sind Leugner per se die „Bösen“, wenn sie Zweifel haben?
Hufer: Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in die Rolle hineinmanövrieren, als Nicht-Leugner seien wir die „Guten“. Man darf alle Corona-Leugner nicht über einen Kamm scheren und man muss auch versuchen nachzuvollziehen, was Menschen dazu gebracht hat, zu dieser Überzeugung zu kommen. Bei nicht wenigen ist es Existenzangst und Not (Textlink) , die sie zu Kritikern und Gegnern der Maßnahmen macht. Emotional kann ich das nachvollziehen, rational nicht; Angst führt zu irrationalen Entscheidungen.
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Wenn ich selber nicht auf alle Corona-Fragen eine Antwort habe, wie kann ich dann Kritiker überzeugen, ihre Haltung zu überdenken?
Hufer: Logik und direktes Nachfragen können wirkungsvolle Gegenstrategien sein. Man müsste versuchen, aus dem Gegenüber eine klare Antwort herauszufiltern: Was ist das Motiv, warum du dabei bist? Welche Kompetenz traust du den Wortführern deiner Bewegung zu im Gegensatz etwa zu Dutzenden Virologen und Epidemiologen, die vor der Gefahr durch Corona warnen, oder anderen Personen, deren Expertise nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden kann? Glaubst Du tatsächlich, dass es eine gigantische Verschwörung über die gesamte Welt gibt, mit der uns Corona erfolgreich eingeredet wird? Wer sollte in der Lage sein, sowas zu koordinieren und der ganzen Welt diese Legende aufzutischen? Und wichtig wäre auch die Frage: Bist du wirklich bereit, die Kumpanei mit Antisemiten, Rechtsextremisten oder Hooligans zu akzeptieren, die versuchen, diese Corona-Demos für ihre Sache zu instrumentalisieren?
Bei dem letzten Punkt sagen Ihnen Pandemie-Leugner, es sei ein Beweis von Toleranz, dass auch Reichsbürger und andere auf deren Demos mitmarschieren.
Hufer: Toleranz heißt, etwas zu ertragen. Ich muss es aber nicht ertragen, wenn Toleranz dazu führt, den Intoleranten, die unsere Demokratie abschaffen wollen, ein Forum zu geben. Ein schöner Satz in diesem Zusammenhang: „Die Freiheit der Wölfe ist der Tod der Lämmer.“
Durch gezielte Fragen Logik und Vernunft einfordern
Pandemie-Leugner bewaffnen sich regelrecht mit angeblichen Fakten, die ihre Position untermauern sollen. Das kann einen hilf- und ratlos werden lassen. Was tun?
Hufer: Zwar braucht man Wissen und die Kenntnis von Fakten, um einen sicheren Standpunkt zu haben. Aber man kann sich nicht zielgerichtet auf solche Gespräche durch das Studium von Fachveröffentlichungen, Daten und Zahlen vorbereiten, weil man sich letztendlich damit selbst blockiert. Als jemand, der einem Corona-Leugner gegenübertritt, hat man immer den schwierigeren Part. Solche Corona-Leugner stärken sich mit der Sicherheit ihrer Vorurteile, während man selbst abwägt, reflektiert und überlegt. Dadurch ist man von Anfang an in einer Verteidigungsposition. Aus dieser kommt man aber heraus, wenn man gezielte Fragen stellt, Logik und Vernunft einfordert.
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Es heißt häufig, mit Corona-Leugnern könne man gar nicht mehr ins Gespräch kommen. Die Bereitschaft, die eigene Überzeugung zu hinterfragen, ist bei vielen gar nicht mehr vorhanden.
Hufer: Esoteriker oder die Aluhutträger erreicht man nicht mehr. Doch nicht bei allen, die etwa zu Corona-Demos gehen, sitzen die Vorurteile schon so tief. Gerade mit solchen Menschen muss man versuchen, ins Gespräch zu kommen. Man muss aber auch selbst in der Lage sein, sich zu hinterfragen. Und man sollte versuchen, ein gewisses Verständnis für das Verhalten der anderen aufzubringen, auch wenn es dabei Grenzen gibt.
Was kann denn das Ziel eines solchen Gesprächs sein?
Hufer: Wenn wir es zum Beispiel mit jemanden zu tun haben, der sich in einer konkreten Situation weigert eine Maske zu tragen oder sie nicht korrekt trägt, dann ist das Ziel, dass diese Person bitte in der konkreten Situation die Maskenpflicht akzeptiert.
„Wer ohne Beweise etwas glaubt, lässt sich auch mit Beweisen nicht überzeugen“
Wie kann das gelingen?
Hufer: Man darf sich nicht von seinen Emotionen leiten lassen und muss versuchen, ruhig zu bleiben. Belehrung schafft Abwehr. Pathetisch und moralisierend vorgetragene Gegenpositionen provozieren Widerstand. Aggressives Auftreten ebenfalls. Es ist ganz normal, dass man, wenn man kritisiert wird, erstmal sich verteidigt.
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Bitte geben Sie praktische Tipps.
Hufer: Fragen Sie, was ihr Gegenüber täte, wenn der Partner oder ein naher Verwandter infiziert wäre oder er selbst? Erklären Sie Ihre Sicht: Dass Sie sich in Ihrer Gesundheit gefährdet sehen, wenn Ihr Gegenüber keine Maske trägt. Versuchen Sie zu hinterfragen, warum es Ihrem Gegenüber offenbar nicht möglich ist, für die womöglich kurze Zeit etwa im Supermarkt die Maske korrekt anzulegen? Sprechen Sie die Verantwortung an, die jeder hat, sich und eben auch andere zu schützen. Selbst wer glaubt, eine Maske schütze nicht – sie zu tragen ist doch allemal besser, als sie nicht zu tragen, oder?
Helfen Fakten um die mutmaßlichen ‚Fake-Facts‘ von Leugnern zu widerlegen?
Hufer: Wer ohne Beweise etwas glaubt, lässt sich auch nicht mit Beweisen überzeugen. Das haben die Erfahrungen in unseren Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen immer wieder gezeigt. Corona ist eine Herausforderung: Wir haben es mit einer Gefährdung zu tun, die nicht zu hören, zu schmecken und nicht zu begreifen ist. Für viele ist es nicht unmittelbar erlebbar, was Corona auslösen kann, wenn man ja noch nicht mal zwingend merken muss, dass man selbst infiziert ist und andere anstecken kann. Viel wird zudem nur über Medien transportiert, gegenüber denen Corona-Leugner vielfach vorgeben, das Vertrauen verloren zu haben.
Welche ‚Geisteshaltung‘ eint Corona-Leugner?
Hufer: Bei ihnen liegt ein durchaus vergleichbares mentales und rhetorisches Muster vor: Mythen, Legenden, Verschwörungsphantasien werden von ihnen mehr geglaubt, als was von Seiten „der Politik“ und der „etablierten Presse“ kommt. „Die“ wollen uns um „unsere“ Rechte bringen. Warum? Mit welchem Ziel? Da gibt es wieder bekannte anschließende Behauptungen - bis hin zur „Umvolkung“. Es ist das Muster des Populismus: „Wir“ gegen „die“, „Wir vertreten die wahre Demokratie“, müssen sie gegen ein herrschendes Elite-Kartell verteidigen.
„Mit der Corona-Pandemie droht auch die Demokratie in eine Krise zu geraten“
Lässt sich eine solche Weltanschauung überhaupt in einem Gespräch, das durch eine alltägliche Situation entsteht, beeinflussen?
Hufer: Ein Gespräch ist nie zu Ende, wenn es formal beendet ist. Irgendetwas bleibt hängen, das zeigt sich immer wieder. Hinzu kommt: Solche Diskussionen sind selten Dialoge – es sind ja oft auch noch andere Personen dabei, die vielleicht noch nicht so auf der Leugner-Linie sind. Diese lassen sich vielleicht noch von den Gegenargumenten beeindrucken.
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Wie steht es letztlich insgesamt um die Auswirkungen durch Corona und die Schutzmaßnahmen, mit Blick auf unsere Gesellschaft und auf unsere Demokratie?
Hufer: Mit der Corona-Pandemie droht auch die Demokratie in eine Krise zu geraten. An den Demonstrationen gegen die Einschränkungen etwa nehmen neben Bürgern mit berechtigten Sorgen um ihre Existenz auch Verschwörungsphantasten, Antisemiten, Reichsbürger und Rechtsextremisten teil . Mehr noch: Rechtsextremisten versuchen, diese Demonstrationen zu instrumentalisieren und damit in der gesellschaftlichen Mitte anzudocken. Inwieweit ihnen das gelingt, ist für die Stabilität der demokratischen Kultur jetzt und „nach Corona“ entscheidend.
>> Info zur Person:
Prof. Dr. Klaus Peter Hufer (71) ist promovierter Politikwissenschaftler und habilitierter Erziehungswissenschaftler und als Bildungsforscher nach wie vor an der Universität Duisburg-Essen tätig. Er ist Schöpfer des „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“, das bundesweit in Bildungseinrichtungen angeboten wird. Das Konzept zum Training ist als Buch veröffentlicht (Wochenschau Verlag). In seinem jüngsten Buch beschäftigt sich Hufer mit dem Thema Zivilcourage („Zivilcourage. Mut zu Widerspruch und Widerstand“, Edition Konturen).
Mehr Infos im Netz unter argumentationstraining-gegen-stammtischparolen.de