Bottrop. . Mit Regisseur Thomas Grandoch hoch oben in der Bergarena, die im kommenden Frühsommer zum Schauplatz von Wagners romantischer Oper wird.
Bayreuth oder Bottrop, wo ist da der Unterschied? Das ist so eine Frage, auf die gewiss nicht nur eingefleischte Wagnerianer eine Antwort wissen. Die aber ganz gewiss. Dennoch zieht Wagner im kommenden Frühsommer auf den „Schwarzen Hügel“, die Halde Haniel mit ihrer düster-mystischen Bergarena. Dann kommt „Der fliegende Holländer“ herbeigesegelt. Der Mann, der ihm den Wind in die Segel bläst, ist Thomas Grandoch, der im Kulturhauptstadtjahr 2010 schon Verdis „Aida“ in die luftigen Höhen über dem Ruhrgebiet hievte.
Mit ihm zusammen steigen wir schon jetzt, sieben Monate vor der Premiere, die Halde empor. Bei diesem diesigen, aber vergleichsweise milden Novemberwetter ist es ein bisschen, als würde man hinaufklettern zum Olymp, nur um sich oben angekommen in einer Art windumtostem Hades wiederzufinden. Zu unsere Füßen, dort wo sich an guten Tagen die Fernsicht auftut, wabern die Schwaden und tauchen das Bergwerk Prosper Haniel ganz unten ins Ungewisse. Ein schwarzer Rabe landet kurz auf einer der als Totems aufgestellten farbigen Bahnschwellen, die sich oberhalb der Bergarena gen Himmel recken. Er hebt wieder ab, legt sich in den Wind und scheint in der Luft festgenagelt zu sein. „Man ist hier oben plötzlich in einer ganz anderen Welt. Es ist eine mystische Stimmung. Insofern passt ,Der fliegende Holländer’ in diese Atmosphäre wahnsinnig gut hinein“, sagt Grandoch und man versteht, was er meint. Der Regisseur und Bühnenbildner der Inszenierung sieht den vom Teufel selbst verdammten Seemann schon vor Augen, der auf ewig die Meere durchpflügen muss, wenn er nicht durch die Kraft der Liebe erlöst wird.
Die Pläne für das Riesenprojektreifen schon seit 2012
Kein Wunder, schließlich reifen die Pläne für die große Inszenierung schon seit 2012 im Kopf des Regisseurs. „Damals saß den Beteiligten der Stadt aber noch dieser immense Arbeitsaufwand der ,Aida’-Aufführung in den Knochen. Mit dem gleichen Konzept zwei Jahre später sah die Welt dann schon wieder anders aus.“ Anfang 2014 waren alle bereit, sich abermals eines solchen Riesenprojekts anzunehmen. Doch was heißt Riesenprojekt? Um eine Vorstellung davon zu bekommen: 150 Darsteller wirken in der Inszenierung, 50 im Hintergrund. Erwartet werden an sieben Terminen je 1000 Zuschauer. 3000 Karten sind schon verkauft. Denn die Chance, den „fliegenden Holländer“ unter freiem Himmel zu sehen und als Zuschauer Teil des Geschehens zu werden, erscheint doch allzu verführerisch.
„Ich habe schon öfter Open-Air-Aufführungen gemacht. Und jedes Mal denke ich: never again! Aber auf der anderen Seite macht das auch einen ganz großen Teil der Inszenierung aus, dass das hier oben stattfindet und man den Naturgewalten so ausgeliefert ist.“ Das bekommt man zu spüren, als wir oben am Spalier der Totems stehen, die den Grat des mondlandschaftlichen Abraum-Hügels säumen, der erst im Nachhinein als Windschutz für die tiefer gelegene Bergarena errichtet wurde. Hier schneidet der Wind auch durch wetterfeste Kleidung.
Kein Wasser, kein Strom, kein Abwasser
Doch es ist nicht nur das Wetter, das diesen Ort zur Herausforderung macht. „Wir haben hier oben natürlich auch keine Infrastruktur: kein Wasser, keinen Strom, kein Abwasser, alles muss extra aufgebaut werden. Ein immenser Kostenpunkt. Da hilft unter anderem der Bergbau.“ Die Halde hat Tücken, die man bei der „Aida“ kennenlernte und die man beim „Holländer“ nun elegant umschiffen kann, zum Beispiel, wenn es um das Licht geht. „Beleuchtungstechnisch wird es ein Wahnsinn, da werden wir zwei Generatoren brauchen. Wenn man aber einen Generator aufstellt, muss man ihn erden. Das Problem ist: Das funktioniert hier oben nicht, weil die Erde zu locker ist. Das heißt: Man muss ein Kabel runter bis zum Haldenfuß legen, erst da hat man Erdung. Das sind Sachen, die weiß man vorher nicht, da lernt man dann erst dazu.“
Spagat zwischen Oper und Open-Air
Auch von der Logistik her wird der „Holländer“ großes Theater, Grandoch plant die Bühne mit großen Schiffscontainern zu säumen, die erst hochgeschafft und windfest vertäut werden müssen.
„Dies hier ist spezifisch auf den Ort zugeschnitten. Ich will einerseits das Opernpublikum ansprechen, aber auch das Open-Air-Publikum. Und natürlich wollen die Leute hier große Bilder sehen. Aber das ist in Ordnung. Ich mag nichts weniger als eine Inszenierung, in der wunderbar gesungen wird, wo aber szenisch nichts passiert. Und ich bin genau der Richtige, um diesen Spagat zu machen“, erläutert Grandoch seinen Ansatz.
Man darf nicht die Akustik eines Opernhauses erwarten
Man kann sich also schon grob vorstellen, dass es optisch eindrucksvoll wird im kommenden Mai/Juni in der Bergarena. Aber was muss geschehen, damit auch die Musik nicht, sagen wir... vom Winde verweht wird. „Die ganze Bühne ist eine reine Akustik-Herausforderung. Man darf nicht erwarten, dass man hier die brillante Akustik eines Opernhauses simulieren kann. Darum geht es auch gar nicht. Wir werden aber natürlich eine gute Tonqualität erzeugen.“ Und man arbeitet mit Profis zusammen, was die Sänger aber auch das Orchester angeht: Valtteri Rauhalammi, der 1. Kappellmeister des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier (MiR) und die Neue Philharmonie Westfalen sorgen dafür. Als Holländer wird der Heldenbariton Bastiaan Everink sich ablösen mit Martijn Sanders, als Senta konnte man die Bottroper Sopranistin Elisabeth Otzisk gewinnen.
Ein eingespieltes Team
Überhaupt hat man sich bemüht, wenn möglich wieder mit dem durch „Aida“ eingespielten Team zusammenzuarbeiten. Auch wenn die beiden Opern sich grundlegend unterscheiden. „Bei Verdi hat man natürlich einen Gassenhauer nach dem nächsten. Es ist herausfordernder, so eine Wagner-Oper für genau dieses Publikum zu konzipieren, das aus Opernkennern und Open-Air-Gängern besteht. Der ,fliegende Holländer’ ist aber für diese Zwecke schon sehr gut geeignet. Es ist ein sehr frühes Werk von Wagner, bei dem er einerseits sehr melodische Stellen komponiert hat, andererseits schon sehr seine eigene Handschrift zeigte.“
Von Grandochs „Aida“ sagte Fritz Pleitgen als Vorsitzender der Geschäftsführung „Ruhr 2010“, dass er nicht ahnen konnte, wie beeindruckend die Halden-Oper wirkte. Grandoch hingegen ist es voll bewusst, auf die Frage, was er noch auf Haniel inszenieren wolle, gerät er ins Schwärmen. Den „Ring“, oder zumindest „Rheingold“. „Turandot“. Aber auch „Jesus Christ Superstar“. Oder Paul Linkes „Frau Luna“, für das die Mondlandschaft prädestiniert sei.
Aber das ist noch Zukunftsmusik. Zunächst wird Grandoch alles tun, um den „Holländer“ zum Fliegen zu bringen.
- Der fliegende Holländer - Oper von Richard Wagner auf Halde Haniel: 31.5. bis 9.6.2016. Karten in den Ticketshops dieser Zeitung, unter 0201/804-6060 und unter www.ruhrticket.de