Essen. Es muss nicht der Jakobsweg sein. Wanderführerinnen haben ein Buch über Pilgerwege im Bistum geschrieben – das begleitet auch bei Lebensfragen.
Irgendwann hat sie nicht mehr über ihren Körper nachgedacht. Nikola Hollmann spürte bei ihrer langen Wanderung, dass ihre Beine sie tragen. Schritt für Schritt. „Das macht den Kopf frei.“ Und je weiter sie sich so von zu Hause entfernte – wandernd, pilgernd –, desto näher kam sie ihrem Ziel: der Antwort auf die Frage, wie ihr Lebensweg weitergehen soll.
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„Heute schreibe ich Wanderführer“, sagt die 53-Jährige lachend. Viele Jahre lang war die Theologin Chefredakteurin der Monatszeitschrift „Frau und Mutter“ der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands. Eine schöne Arbeit. Aber dann kam sie an einen Punkt, der sich für sie wie eine Sackgasse anfühlte. Wochenlang wanderte sie, um wieder klar zu sehen. War es der Wunsch nach etwas Neuem oder war sie nicht mehr glücklich mit dem Alten? „Das ist immer beides“, sagt Nikola Hollmann nachdenklich.
Nun schreibt sie also Bücher. Kürzlich erschien ihr „Wanderführer Ruhrbistum“, in dem sie mit Andrea Slavik die Pilgerwege vorstellt, die das noch junge Bistum, das seit 1958 besteht, vor zwei Jahren eingeführt hat. Es muss schließlich nicht immer der Jakobsweg sein. Auch im Revier kann man sagen: Ich bin dann mal weg! Fünf Strecken sind es, alle Wege führen zum Essener Dom.
Kennengelernt bei einer Ausbildung zu Wanderführern
Nikola Hollmann und Andrea Slavik haben sich im vergangenen Jahr an Abzweigungen ihrer Lebenswege getroffen – und sich entschieden, gemeinsam beruflich weiterzugehen. Kennengelernt haben sich die beiden bei einer Wanderführer-Ausbildung. Dort zeigte man ihnen, wie sie Gruppen sicher führen, wie man sich orientiert. Auch Wetterkunde und Wegeplanung waren Themen. Bei einem Glas Wein entstand dann die Idee, nicht nur Menschen durch Wälder und über Berge zu führen, sondern sie mit spirituellen Wanderbüchern zu begleiten. Denn für sie ist das Gehen mehr als ein Sport.
Auch Andrea Slavik hat kreativ gearbeitet und Filme produziert. Dokumentationen, aber meist Werbung. Diese Hochglanz-Konsumwelt passte nicht mehr zu ihrem Lebensgefühl. „In der Natur kann man Heilung finden“, sagt die 47-Jährige, die von Kindesbeinen an wandert. Schließlich wuchs sie in den Bergen auf, in Tirol. Dort in Österreich ging sie zu einer Klosterschule für Mädchen. Doch als sie älter wurde, hatte sie Probleme mit der Kirche: „Frauen sind in der katholischen Kirche nicht sehr präsent.“ Vor diesem Hintergrund ist das Schloss Borbeck für sie besonders bedeutend, schließlich lebten hier schon ab dem 13. Jahrhundert die Essener Fürstäbtissinnen. „Sie hatten auch weltliche Macht“, erzählt Nikola Hollmann nach einem Besuch der dortigen Ausstellung sichtlich beeindruckt.
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Heute sagt Andrea Slavik: „Ich habe mich wieder versöhnt, ich kann wieder in die Kirche gehen, dort Ruhe finden.“ So auch auf ihren Pilgerwegen im Ruhrgebiet, wobei während des Lockdowns zu ihrem Bedauern nicht alle Kirchen geöffnet waren. Besonders in Erinnerung geblieben ist den Frauen zum Beispiel die romanische Dorfkirche in Bochum-Stiepel, eine evangelische Gemeinde. Pilgern sei nicht nur etwas für Katholiken. Auch in anderen Religionen begebe man sich gehend auf die Sinnsuche. Als „Innere Einkehr“ bezeichnen manche das Pilgern. Oder: „Beten mit Füßen“. Was ist für sie der Unterschied zwischen Wandern und Pilgern? „Anders als beim Spaziergang oder einer Wanderung ist man meist länger unterwegs“, sagt Nikola Hollmann. „Man lässt sich auf Fremdes ein, auf körperliche Anstrengungen, auf das Wetter, auf Menschen, denen man begegnet. Man lässt sich darauf ein und kommt verändert zurück.“
Vor einer Lebensentscheidung: Das Pilgern hilft, Antworten zu finden
Oft stehen Menschen, die pilgern, vor einer Lebensentscheidung, so Andrea Slavik. Zunächst lernen sie, sich beim Packen des Rucksacks zu reduzieren: Was brauche ich wirklich? „Durch die Monotonie des Gehens kann man anders nachdenken.“ Ohne dass weniger wichtige Fragen ablenken: Was kaufe ich ein? Soll ich die Fenster putzen? Nikola Hollmann: „Man begegnet nicht dem Alltag, man erlebt sich und die Welt anders.“
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Andrea Slavik schaut lächelnd zum Himmel, an dem Mäusebussarde kreisen: „Wir versuchen, die Menschen dazu zu bewegen, achtsam durch die Natur zu gehen. Was begegnet mir dort? Vögel, Pflanzen, Menschen.“ Durch die Naturerfahrung fühle man sich Gott nahe.
Eine weltliche Frage haben sich die beiden Frauen jedoch im Revier häufiger gestellt: Wo geht es lang? Die pinkfarbenen Markierungen, die die Pilgerwege anzeigen, sind leider teils abgeknibbelt. In Wülfrath aufgewachsen, kannte sich Nikola Hollmann im Ruhrgebiet bereits etwas aus. Sie lud Andrea Slavik ein, mit ihr die Pilgerwege zu erkunden. Schließlich sind die meisten Menschen überrascht, wie grün das Revier ist. Und dann starteten sie mit ihrer Reise in Duisburg – schon bald begleitet vom Lkw-Lärm am Kreuz Kaiserberg. Nikola Hollmann konnte es nicht glauben: Unmittelbar neben der Autobahn führt der Weg vorbei? Wie passend ist da eine der Fragen, die sie in ihrem Buch den pilgernden Menschen mit auf den Weg geben: „Will ich und kann ich mein Leben entschleunigen?“
Bewegend: der Kreuzweg auf der Halde Haniel
Nikola Hollmann war nach dem Autobahn-Abschnitt zunächst nicht ganz wohl, dass sie Andrea Slavik ins Ruhrgebiet gelockt hatte. Aber sie, die in den Bergen aufgewachsen ist, war fasziniert von der ihr unbekannten Gegend. Insbesondere von einem Hügel: der Halde Haniel. Über den Kreuzweg sind sie hinaufgegangen, zum Gipfelkreuz, das 1987 anlässlich des Besuchs von Papst Johannes Paul II. aus Spurlatten angefertigt und fünf Jahre später auf den damals höchsten Punkt der Halde aufgestellt wurde. Am Karfreitag waren sie da. Wegen Corona fand die eigentlich übliche Prozession in diesem Jahr nicht statt. „Trotzdem waren viele Menschen da. Jüngere, Ältere, Familien“, erinnert sich Andrea Slavik an diesen fröhlichen und friedlichen Moment. „Das war sehr berührend.“
Nikola Hollmann & Andrea Slavik: Wanderführer Ruhrbistum, Klartext, 16,95 Euro