Gelsenkirchen/Dortmund. Mit Sorge beobachtet der NRW-Verfassungsschutz Rechtsextreme in der Kampfsportszene. Dortmunder Neonazis verdienen damit ganz legal Geld.

Das Damen-Shirt mit der Aufschrift „Kampfgemeinschaft“ kostet 27 Euro, das Herrenshirt „Disziplin ist alles“ wird für 25 Euro angeboten: Ganz legal vertrieben über das Label und Kampfsport-Netzwerk „Kampf der Nibelungen“, das der bekannte Dortmunder Neonazi Alexander Deptolla gegründet hat.

Dass er mit dem Blatt Siegfrieds ausgerechnet die verwundbarste Stelle des deutschen Sagen-Helden als Logo auserkoren hat, ist einmal mehr Beleg für die verquere Geschichtsklitterung der Szene. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein harmloser Webauftritt für Kampfsportbegeisterte, finanziert direkt den Dortmunder Nazi-Kiez mit: Deptolla ist Mitglied im Parteivorstand von „Die Rechte“.

In Gelsenkirchen trainieren Steeler Jungs, Bandidos und Hooligans Seite an Seite

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Mit Sorge beobachten NRW-Verfassungsschützer und das Innenministerium das seit Jahren wachsende Interesse der rechtsextremistischen Szene für Kampfsportarten. Insbesondere die auch in der breiten Bevölkerung immer beliebtere Vollkontakt-Variante „Mixed Martial Arts“ (MMA) ist dabei ins Visier geraten. So trainieren etwa im Gelsenkirchener Fightclub „Stahlwerk“, der mittlerweile als „Guerreros Fightclub“ firmiert, Anhänger der rechtsextremen selbst ernannten Essener Bürgerwehr „Steeler Jungs“ Seite an Seite mit Mitgliedern der Rockergruppe „Bandidos“ und einschlägig bekannten RWE-Hooligans der „Alten Garde“.

Die Betreiber des Fightclubs sehen das natürlich anders: „Bei uns geht es allein um den Sport“, zitierte diese Zeitung den Betreiber und Bandidos-Supporter Frank Schmidtmann in einem Bericht im Juni. Die politische Gesinnung bleibe außen vor, beteuerte Schmidtmann damals.

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Vom NRW-Innenministerium heißt es dazu aktuell auf Anfrage: „Der Fitnessclub Stahlwerk ist ein in der Szene beliebtes Fitnessstudio, in dem die Personen, die nunmehr unter dem Namen ’Guerreros Fightclub’ auftreten, schon seit längerer Zeit in gemischten Konstellationen Kampfsport betreiben.“ Allein aus dem Online-Auftritt des Fitnessstudios sei zu erkennen, „dass dieses von Angehörigen der Rockergruppe Bandidos aufgesucht wird, von denen einige gleichzeitig Mitglieder der Steeler Jungs sind“, so das Innenministerium weiter.

Von „Essen stellt sich quer“ beschuldigter Kickboxer wehrt sich gegen Vorwürfe

Auch dem neu gegründeten Kampfsportclub „Fighting Forces“ in Oberhausen wurde jüngst in einem Bericht des Bündnisses „Essen stellt sich quer“ eine Nähe zur rechten Szene nachgesagt. Dessen Betreiber und Kickboxer Nathan Sadowksi habe auch die Gelsenkirchener „Guerreros“ trainiert. Zudem habe der führende Kopf der Steeler Jungs und RWE-Hooligan Christian „Bifi“ Willing via Instagram für die „Fighting Forces“ geworben, führt das Bündnis als Belege einer rechten Verbindung an.

Auf Anfrage ist Sadowski über die Vorwürfe – zu denen er nie gehört worden sei – schockiert: Er habe im vergangenen Jahr in „gut 15 Clubs“ als Trainer gearbeitet, schreibt er. Er sei beruflich als Inklusionsbeauftragter tätig, habe außerdem Verbindungen in alle Welt und sei weit von rechtsextremem Gedankengut entfernt. „Sollte ich mitkriegen, dass jemand in meiner Schule Fremdenhass verbreitet, fliegt derjenige in hohem Bogen raus!“, versichert er schriftlich auf Facebook.

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Viele Menschen hätten für seine Kampfsportschule Werbung gemacht, private Kontakte zur Szene habe er aber nicht. Zudem sei ihm die politische Gesinnung der „Guerreros“ völlig unbekannt, auch die „Steeler Jungs“ habe er bei Google suchen müssen. „Ich kann leider nicht sagen, womit die Eltern der Kinder, die bei mir trainieren, sich beschäftigen und um ehrlich zu sein, das muss ich auch nicht“, schreibt Sadowski. Die „falschen Vorwürfe“ hätten ihn nun zu einer Anti-Rassismus-Kampagne motiviert.

Auch Kenner der MMA-Szene wollen sich nicht instrumentalisieren lassen: „Wir haben kein generelles Problem mit Rechten“, sagt einer, der seit Jahren in Deutschland, Holland und Belgien kämpft. Im Ring sei jeder gleich.

Szene wird immer professioneller und generiert damit mehr finanzielle Mittel

Wie politisch vor allem der Kampfsport aber sein kann, beobachtet der Verfassungsschutz seit Jahren intensiv, wie es aus dem Innenministerium heißt. Das schließe die handelnden Akteure, Veranstaltungen und Trainingsgruppen mit ein. Besonders in Visier geraten sei die rechtsextremistische Kampfsportreihe „Kampf der Nibelungen“.

Rechtsextremistische Kampfsportveranstaltungen seien Bestandteil der „Erlebniswelt Rechtsextremismus“, wie es eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums beschreibt. Die Verbindung von Event, Spaß und Gemeinschaftserlebnis mache Rechtsextremismus besonders für Jugendliche und junge Erwachsene interessant.

Nicht zuletzt generierten solche Veranstaltungen finanzielle Mittel, die zumindest in Teilen in die Szene zurückfließen und zum Lebensunterhalt mancher Rechtsextremisten beitragen. Zwar habe die Corona-Pandemie auch den Rechtsextremen bei der Organisation von Kampfsportveranstaltungen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zuvor hätten die Verfassungsschützer aber beobachtet, dass Kampfsportevents immer offener beworben und professioneller organisiert würden. Der Schwerpunkt der Kämpfe verlagere sich dabei zunehmend in den Osten Deutschlands.

2017 organisierte „Kampf der Nibelungen“ Event für mehr als 500 Neonazis

Doch auch in NRW organisierte der Kampf der Nibelungen schon rechtsradikale MMA-Spektakel: Eine Kampf-Veranstaltung mit 500 bis 600 Neonazis aus ganz Deutschland in der Schützenhalle im sauerländischen Kirchhundem hatte 2017 ein politisches Nachspiel. Die Grünen richteten dazu damals eine Anfrage ans Innenministerium. In der Antwort kam das Ministerium damals wie heute zu dem Schluss: „Veranstaltungen wie der Kampf der Nibelungen oder rechtsextremistische Konzerte werden in den letzten Jahren immer konspirativer geplant und vorbereitet.“

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Nur: Einfach verbieten lassen sich weder der „Kampf der Nibelungen“ noch Fitnessclubs wie die „Guerreros“ in Gelsenkirchen. Die Verantwortlichen wüssten genau, wie sie sich im Graubereich bewegen müssten, um nicht offen als verfassungsfeindlich eingestuft zu werden, heißt es aus dem Innenministerium: Die Professionalisierung führe zu einer besseren Organisation mit mehr Zuschauern und mehr Merchandising, wodurch die Organisatoren einen höheren Profit erzielten. „Außerdem haben die Veranstalter inzwischen so viel Kompetenz bei der Ausrichtung der Veranstaltungen erlangt, dass sie den Behörden kaum Angriffspunkte lassen, die Veranstaltungen zu unterbinden.“

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